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Lithium in Deutschland : Graben nach dem weißen Gold

Im Erzgebirge und im Oberrheingraben lagern große Lithium-Vorkommen. Vor Ort sind nicht alle begeistert vom Schürfen vor der Haustür.

28.08.2023
2024-03-04T12:20:22.3600Z
9 Min

Ein dumpfer Schlag - und schnell ist klar, weshalb die Schutzhelme keine reine Vorsichtsmaßnahme sind: Der Tiefe-Bünau-Stollen ist niedrig, mancherorts gerade mal 1,60 Meter hoch. Die Menschen, die hier in Zinnwald, im östlichen Erzgebirge, bereits im 17. Jahrhundert auf der Suche nach Zinn mit Feuer, Schlägel und Eisen Gänge in den Fels schlugen, waren eher klein. Für Normalgroße wie Torsten Bachmann und Thomas Dittrich bedeutet das: Kopf einziehen und bücken. Trotzdem marschieren der Geschäftsführer und der Geologe des Bergbauunternehmens Zinnwald Lithium mit schnellem Schritt auf glatten Holzplanken vorwärts, Helmlampen und Geleucht, das am Band um den Hals getragen wird, werfen schwankende Lichtkegel ins Dunkel. Feucht ist es im Berg und mit acht Grad ziemlich kühl. Immer weiter geht es hinein, bis die Männer plötzlich an einer breiteren Stelle stoppen. "Hier kann man es sehr gut erkennen", sagt Dittrich, ein Mann mit Bart und Begeisterung für sein Metier, und zeigt auf die Felswand vor ihm: Über und unter dem deutlich erkennbaren Erzflöz, an dem die Bergleute von damals interessiert waren, liegt das, was die Bergleute heute so elektrisiert: "Das, was hier so gräulich, schwarz, silbern und manchmal auch grünlich schimmert, das ist der Zinnwaldit, der Lithium führende Eisenglimmer."

Lithium: Das "weiße Gold"

Lithium - das hochreaktive Alkalimetall ist ein weltweit begehrter Rohstoff, bislang unverzichtbar für die Herstellung von E-Auto-Akkus. "Weißes Gold" wird er deshalb genannt, denn mit dem Ausbau der Elektromobilität wächst die Nachfrage: Prognosen der EU zufolge könnte allein Europa bis zum Jahr 2050 rund 60 Mal so viel Lithium benötigen wie heute. 2021 ließ der zunehmende Bedarf die Preise regelrecht explodieren: Kostete eine Tonne Lithiumcarbonat 2021 noch 12.600 US-Dollar, erreichte der Preis im November 2022 einen Höchststand von 90.000 US-Dollar. Auch wenn die Preise seit Anfang des Jahres wieder gefallen sind, rechnen Fachleute weiterhin mit einer angespannten Lage. Nachfrage und Fördermenge klaffen auseinander.

Foto: picture-alliance/dpa/S. Schmid

Lithium gilt als einer der zentralen Rohstoffe der Energiewende: Er kommt in Deutschland als Erz im Gestein und gelöst in Tiefenwässern vor.

Zwar mangelt es weltweit nicht an Lithium. Auch in Deutschland gibt es Vorkommen: Laut Angaben des US Geological Survey vom Januar 2023 lagern von den globalen Ressourcen im Umfang von mindestens 98 Millionen Tonnen Lithium hierzulande 3,2 Millionen Tonnen - in den Tiefenwässern des Oberrheingrabens und norddeutschen Beckens sowie im Erzgebirge. Doch noch werden diese Ressourcen nicht genutzt; Deutschland ist fast vollständig auf Importe angewiesen. Zu aufwändig und teuer galt bislang die Förderung hierzulande.

Comeback des Bergbaus

Das ändert sich. Die Bundesregierung hat bereits angekündigt, die heimische Gewinnung von kritischen Rohstoffen fördern zu wollen. Steigende geopolitische Risiken und auch das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, das Unternehmen seit Anfang des Jahres zur Achtung von Menschenrechten und Umweltstandards in globalen Lieferketten verpflichtet, könnten die Entwicklung beschleunigen.


„Aktuell haben wir 35 Bergbauberechtigungen für neue Erzprojekte erteilt. So viele wie nie.“
Bernhard Cramer, Leiter des Oberbergamts

Wie schon im Mittelalter, als zunächst vor allem Silberfunde im Erzgebirge ein "Berggeschrei" auslösten und den Aufschwung des Bergbaus in der Region begründeten, locken nun die für die Energiewende dringend benötigten Rohstoffe wie Lithium, aber auch Kupfer, Indium, Fluss- und Schwerspat sowie Zinn und Wolfram Unternehmen in die Region. Sogar Seltene Erden gibt es im Freistaat. Ist das der Beginn einer Renaissance des Bergbaus in Sachsen? Ein Anruf beim Oberberghauptmann des Landes, Bernhard Cramer, in Freiberg: Der Leiter des Oberbergamts klingt stolz. "Aktuell haben wird 35 Bergbauberechtigungen für neue Erzprojekte erteilt", sagt er. "So viele wie nie." Angesichts der umfänglichen Genehmigungsverfahren werde sich zwar zeigen müssen, wie viele davon realisiert würden. Doch er ist sich sicher: Das Erzgebirge könne sich aufgrund der Vielfalt und räumlichen Konzentration der metallischen Rohstoffvorräte in Europa zu einer "Schlüsselregion" entwickeln.

Die Hoffnung auf reiche Rohstoffbeute treibt auch Zinnwald Lithium bei der Suche nach dem Schatz in der Tiefe an. Derzeit erkundet das Unternehmen mit insgesamt 99 Bohrungen den Berg. Bei der Tochterfirma der gleichnamigen britischen Aktiengesellschaft Zinnwald Lithium geht man davon aus, dass im deutsch-tschechischen Grenzgebiet eines der größten Lithium-Vorkommen Europas liegt. Auf deutscher Seite sollen demnach mindestens 125.000 Tonnen Lithium lagern. Das entspricht 650.000 Tonnen Lithiumhydroxid, dem weißen, für die Batterieproduktion benötigten Stoff. Doch wo genau das wertvolle Material liegt, darüber sollen die Bohrungen Aufschluss geben.

Neue Mine mitsamt Aufbereitungsanlage geplant

Unterhalb des alten Zinnerz-Bergwerks, das heute für Besucher geöffnet ist, soll bis Anfang 2027 eine neue Mine entstehen - mitsamt eigener Aufbereitungsanlage im Nachbarort Bärenstein, um dort aus dem Lithiumeisenglimmer Lithiumhydroxid herzustellen. Die jährliche Produktion werde voraussichtlich bei 15.000 Tonnen liegen, so das Unternehmen. Das Vorhaben sei eines der wichtigsten Lithium-Projekte in der EU, sagt Anton du Plessis, Vorstandschef von Zinnwald Lithium. Die Ärmel des weißen Hemdes aufgekrempelt, hat er gerade seinen Mietwagen vor dem Tiefen-Bünau-Stollen geparkt.

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Von London aus kümmert sich der ehemalige Investmentbanker um die Finanzierung des Vorhabens: Mehr als 300 Millionen Euro gilt es von Investoren und Fremdkapitalgebern einzusammeln. Viel Geld. Aber dass es zuletzt gelungen ist, einen so "etablierten Player" wie die niederländische AMG Critical Materials zu gewinnen, die im gut 200 Kilometer entfernten Bitterfeld bereits eine Lithium-Raffinerie baut, stimmt den gebürtigen Südafrikaner optimistisch. Dennoch brauche es politische Unterstützung: Wenn Deutschland und Europa rohstoffunabhängiger werden wollten, müssten sie der Ankündigung, die heimische Förderung zu unterstützen, bald Taten folgen lassen, mahnt du Plessis. Damit meint er nicht nur Geld, sondern auch schnellere Genehmigungen. "Bislang sind es hauptsächlich Worte." Dabei habe der Lithium-Abbau in Deutschland Vorteile, nicht nur für die Wirtschaft, so sieht er es: Lokale Wertschöpfung, kurze Lieferwege, weniger CO2-Emissionen, kurz: eine nachhaltigere Produktion durch hohe Sozial- und Umweltstandards. Abbau und Transport zur Raffinerie - alles sei bewusst unter Tage geplant, ergänzt Torsten Bachmann. So ließen sich Lärm und andere Emissionen in Grenzen halten.

Bürgermeister von Altenberg: Bedenken wegen des Wirtschaftsfaktors Tourismus

Was die Pläne für die Stadt Altenberg, zu der Zinnwald gehört, bedeuten würden, lässt sich nur erahnen: Das Erzgebirge hat sich nach dem Aus für den Bergbau nach 1990 als Urlaubsregion neu erfunden: Tourismus ist zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor geworden. Auch Altenberg, seit 2017 Luftkurort, hat viel investiert: Loipen, Wanderwege, Sommerrodelbahn - das sei eine "Vorzeigeregion", heißt es bei der Industrie- und Handelskammer Dresden.

Was hält man hier von der Rückkehr des Bergbaus? Bürgermeister Markus Wiesenberg überlegt einen Moment am Telefon, dann sagt er: "Wir sind grundsätzlich offen, aber wir haben auch Bedenken, dass das alles dem Tourismus schaden könnte." Es gebe durchaus Bürger, die sich über eine Wiederbelebung des Bergbaus freuten, sagt der CDU-Politiker. Dieser könne schließlich neue Arbeitsplätze und zusätzliche Steuereinnahmen für die strukturschwache Region bedeuten. Andere fürchteten jedoch Schäden oder gar den kompletten Wertverlust ihrer Häuser. Wer komme dafür auf, fragt etwa Rolf Freudenberg, der ein Ferienhaus in Zinnwald vermietet. Was passiere, wenn der Sprengbetrieb unter Tage die Fundamente historischer Gebäude erschüttere und die Urlauber vertreibe? Sein Haus sei seine Altersvorsorge. "Wir wollen keine Verhinderer sein - aber mit möglichen Bergbauschäden auch nicht allein gelassen werden", sagt er.


„Warum kann man für eine industrielle Aufbereitungsanlage keine Fläche finden, die bereits durch früheren Bergbau zerstört ist?“
Anika Wilke, Umweltbildnerin bei der Grünen Liga

Ähnlich argumentiert Anika Wilke. Die Umweltbildnerin bei der Grünen Liga ist entsetzt darüber, dass nur wenige hundert Meter entfernt von ihrem Haus im 900-Seelen-Dorf Bärenstein auf geschützten Bergwiesen eine Raffinerie mitsamt Deponie entstehen soll. "Warum kann man für eine industrielle Aufbereitungsanlage keine Fläche finden, die bereits durch früheren Bergbau zerstört ist?", fragt sie. Davon gebe es um Altenberg genug. Auch der Transport des Erzes durch den Berg zur Anlage macht der Naturschützerin Bauchschmerzen: Es bestehe die Gefahr, dass der Damm der Bielatal-Spülhalde erschüttert werde. Mit schweren Folgen für Trinkwasser und Umwelt. Auf der Kippe lagerten Schlämme mit Rückständen aus dem Zinnerzbergbau der DDR. Die Schwermetallbelastung sei hoch, so Wilke.

Auch in Neustadt an der Weinstraße gibt es Widerstand

Mit ihren Sorgen sind die Menschen im Osterzgebirge nicht allein. Auch im Oberrheingraben formiert sich Widerstand gegen die Förderung von Lithium. "Nein zum Lithiumabbau", "Nein zu Umweltzerstörung und Lärm" steht auf gelben Plakaten, die Demonstranten Ende Juli durch das pfälzische Neustadt an der Weinstraße tragen. Eine Bürgerinitiative wehrt sich gegen den geplanten Bau einer Lithiumgewinnungsanlage im Ortsteil Geinsheim. Dass diese angrenzend an ein Naturschutzgebiet gebaut werden soll, beunruhigt Menschen wie Dietmar von Blittersdorff. Er fürchtet Lärm und Grundwasserverschmutzung, aber vor allem, dass die geplanten Tiefenbohrungen Erdbeben auslösen könnten.

Bereits seit zwanzig Jahren gibt es hier im Südwesten der Republik Geothermieanlagen, die heißes Wasser aus der Tiefe von etwa 3.000 Metern zur Gewinnung von Strom und Wärme an die Erdoberfläche pumpen. Genauso lange gibt es auch Kritik. Denn der Oberrheingraben ist ein Gebiet mit erhöhter Seismizität, wie Fachleute sagen. Immer wieder kommt es zu wenn auch meist kaum wahrnehmbaren Erdstößen. Aber Geothermie-Bohrungen können durchaus - wie etwa 2019 bei Straßburg - merkliche Beben auslösen und Schäden an Häusern verursachen. Seine Bürgerinitiative sei nicht gegen Erdwärme, stellt von Blittersdorff klar. Jedoch halte man allenfalls mitteltiefe Geothermie für beherrschbar.

Geothermie im Aufwind

Das Umweltbundesamt sieht hingegen auch bei der hydrothermalen Tiefen-Geothermie, unter Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und Nutzung geeigneter Frühwarnsysteme, keine unbeherrschbaren Risiken für die Umwelt.

Lange war sie für Strom- und Wärmegewinnung aufgrund der Dominanz fossiler Energieträger ohnehin nicht wettbewerbsfähig. Erst mit den zuletzt gestiegenen Energiepreisen erhält die Geothermie nun Schub. Und noch etwas macht die Technologie attraktiv: Das Tiefenwasser ist nicht nur heiß und salzig, sondern auch reich an Lithium. Warum es nicht herausfiltern, bevor die Sole zurück in die Tiefe gepumpt wird? Umweltschonender als die Gewinnung von Lithium durch Bergbau oder Verdunstung aus Salzseen wäre das allemal.

Auf diese Idee sind inzwischen mehrere Unternehmen gekommen, eines davon ist das deutsch-australische Start-up Vulcan Energy. Ein Verfahren zur Extraktion hat es an die Zusammensetzung des Tiefenwassers im Oberrheingraben bereits angepasst und einen eigenen Sorbenten entwickelt, um das Lithium aus dem Wasser herauszufiltern. Seit 2021 wird er in Pilotanlagen im pfälzischen Geothermiekraftwerk Insheim getestet. Erfolgreich, wie Horst Kreuter betont.

Der Geologe und Mitbegründer des Unternehmens, im gepunkteten Hemd und mit weißem Helm ausgestattet, zeigt bei einem Rundgang die Anlage: Hinter einer Böschung lärmt der Verkehr der A65, lauter als die Motoren der Förderpumpe. Vorbei geht es an Turbine und Generator, die aktuell Strom für rund 8.000 Haushalte erzeugen, vorbei an Luftkühlern und mit Sole befüllten IBC-Containern bis hin zur Lithiumgewinnungsanlage. "Wir wollen Ende 2025 beginnen, jährlich rund 24.000 Tonnen Lithiumhydroxid-Monohydrat herzustellen", erklärt Kreuter. "CO2-neutral", setzt er hinzu. Das sei möglich, weil über die Geothermie mehr Energie aus erneuerbaren Quellen produziert als verbraucht werde. An sieben zusätzlichen Plätzen sollen Bohrungen abgeteuft werden, wie es in der Bergmannssprache heißt. Geplant ist, das Wasser über Pipelines zu einer weiteren, im Landauer Industriegebiet geplanten größeren Lithiumgewinnungsanlage zu leiten. Die Aufbereitung soll in Frankfurt-Höchst stattfinden. Finanzierungsbedarf: gut 1,5 Milliarden Euro.

Foto: Sandra Schmid

Vulcan-Deutschland-Chef Horst Kreuter im Geothermiekraftwerk Insheim.

Autoindustrie als Abnehmer

Die Produktion der ersten fünf Jahre sei bereits verkauft, betont der Vulcan-Deutschland-Chef. Autobauer wie Stellantis, VW und Renault hätten bereits Abnahmezusagen gegeben. In Zukunft wolle man noch mehr produzieren. Berechnungen von Wissenschaftlern des Forschungszentrums Jülich zeigten, dass mit Lithium aus dem Oberrheingraben Batterien für 1,2 Millionen Elektro-Autos hergestellt werden könnten, so Kreuter. Das entspreche 70 Prozent des derzeitigen EU-Bedarfs.

Ein Anruf bei Geowissenschaftler Valentin Goldberg vom Karlsruher Institut für Technologie. Auch er hat zusammen mit seinem Kollegen Fabian Nitschke das Potenzial der Lithiumgewinnung aus Geothermie untersucht: "Mit den drei laufenden Anlagen im Oberrheingraben könnten 1,5 bis elf Prozent des künftigen deutschen Bedarfs gedeckt werden", so seine Analyse. Mehr zu fördern wäre möglich, aber nicht kurzfristig. Fünf Jahre dauere es mindestens, bis eine Anlage in Betrieb gehe.

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Um 70 Prozent des EU-Bedarfs produzieren zu können, müssten deutlich mehr Kraftwerke gebaut werden, so Goldberg: abhängig von deren Förderrate und der Skalierbarkeit des Lithiumgewinnungsverfahrens "zwischen 20 und 120 Anlagen".

Ein beachtlicher Zubau, für den es nicht nur die nötigen finanziellen Mittel bräuchte, sondern auch ausreichend gesellschaftliche Akzeptanz.