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Sandra Detzer im Interview : "Wir haben die Warnungen in den Wind geschlagen"

Kritische Rohstoffe sind das Öl des 21. Jahrhunderts, meint die Grünen-Wirtschaftexpertin Sandra Detzer. Sie sieht die Politik vor großen Herausforderungen stehen.

28.08.2023
2024-03-04T12:27:08.3600Z
5 Min

Frau Detzer, manche sagen, die Abhängigkeit Deutschlands und Europas sei bei bestimmten Rohstoffen gefährlicher, als es die Abhängigkeit von russischem Gas war. Würden Sie dem zustimmen?

Sandra Detzer: Ja, das kann man durchaus so sagen. Die kritischen Rohstoffe sind für die Wirtschaft der Zukunft das, was das Öl für das 20. Jahrhundert war. Deswegen ist es jetzt elementar wichtig, dass wir diese Abhängigkeiten in den Blick nehmen und damit strategisch umgehen.

Foto: Catharina Clausen

Sandra Detzer (43) gehört dem Bundestag seit 2021 an und ist wirtschaftspolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Wie konnte es zu dieser großen Abhängigkeit kommen? Warnungen hat es ja durchaus auch schon früher gegeben.

Sandra Detzer: Das kann man sich in der Tat fragen. Wir müssen selbstkritisch feststellen, dass wir Warnungen unserer internationalen Partner in den Wind geschlagen haben. Es gab eine große Naivität gegenüber den Möglichkeiten des Weltmarkts. Überspitzt gesagt war in Deutschland die Haltung: Das, was wir für unsere Produkte brauchen, können wir zu jeder Zeit zu vernünftigen Preisen einkaufen. Diese Sicherheit ist leider perdu.

Die Bundesregierung setzt nun zum einen auf Diversifizierung der Bezugsquellen, zum anderen auf verstärkte heimische Förderung von Rohstoffen. Nun hieß es doch immer, Deutschland sei ein rohstoffarmes Land. Was kann heimischer Bergbau da bringen?

Sandra Detzer: Wir werden jetzt sehr viel stärker Erkundungstätigkeiten sehen, um zu klären, wo wir welche Rohstoffe in Deutschland, in Europa ökonomisch sinnvoll abbauen können. Aber in der Tat ist nicht zu erwarten, dass alle Rohstoffe, die wir brauchen, zum Beispiel bei der Aluminiumproduktion, zum Beispiel für den Automotive-Sektor, auch in Deutschland gewinnen können. Das heißt, wir werden weiterhin von Importen abhängig sein. Deswegen ist die Diversifizierungs-Strategie der Bundesregierung so wichtig.

Bergbau bedeutet immer einen Eingriff in die Natur. Können Sie als Grüne das überhaupt gutheißen?

Sandra Detzer: Die Eingriffe in die Natur sind in der Regel massiv, und deswegen braucht es eine kluge Abwägung der verschiedenen Ziele, nämlich Rohstoffsicherung und Naturschutz. Dafür gibt es in Deutschland ein ausgefeiltes Rechtssystem. Wir werden uns aber zum Beispiel im Zuge der Bergrechtsnovelle noch einmal anschauen, wo wir nachsteuern müssen. Insgesamt gilt, dass es hoffentlich in Deutschland, in Europa bald noch mehr Beispiele geben wird, wie Rohstoffsicherheit und Ressourcenschutz miteinander funktionieren können.

Viele Rohstoffe werden ja auch deshalb importiert, weil das billiger ist. Wie soll denn nun naturschonender Bergbau im Inland wirtschaftlich konkurrenzfähig werden?

Sandra Detzer: Das ist in der Tat eine große Herausforderung, weil wir feststellen, dass in anderen Ländern der Erde Bergbau mit anderen Standards als in Deutschland, in Europa stattfindet. Da müssen wir verhindern, dass Projekte, die sich an hohen ökologischen und sozialen Standards orientieren, auf dem Markt das Nachsehen haben. Das kann man auf unterschiedlichem Wege machen. Am besten fände ich, wenn wir beispielsweise im Rahmen von Zertifizierungen, im Rahmen auch des Lieferkettengesetzes ganz genau darauf schauen, welche Rohstoffe, die auf dem europäischen Binnenmarkt verkauft werden sollen, zu welchen Produktionsbedingungen gewonnen werden.


„Wir werden weiterhin von Importen abhängig sein. Deswegen ist die Diversifizierungs-Strategie der Bundesregierung so wichtig.“
Sandra Detzer, Bündnis 90/Die Grünen

Können Sie sich gegebenenfalls auch staatliche Fördermaßnahmen, sei es durch den Bund, sei es durch die Europäische Union, für den heimischen Bergbau vorstellen?

Sandra Detzer: Ja, das werden wir anschieben. Bergbauprojekte sind in der Regel sehr kostenintensiv, haben lange Vorbereitungszeiten, und es kommt ja nicht von ungefähr, dass sich europäische Player aus dieser Szene zurückgezogen haben. Hier braucht es jetzt staatliche Förderung, um Anreize zu setzten, dass Unternehmen sich wieder stärker zu Beginn der Wertschöpfungskette engagieren. Das wird auch unsere Unabhängigkeit stärken.

Hemmend wirken sich auch schleppende Planungs- und Genehmigungsverfahren aus. Im Baurecht hat der Bundestag da gerade Maßnahmen zur Beschleunigung auf den Weg gebracht. Können Sie sich Ähnliches auch im Bergrecht vorstellen?

Sandra Detzer: Wir sind uns alle sehr einig, dass Planungszeiten in Deutschland beschleunigt werden sollen. Diese langen Planungszeiten kommen aber auch nicht von ungefähr. Gerade beim Bergbau haben Sie, wie schon angesprochen, dieses relevante Spannungsfeld zwischen Rohstoffsicherung und Ressourcenschutz. Deswegen ist es natürlich richtig, dass es in Deutschland gründliche Umweltverträglichkeitsprüfungen gibt. Die werden sich auch nicht massiv beschleunigen lassen. Insgesamt können wir aber zum Beispiel beim Personal in den Ämtern noch nachsteuern. Da sind unter anderem auch die Bundesländer gefragt.

Wie Sie schon gesagt haben: Wir werden auch weiterhin Importe brauchen. Was kann Deutschland tun, um mehr Länder, in denen die gesuchten Rohstoffe lagern, und vor allem unproblematische Länder als Lieferanten zu gewinnen?

Sandra Detzer: Ich bin sehr froh, dass die G7-Staaten sehr deutlich den Aspekt Wirtschaftssicherheit adressiert und dabei auch die Rohstoffsicherheit in den Blick genommen haben. Unsere Staatssekretärin im Wirtschafts- und Klimaministerium, Franziska Brantner, ist rund um den Globus unterwegs, um neue Rohstoffpartnerschaften auf Augenhöhe zu schließen. Da wird es wichtig sein, dass wir den Ländern, mit denen wir zusammenarbeiten, faire Angebote machen. Also nicht nur die Rohstoffe einkaufen und außer Landes bringen, sondern auch die Weiterverarbeitung vor Ort sicherstellen, so dass Wertschöpfung in diesen Ländern verbleibt. Das ist dann die sogenannte Partnerschaft auf Augenhöhe.


„Ganz klar: Man hätte wissen können, dass Rohstoffsicherheit ein wichtiger Aspekt der Wirtschaftssicherheit ist.“
Sandra Detzer, Bündnis 90/Die Grünen

Die Bundesregierung will, ebenso wie die EU-Kommission, Rohstoffvorräte anlegen. Wie realistisch ist das angesichts der Tatsache, dass schon die laufende Nachfrage oft kaum gedeckt werden kann?

Sandra Detzer: Hier unterscheiden sich die Bedarfe sehr stark je nach Rohstoff. Die Situation ist völlig unterschiedlich, ob Sie zum Beispiel von Lithium oder von Magnesium oder Bauxit sprechen. Deswegen finde ich es gut, dass wir uns momentan auf die Diversifizierung der Lieferketten fokussieren, auf Partnerschaften mit dem globalen Süden, und dass wir uns die Frage stellen, wo wir in Deutschland und Europa noch heimische Rohstoffe abbauen können. Die Lagerhaltung kann derzeit nur ein kleiner Bestandteil der Rohstoffsicherung sein.

Andere Industriestaaten wie die USA und Japan verfolgen schon länger eine strategische Rohstoffpolitik in Reaktion auf Chinas dominante Rolle. Deutschland und Europa sind hier spät dran. Zu spät vielleicht?

Sandra Detzer: Sie haben recht, andere Staaten in der Welt sind besser aufgestellt in Bezug auf ihre Rohstoffsicherung. Ich war beispielsweise vor einem Jahr in Japan und habe mir erklären lassen, wie sie ihre Rohstoffsicherheit strategisch vorantreiben. Die Japanerinnen und Japaner haben mir erklärt, dass für sie sehr früh klar war, dass Rohstoffe eben auch als Machtmittel in der geopolitischen Auseinandersetzung genutzt werden können. Ein Ereignis war der sogenannte Inselstreit mit China, als China die Ausfuhr von Rohstoffen gestoppt hat, weil es politisch mit dem japanischen Handeln nicht einverstanden war. Das ähnelt ein bisschen der Situation, die wir jetzt mit dem russischen Gas erleben müssen. Das heißt ganz klar: Man hätte wissen können, dass Rohstoffsicherheit ein wichtiger Aspekt der Wirtschaftssicherheit ist. Nichtsdestotrotz glaube ich schon, dass wir jetzt alle Chancen haben, diesen Rückstand aufzuholen, wenn wir europäisch zusammenarbeiten. Und danach sieht es momentan absolut aus.