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Corona-Pandemie unter : "Erosion der Demokratie"

Ulrike Guérots provokante Bilanz "Wer schweigt, stimmt zu" zu zwei Jahren Pandemiebekämpfung.

11.04.2022
2024-01-04T16:02:28.3600Z
3 Min

Durch den Ukraine-Krieg ist das Thema Corona weitgehend aus den Nachrichten verschwunden. Inzidenzwerte, Hospitalisierungsraten und sogar Todeszahlen werden nur noch als Randnotiz gemeldet. Das abflauende Interesse der Medien wie ihres Publikums ist problematisch, weil es in Sachen Pandemie-Politik einiges aufzuarbeiten gibt. Das versucht Ulrike Guérot, zuletzt Professorin an der Donau-Universität Krems, seit Herbst 2021 lehrt sie Europapolitik an der Uni Bonn. Ihr Buch trägt den wenig konkreten Titel "Wer schweigt, stimmt zu", auch die Unterzeile "Über den Zustand unserer Zeit" bleibt schwammig. Das ermüdende C-Wort taucht nicht auf - eine bewusste Strategie gegen vorschnelle Vereinnahmung oder Abgrenzungsreflexe?

Im Frühjahr 2020 sei es richtig gewesen, vorsichtig zu sein, man habe die unbekannte Gefahr nicht einschätzen können, konzediert Guérot den Entscheidungsträgern. Ein Lockdown sei aber auch "eine drakonische Maßnahme, die Angst schürt". Die vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron ausgegebene Parole "Wir sind im Krieg gegen das Virus" schien ihr schon damals unangemessen. Die Mehrheit der Bevölkerung drängte "unter Panik in einen Zug, der immer schneller an Fahrt aufnahm". Wer nicht einstieg, habe das Zeitgeschehen von einer anderen Warte aus beobachtet und sei heute von einer Gesellschaft entfremdet, in der "Fundamente der Rechtsstaatlichkeit ernsthaft gefährdet" seien. Guérot moniert eine wachsende "Machtkonzentration der Exekutive". Man dürfe niemanden, auch die viel kritisierten Impfskeptiker nicht, von der Teilhabe am Diskurs ausgrenzen, damit beginne "die Erosion der Demokratie".

Solidarität als Klammer

Schlagworte prägten die Pandemie-Debatte von Anfang an. "Querdenken", einst positiv für einen unabhängigen Geist stehend, entwickelte sich zum Schimpfwort für rechtslastiges Gedankengut. Linke und Linksliberale , so die Autorin, wurden mit dem Begriff der Solidarität "gekapert". Dieses "Mutterkorn progressiver Rhetorik" war die Klammer einer ganz großen Koalition. Populisten im Umfeld der AfD nutzten die Leerstelle und beanspruchten die kulturelle Hegemonie über den Freiheitsbegriff. Guérot, einst selbst im christdemokratischen Spektrum aktiv, wundert sich, warum fast nur Rechte die Maßnahmen als unverhältnismäßig kritisierten, während "die politische Mitte sie begrüßte und immer mehr davon forderte".

In den digitalen Netzwerken entstand ein Paralleluniversum, dokumentierte bis heute einen Riss in der Gesellschaft. Dieser prägte auch persönliche Beziehungen: Kollegen-, Bekannten- und Freundeskreise zerstritten sich, manchmal begleitet von Gesprächskillern wie "Du klingst ja wie Pegida!"

Guérots bisweilen überspitzte Thesen sind eine Provokation und ihr Schlusskapitel, bietet in der Tat Anlass zur Distanzierung. Hier steigert sie sich hinein in die Dystopie eines biotechnologischen Überwachungsstaates. Richtig, Corona ist für Tech-Giganten und Pharmaindustrie nicht nur ein lukratives Geschäft, sondern auch ein gigantisches Massenexperiment. Doch das gezeichnete Szenario vom "Körper als letzte Ware" im Visier interessierter Kreise wirkt überzogen.

Ulrike Guérot:
Wer schweigt, stimmt zu.
Über den Zustand unserer Zeit. Und darüber, wie wir leben wollen.
Westend Verlag,
Frankfurt/M. 2022;
142 S., 16,00 €