Piwik Webtracking Image

Bilanz der Treuhandanstalt : Ostdeutsche Betriebe auf dem Wühltisch der Einheit

Die Treuhand sollte nach der Wende die volkseigenen Betriebe der DDR privatisieren. Ihre Entscheidungen wirken bis heute nach.

22.08.2022
2024-03-04T11:03:14.3600Z
6 Min

Prügelknabe, Bad-Bank der Wiedervereinigung oder marktwirtschaftliche Dunkelkammer - die Treuhandanstalt gilt vor allem bei Ostdeutschen als Inbegriff aller Übel der Nachwendejahre. Und tatsächlich haben die Entscheidungen und die Arbeit der Treuhand bis heute Auswirkungen auf die wirtschaftliche Struktur Ostdeutschlands.

Dabei sollte die im Frühsommer 1990 gegründete Behörde die volkseigenen Betriebe der DDR privatisieren und so für ein Wirtschaftswunder und eine rasche Angleichung der Lebensverhältnisse sorgen. "Der schnelle Weg von der Plan- zur Marktwirtschaft war der gemeinsame Wunsch fast aller, in der DDR und im Westen", sagt Marcus Böick, Historiker und DDR-Forscher an der Ruhr-Universität Bochum.

Foto: picture-alliance/dpa/Paul Glaser

Symbolischer Akt: Als Treuhand-Chefin Birgit Breul (CDU) am 31. Dezember 1994 das Schild an der Berliner Treuhand-Zentrale abschraubte, war die Arbeit der Behörde längst noch nicht beendet.

Doch es kam anders. Während die Treuhand im Westen fast schon vergessen ist, beschäftigt sie bis heute die Politik in den ostdeutschen Ländern und die Wissenschaft. In Thüringen versucht ein Untersuchungsausschuss des Landtags gerade herauszufinden, ob bei der Privatisierung der Thüringer Betriebe mehr Firmen hätten gerettet werden können. Zudem hat das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin (IfZ) von 2017 bis 2021 in einem der größten Forschungsprojekte zur Treuhand deren Arbeit durchleuchtet. (siehe Interview unten).

Die Hälfte der Betriebe wurde geschlossen

Von 1990 bis 1994 hat die Treuhand rund 8.400 Betriebe betreut, die Hälfte davon wurde geschlossen, etwa vier Millionen Arbeitsplätze gingen verloren. Anstatt eines anfangs prognostizierten Gewinns von 600 Milliarden D-Mark steht am Ende ein Minus von 275 Milliarden D-Mark. Viele Regionen blieben deindustrialisiert zurück, Arbeitslosigkeit und Abwanderung prägten fast zwei Jahrzehnte. Dabei hatten die Ideengeber der Treuhand doch gewollt, dass das volkseigene Vermögen der DDR an alle Bürger gleichmäßig verteilt wird. Nichts erinnert heute in der Chausseestraße 107 in Berlin Mitte an das "Freie Forschungskollegium Selbstorganisation", eine Gruppe von Wissenschaftlern, die dort Ende der 1980er Jahre Alternativen zum Staatssozialismus der DDR diskutierten.

Während der Umbruchsphase im Winter 1989/1990 machten sie den Vorschlag, eine "Holding Treuhand-Gesellschaft-Volkseigentum" zu entwickeln. "Die Überlegung war, das Volkseigentum der DDR auf die Bürger zu verteilen, jeder sollte einen Anteil an Unternehmen, Grundstücken und Immobilien erhalten", erinnert sich Werner Schulz, damals Mitinitiator und später Volkskammer-, Bundestags- und EU-Parlamentsabgeordneter für Bündnis 90/Die Grünen. In der DDR seien die Löhne niedrig gewesen, es gab sehr wenig Privatvermögen, der erarbeitete Mehrwert floss in der DDR in die Betriebe. Um bei einer Wiedervereinigung bessere Startchancen zu haben, sollte jeder DDR-Bürger Anteilsscheine bekommen- damit hätte sich der Einzelne in seine Wohnung oder in Teile des Betriebes einkaufen können.

DDR-Hersteller blieben auf ihren Produkten sitzen

Im Februar 1990 entschied der Runde Tisch einstimmig die Bildung einer "Treuhandgesellschaft Volkseigentum". Doch bereits nach den Volkskammerwahlen im März 1990 war von dieser Idee nichts mehr übrig. Die Bürgerrechtler hatten die Wahlen verloren, und mit Ministerpräsident Lothar De Maiziere (CDU) wurde der Weg frei für das Treuhand-Modell, das die Privatisierung des DDR-Vermögens vorsah. Mit Einführung der D-Mark am 1. Juli 1990 und dem Wegbrechen der Märkte in Osteuropa blieben die Hersteller auf ihren Produkte sitzen, weil sie zu teuer geworden waren und weil keiner mehr Autos oder Fernseher aus DDR-Produktion wollte.

Detlev Karsten Rohwedder wurde kurz nach der Währungsreform Präsident der Treuhandanstalt. Der Manager mit SPD-Parteibuch sollte dafür sorgen, dass Betriebe, Einzelhandelsgeschäfte und Gaststätten und Hotels neue Eigentümer bekommen. Doch die lukrativen Bereiche wie Banken, Versicherungen, Energieversorger und Tageszeitungen waren da bereits aufgeteilt. Die Treuhand saß auf tausenden Betrieben, das Angebot war riesig, weshalb auch von einem "Wühltisch-Effekt" die Rede war.


„Es hat zwar Erfolgsgeschichten gegeben, aber in der ostdeutschen Gesellschaft hat sich bis heute das Gefühl gehalten, die DDR wurde einfach abgewickelt, das Vermögen ging an westdeutsche Kapitaleigner.“
Marcus Böick, Historiker und DDR-Forscher an der Ruhr-Universität Bochum

Das erste Unternehmen, das liquidiert wurde, war das Kamerawerk Pentagon. Am 5. Oktober 1990 erfuhren die 5.500 Mitarbeiter, dass für sie Schluss ist. In den kommenden Monaten machten Millionen Arbeitnehmer in Ostdeutschland die Erfahrung, arbeitslos zu werden.

Nach Meinung von Marcus Böick wirkt "der Flurschaden, den die Treuhand hinterlassen hat, bis heute nach". Auch für Raj Kollmorgen, Soziologie-Professor und Prorektor Forschung an der Hochschule Zittau/Görlitz, sind die Konsequenzen der Arbeit der Treuhand bis heute in Ostdeutschland spürbar. Allerdings seien seit 1990 weitere Faktoren dazugekommen. Das Gefühl vieler Ostdeutscher, sich "auf eine Weise zweitklassig zu fühlen", sei aber nach wie vor vorhanden. Dass der Osten durch die Treuhand die verlängerte Werkbank des Westens wurde, wird als eines der größten Hindernisse angesehen.

Treuhand gerät immer weiter unter Druck

Nach dem bis heute nicht aufgeklärten Mord an Detlev Karsten Rohwedder im April 1991 übernahm die Wirtschaftspolitikerin Birgit Breuel (CDU) die Treuhand-Führung. Die entsprechende Vorgabe der damaligen Bundesregierung unter Helmut Kohl (CDU) lautete nun "rasche Privatisierung". Dabei geriet die Treuhand selbst immer stärker unter Druck. Der Ausverkauf lief auf Hochtouren, und es wurde nicht so genau hingesehen, wer als Käufer auftrat. Neben der Treuhand-Zentrale in Berlin gab es 15 regionale Außenstellen.

Zweifelhafte Vorgänge wie der Verkauf des Kraftwerke-Herstellers Wärmeanlagenbau Berlin (WBB) rückten die Treuhand in der Wahrnehmung vieler ins Licht einer Skandalbehörde, auch weil es keine Einzelfälle waren. 1991 wird die WBB - 1.225 Mitarbeiter - an die Schweizer Firma Chematec AG verkauft. Den Kaufpreis über zwei Millionen D-Mark holte sich die Firma mit gerade mal 42 Mitarbeitern aus dem Vermögen der WBB zurück. Wie sich später herausstellte, fungierte Käufer Michael Rottmann als Strohmann für die Chematec und führte die Geschäfte. Er hatte den Erhalt von 700 Arbeitsplätzen garantiert. Zwei Jahre später hatte die WBB noch 250 Mitarbeiter, liquide Mittel in Höhe von 150 Millionen D-Mark versickerten. Firmeneigene Grundstücke in Berlin und Sachsen wechselten die Besitzer. 1994 ging die WBB in Konkurs. Der Firma waren 100 Millionen D-Mark entzogen worden, 31 Millionen D-Mark sind auf das Privatkonto Rottmanns geflossen. Er wurde 1995 verurteilt, entzog sich der Strafe jedoch, indem er sich absetzte.

Maschinenbau in Magdeburg wurde eingestampft

Wo es Erfolge gab, wie beispielsweise bei Carl-Zeiss-Optik in Jena oder der Chip-Produktion in Dresden, hatten die dortigen Landesregierungen dafür gesorgt, dass die Standorte erhalten blieben. Es wurde nach seriösen Investoren gesucht, finanzielle Mittel wurden zur Verfügung gestellt, so dass die bestehenden Industrieunternehmen gerettet werden konnten.

Mehr zum Thema

Fabrik in der grüne Glasflaschen auf einem Fabrikband am Fotograf vorbei ziehen, eine Mitarbeiterin im roten Shirt im Hintergrund.
Aufbau Ost: Vom Weltmarkt überrollt
Die Wirtschaft in den neuen Ländern hat sich vom Systemwechsel nach 1990 nur mühsam erholt - regional entwickelte sie sich sehr unterschiedlich.
Collage aus drei Bildern: links: Schriftzug "Tesla" und Mitarbeiter; Mitte: Wind- und Photovoltaik-Park dazwischen Bäume; rechts: Aufnahme aus der Luft vom BASF-Werk in Ludwigshafen.
Standort Deutschland: Wie die deutsche Wirtschaft den Anschluss halten will
Hohe Kosten, zu wenig Fachkräfte: Der Standort Deutschland hat mit einigen Problemen zu kämpfen. Doch es gibt auch positive Entwicklungen, besonders im Osten.
Die Giga-Factory von Tesla in Grünheide, Brandenburg
Unternehmen auf der Suche: Die Vorteile des Standorts Ostdeutschland
Anderswo ist Arbeit billiger und die Märkte sind technisch überlegen. Was macht den Osten trotzdem für Investitionen attraktiv?

Industriezweige wie der Maschinenbau in Magdeburg oder die Werften in Mecklenburg-Vorpommern hingegen wurden eingestampft. Somit bleibt bei der Beurteilung der Arbeit der Treuhand ein "gemischtes Bild", wie Forscher Böick urteilt. Es habe zwar Erfolgsgeschichten gegeben, "aber in der ostdeutschen Gesellschaft hat sich bis heute das Gefühl gehalten, die DDR wurde einfach abgewickelt, das Vermögen ging an westdeutsche Kapitaleigner". Werner Schulz sieht das ähnlich. Der strategische Fehler sei von Anfang an gewesen, "dass die Bundesregierung keine Strukturpolitik in der DDR gemacht hat", so sein Urteil. Anders als von seiner Partei gefordert, habe es kein Strukturministerium für die ostdeutschen Bundesländer gegeben.

Auch die mehrfach versuchte Aufarbeitung der Treuhand-Arbeit ist aus Sicht von Schulz bis heute nicht gelungen. Der Bundestags-Untersuchungsausschuss, der 1993 eingesetzt wurde, sei eher "unbefriedigend verlaufen", vor allem weil die meisten Unterlagen nicht freigegeben waren. Das hat sich bei der Arbeit des IfZ zwar etwas verbessert, aber der Großteil der Treuhand- Akten bleibt für weitere Jahrzehnte gesperrt.