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Neuer Anlauf bei der Sterbehilfe : Zwischen Leben und Tod

Die Orientierungsdebatte zur Reform der Sterbehilfe bringt viele unterschiedliche Argumente und Aspekte hervor.

23.05.2022
2024-03-14T14:20:51.3600Z
8 Min

Es ist eine heikle Frage zwischen Recht, Ethik und Moral: Über die Suizidprävention einerseits und die Sterbehilfe in besonderen Fällen andererseits wird im Bundestag schon seit Jahren beraten. Es hat dazu große, teils sehr emotionale Debatten gegeben, Anhörungen, Gruppenanträge und Gesetzentwürfe. Es geht um die oft erschütternden Schicksale von Menschen, die nicht weiterwissen und nur noch den einen Wunsch haben: schnell und friedlich zu sterben.

Foto: picture-alliance/Keystone/Alessandro O Della Bella

Mit Natrium-Pentobarbital kann ein schmerzloser Tod herbeigeführt werden. Das Mittel ist aber nicht frei erhältlich.

Vergangene Woche haben die Abgeordneten erneut über das schwierige Thema beraten, nachdem im Februar 2020 das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) das Verbot der organisierten Sterbehilfe, das der Bundestag 2015 beschlossen hatte, wieder gekippt hat. Das Gericht ließ eine Regulierung aber zu.

Die Karlsruher Richter stellten klar, dass Menschen ein Recht darauf haben, selbstbestimmt zu sterben, auch mit Unterstützung Dritter. Grundsätzlich gilt dieses Recht für jeden, allerdings geht es meist um schwer kranke Menschen in aussichtslosen Situationen.

Suizid-Assistenz begleitet Hunderte Menschen in den Tod

Nach der Grundsatzentscheidung haben Sterbehilfe-Organisationen in Deutschland im Jahr 2021 in 346 Fällen Suizide begleitet oder eine Assistenz für die Selbsttötung vermittelt. Die Organisationen führten als Gründe für den Sterbewunsch neben schweren Erkrankungen auch eine "Lebenssattheit" an.

Ermöglicht wird der Suizid in der Regel durch ein tödlich wirkendes Medikament, das der Betroffene selbst einnimmt. Denn die aktive Sterbehilfe ist in Deutschland als Tötung auf Verlangen verboten. Erlaubt sind lediglich Beihilfe zum Suizid sowie die passive und indirekte Sterbehilfe. Bei der passiven Sterbehilfe werden lebensverlängernde Behandlungen unterlassen oder eingestellt. Bei der indirekten Sterbehilfe werden Medikamente verabreicht, die das Leiden, Schmerzen oder Ängste lindern können, aber zur Verkürzung der Lebenszeit führen.

Anträge auf tödliche Medikamente abgelehnt

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat seit März 2017 insgesamt 229 Anträge auf Erteilung einer Erlaubnis zum Erwerb eines Betäubungsmittels zum Zweck der Selbsttötung erhalten und abgelehnt. In 92 Fällen wurden Anträge nach der Entscheidung des Karlsruher Gerichts gestellt, wie die Behörde mitteilte.

Inzwischen haben sich viele Abgeordnete fraktionsübergreifend hinter Reformkonzepten versammelt, die teils noch nicht offiziell vorliegen und über die noch nicht beraten wurde. Ein schon vorliegender Gesetzentwurf sieht vor, dass die "geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung" grundsätzlich strafbar sein soll, allerdings mit eng formulierten Ausnahmen.


„Wir wollen Anwälte der Betroffenen sein, aber nicht Richter.“
Helge Lindh (SPD)

Die Orientierungsdebatte fiel sehr sachlich aus und brachte zahlreiche wichtige Argumente und Aspekte hervor. In der Aussprache hoben viele Redner das Selbstbestimmungsrecht der Menschen hervor, das sich auch auf die Entscheidung erstrecke, freiwillig aus dem Leben zu scheiden. Einigkeit bestand zudem darin, Suizide wo immer möglich zu verhindern. Manche Redner warnten vor intransparenten Geschäftsinteressen mancher Anbieter professioneller Sterbehilfe.

Helge Lindh (SPD) sprach von einer Debatte, die Zumutungen beinhalte. Die autonome Entscheidung, sich zu töten, vielleicht sogar mit Hilfe Dritter, sei eine Zumutung für die Gesellschaft. Eine Neureglung der Suizidhilfe dürfe daher keine Zumutung für Betroffene werden. "Wir müssen das ertragen." Lindh gab zu bedenken, dass Sterbehilfevereine nur deswegen entstanden seien, weil es keine andere rechtssichere Möglichkeit für Hilfe gebe. Er betonte: "Wir wollen Anwälte der Betroffenen sein, aber nicht Richter."

Ansgar Heveling (CDU) sagte, nach der Entscheidung des Karlsruher Gerichts sei die Ausgangslage neu und werfe komplexe Fragen auf. So etwa die, wann ein Suizidwunsch Ausdruck von Autonomie sei. Womöglich handele es sich gar nicht um eine eigene Entscheidung, vielleicht seien Betroffene zu krank, um die Entscheidung zu reflektieren. Dies abzugrenzen, sei nicht trivial. Es sei wichtig, dass sich der Staat schützend vor das Leben des Einzelnen stelle. Geschäftsmodelle, die dazu führten, dass Suizide als Normalfall gelten, müssten verhindert werden.

Politik will Tabu um Suizidgedanken brechen

Die psychiatrische Fachärztin Kirsten Kappert-Gonther (Grüne) berichtet, Suizidalität könne im Laufe eines Lebens auftreten. Es gelte daher auch, ein Tabu zu brechen. Vielen Menschen gehe es eigentlich nur um eine Pause in einer als unerträglich empfundenen Lebenslage. Es sei entscheidend, die Suizid-Prävention an erste Stelle zu setzen. Suizid-Assistenz setze voraus, dass die Entscheidung ohne inneren und äußeren Druck zustande komme. Sie fügte hinzu: "Für Kinder sollte der assistierte Suizid klipp und klar ausgeschlossen werden." Das Ziel sei, den assistierten Suizid nicht zu fördern, aber zu regeln.

Kathrin Helling-Plahr (FDP) sprach sich für eine liberale Sterbehilfe-Regelung aus. Sie erinnerte an die Schicksale etwa von Menschen mit chronischen Schmerzen. Es gehe um die Sicherheit, entscheiden zu dürfen, wann das Leben ende, um das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben. Daher sei das Strafrecht inakzeptabel. Wer bereit sei, Menschen auf dem letzten Weg zu begleiten, müsse mit Respekt gesehen werden und nicht mit Strafen bedroht.


„In der letzten Phase des Lebens sind Solidarität und Achtung geboten.“
Petra Sitte (Linke)

Thomas Seitz (AfD) beklagte die Rechtslücke. "Das bedeutet Rechtsunsicherheit und die Gefahr von Auswüchsen." Der legale Zugang zu tödlichen Medikamenten sei wichtig, allerdings dürfe kein Arzt oder Apotheker zur Mitwirkung verpflichtet werden. Die Willensbildung müsse frei von Beeinträchtigungen durch Krankheiten oder psychische Störungen sein. Die Betroffenen müssten auch frei von Zwang, Drohung und Täuschung ihren Entschluss fassen, der zudem von Dauerhaftigkeit, Festigkeit und Ernsthaftigkeit geprägt sein sollte.

Petra Sitte (Linke) sagte, in der letzten Phase des Lebens seien Solidarität und Achtung geboten. Die Entscheidung des Karlsruher Gerichts aus der Perspektive der Betroffenen sei zu respektieren. Sie mahnte, die daraus abgeleiteten Regelungen müssten praktisch wahrnehmbar sein. "Ein Recht, das sich in der Praxis nicht ausüben lässt, ist kein Recht."

Martina Stamm-Fibich (SPD) betonte, das Selbstbestimmungsrecht gelte für alle, ob krank oder gesund. Die Kranken seien nur ein kleiner Ausschnitt dessen, worum es jetzt gehe. Anderen Menschen stünden keine Werturteile zu, warum jemand sein Leben beenden wolle und wann dies akzeptabel sei. Auch der Bundestag sollte sich keine Bewertung der individuellen Gründe anmaßen. Sie forderte einen rechtssicheren Rahmen, der zugleich psychischen, ökonomischen oder gesellschaftlichen Druck auf Betroffene verhindere.

Einige Abgeordnete schildern persönliche Erfahrungen

Als einer von wenigen Rednern schilderte Mark Biadacz (CDU) eine persönliche Erfahrung, von seinem schwer kranken Vater, der sich für das Leben entschieden habe. Er forderte: "Wir müssen als Gesellschaft die nötigen ethischen Leitplanken diskutieren und setzen." Es gehe um einen klar definierten gesetzlichen Rahmen zum Schutz der selbstständigen Entscheidung über das eigene Leben.

Renate Künast (Grüne) gab zu Bedenken, dass die Richter dem Gesetzgeber keinen Auftrag erteilt hätten. "Wir könnten die Situation jetzt einfach so lassen." Ihrer Ansicht nach ist jedoch eine rechtseinheitliche Regelung nötig und mehr Transparenz. Das Ziel sei, in Würde sterben zu können und nicht mit Komplikationen. Sie kritisierte, die Palliativ- und Hospizmedizin sei sträflich vernachlässigt worden.

Hubert Hüppe (CDU) räumte ein, er wolle eigentlich nicht an einer Regelung mitwirken, die er aus Gewissensgründen ablehnen müsse. Er könne zwar verstehen, wenn sich manche Menschen in bestimmten Situationen das Leben nehmen wollten. "Aber ich will keine Regelung, die Beihilfe zum Suizid sozusagen als therapeutische Alternative sieht."