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Wasserverkäufer in Bangladesch: Die Rolle des kühlen Nass aus Plastikflaschen in Entwicklungsländern ist strittig.

Trinkwasser in Entwicklungsländern : Wasser in Flaschen - ein ambivalentes Spiel

NGOs kritisieren Nahrungsmittelkonzerne wie Nestlé oder Danone in Entwicklungsländern. Das Problem sind aber oft eher mangelnde staatliche Strukturen vor Ort.

08.08.2024
True 2024-08-09T11:54:28.7200Z
4 Min

Nestlé, immer wieder Nestlé. Regelmäßig gerät der Schweizer Nahrungsmittel-Konzern ins Visier von Nichtregierungsorganisationen (NGOs). So wird dem Unternehmen seit Längerem vorgeworfen, Wasser für die Abfüllung in Flaschen in Afrika aus dem Grundwasser zu entnehmen, zum Schaden für die Trinkwasserversorgung der lokalen Bevölkerung. Nestlé weist das zurück. Die Firma schreibt auf ihrer Internetseite. "Wir kaufen keine Quellen. Wir privatisieren kein Wasser." Man sei schließlich "nach dem anerkannten Standard der Alliance for Water Stewardship, zu der beispielsweise auch der WWF (World Wide Fund For Nature) gehört", zertifiziert.

Private füllen Lücke

Auch andere stehen in der Kritik. Die NGO Oxfam kritisiert auf ihrer Internetseite: "Indem Lebensmittelkonzerne, wie Danone, Wasser zu einer Ware machen, nehmen sie weitere Wasserverschmutzung in Kauf und verschärfen soziale Ungleichheiten."

Was ist dran an den Vorwürfen? Wie ist die private Nutzung und Bereitstellung von Wasser zu beurteilen? Wissenschaftler und Experten zeichnen ein differenziertes Bild. Private Akteure sind nicht per se schlecht oder gut. Das gilt für Initiativen vor Ort wie für internationale Firmen. So sagt etwa Saravanan Subramanian, Wasserexperte beim German Institute of Development and Sustainability (IDOS), auf Anfrage: "Der private Sektor spielt in Entwicklungsländern eine wachsende Rolle und füllt eine Lücke bei der Bereitstellung von Wasser, die die lokalen Behörden und nationalen Regierungen offen lassen." Das betreffe sowohl die Infrastruktur für Leitungswasser als auch abgefülltes Wasser in Flaschen.


„Der private Sektor kann, wenn er richtig reguliert wird, ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Wasserversorgung spielen.“
Cecilia Tortajada, Professorin für Umweltinnovation an der Universität Glasgow

"Zu abgefülltem Wasser gehören auch die 20-Liter-Plastikbehälter, ohne die viele Menschen auf der Welt keinen Zugang zu sauberem Wasser hätten, auch nicht in Notfällen", erklärt Cecilia Tortajada, Professorin für Umweltinnovation an der Universität Glasgow, und fügt hinzu: "Der private Sektor kann, wenn er richtig reguliert wird, ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Wasserversorgung spielen."

Der Mineralwasserindustrie bescheinigt Johannes Schmiester, Wasserexperte bei der Umweltorganisation WWF, dabei eine "ambivalente Rolle" und erklärt: "Die Hersteller bieten zumindest der Mittel- und Oberschicht auch dort Trinkwasser an, wo es ansonsten kein sauberes Wasser gibt." Das allerdings könne das Problem für den armen Teil der Bevölkerung verschärfen: "Wenn die einkommensstärkeren Teile der Bevölkerung mit Trinkwasser aus Flaschen versorgt sind, sinkt der Anreiz für Kommunen und andere staatliche Akteure, sauberes Trinkwasser für alle bereit zu stellen."

25 Millionen Tonnen Plastikmüll durch Wasserflaschen

Einig sind sich die Experten, dass Wasser in Flaschen einen gewaltigen ökologischen Fußabdruck hat: Einem UN-Bericht zufolge entstanden allein aus Wasserflaschen im Jahr 2021 weltweit 25 Millionen Tonnen Plastikmüll.

Wasser aus Leitung und Hahn sei deshalb viel besser. Das gelte in entwickelten Ländern wie Deutschland, aber auch in Entwicklungsländern, sagt IDOS-Wasserexperte Subramanian. "Leitungswasser ist gesünder und seine Qualität wird von den Behörden viel stärker kontrolliert; es werden keine künstlichen Mineralien beigefügt, was viele Mineralwasserhersteller tun." Subramanian weiter: "Kalk, Chlor, Blei, Kupfer und geschmacksstörende Stoffe im Wasser lassen sich mit einfachen Geräten filtern, und man erhält ein natürliches Wasser." In Entwicklungsländern müsse das Wasser mitunter noch abgekocht werden. Dann sei es aber auch dort besser als Wasser aus Plastikflaschen.


„Es ist wichtig, dass starke staatliche Institutionen beispielsweise die Preise und die Qualität kontrollieren.“
Cecilia Tortajada, Professorin für Umweltinnovation an der Universität Glasgow

Dieses solle es nur in Notfällen wie Naturkatastrophen geben, sagt WWF-Experte Schmiester. Der Fokus solle auf einem guten und für alle Bürger zugänglichem Leitungswassernetz liegen.

Kambodschas Hauptstadt Phnom Penh als Vorbild

Glasgow-Professorin Tortajada erklärt, dass dies auch in ärmeren Ländern möglich sei und verweist auf das Beispiel Phnom Penh, die Hauptstadt Kambodschas. "In Phnom Penh stellt der öffentliche Wasserversorger Trinkwasser von guter Qualität zu vernünftigen Preisen zur Verfügung, aber jeder, auch die ärmeren Leute, müssen dafür bezahlen. Das ist die einzige Möglichkeit, Einnahmen zu erzielen, um weiterhin einen guten Service anbieten zu können." Singapur zeige, dass eine zuverlässige Wasserversorgung mit gutem Management und öffentlich-privater Beteiligung möglich ist, sagt Tortajada: Für gelungene private Beteiligungen gebe es jedoch eine Bedingung: "Es ist wichtig, dass starke staatliche Institutionen beispielsweise die Preise und die Qualität kontrollieren." In England sei dies vernachlässigt worden, als die Wasserversorger vor Jahrzehnten privatisiert wurden.

Diesen Schluss zieht auch die Volkswirtin Vilja König, die an der TU Dresden für ihre Masterarbeit zu dem Thema geforscht hat. "Es gibt einige volkswirtschaftliche Untersuchungen mit dem Ergebnis, dass die private Bereitstellung dafür sorgen kann, dass die Trinkwasserversorgung besser wird. Die Studien zeigen aber, dass dies nur dann gilt, wenn es starke öffentliche Institutionen gibt, die für gute Rahmenbedingungen und Regulierung sorgen." An diesen Institutionen mangelt es in Entwicklungsländern jedoch vielfach. Nicht zuletzt Korruption, Königs Hauptforschungsgebiet, ist dabei ein Problem.

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Doch was, wenn es einfach nicht ausreichend Wasser vor Ort gibt? IDOS-Wasserexperte Subramanian spricht eine unbequeme Wahrheit aus: "Die Politiker in Entwicklungsländern müssen ihrer Bevölkerung ehrlich sagen, dass Trinkwasser aus dem Hahn vielleicht nicht immer und überall rund um die Uhr an sieben Tagen die Woche möglich ist. Wichtig ist aber Verlässlichkeit, es muss feste Zeiten geben, an denen das Wasser zuverlässig und in guter Qualität fließt."

WWF-Experte Schmiester denkt dabei nicht nur an den Bau von Leitungen: "Das Wichtigste sind intakte Ökosysteme." Wasser werde vor allem dort zum Problem, wo Bergbau, Landwirtschaft oder andere Wirtschaftsbereiche Flüsse, Seen und Grundwasser verunreinigen. Die Mineralwasserindustrie könne da oft als vergleichsweise kleines Übel erscheinen, zumal diese für ihr Produkt zumindest ein Interesse daran habe, dass natürliche Wasservorkommen nicht verschmutzt werden.