Piwik Webtracking Image

Blick auf die Regierungsbank : Hervorgehobene Randlage

Christoph Schönberger gewährt mit "Auf der Bank" einen spannenden Blick auf die Regierungsbänke in den Plenarsälen der Parlamente westlicher Demokratien.

19.12.2022
2024-02-26T16:00:20.3600Z
3 Min

In den frühen Abendstunden des 23. Februar 1981 stürmen Angehörige der Militärpolizei Guardia Civil unter Führung von Oberstleutnant Antonio Tejero das spanische Parlament in Madrid. Nur sechs Jahre nach dem Tod von Diktator Francisco Franco wollen die Putschisten Spaniens Weg in die Demokratie rückgängig machen. Im Plenarsaal kommt es zu tumultartigen Szenen: Die Putschisten feuern Maschinengewehrsalven in die Luft, befehlen den Abgeordneten: "Auf den Boden! Alle auf den Boden." Angesichts der Schießerei ducken sich die Volksvertreter oder suchen Deckung hinter den Rückenlehnen ihrer Vorderleute. Der erst kurz zuvor zurückgetretene, aber noch amtierende Ministerpräsident Adolfo Suárez hingegen lässt sich von der Soldateska nicht einschüchtern. Er sitzt seelenruhig auf dem Sessel des Ministerpräsidenten, während alle anderen Plätze auf der Regierungsbank verwaist sind.

Foto: picture-alliance/Geisler-Fotopress/Frederic Kern

Blick auf die Regierungsbank im Bundestag während der Plenardebatte am 14. Dezember dieses Jahres.

"Ausgerechnet dieser erschöpfte, einsame Politiker reagierte auf das Maschinengewehrfeuer im Plenarsaal mit der größten Geste in der Geschichte der Regierungsbank", ist sich Christoph Schönberger sicher und fügt an: "Nie hat die körperliche Präsenz eines Premierministers auf der Regierungsbank mehr bedeutet." Der Rechtswissenschaftler von der Universität Köln sollte es wissen, hat er doch mit "Auf der Bank" eine fundierte Geschichte und Analyse der Bedeutung von Regierungsbänken in den Plenarsälen der Parlamente westlicher Demokratien vorgelegt. Schönbergers Hauptaugenmerk liegt neben Betrachtungen zu Großbritannien, Frankreich und den USA auf der Entwicklung und Bedeutung der Regierungsbank im deutschen Parlamentarismus - vom Kaiserreich über die Weimarer und Bonner zur Berliner Republik.

Zentrales Thema: Die Frage der Anordnung der "37 lavendelblauen Sessel"

Dem Deutschen Bundestag sei in den Jahrzehnten seiner Existenz eine Krisensituation wie beim Putschversuch in Spanien "glücklicherweise erspart geblieben". Die Bemerkung Schönbergers ist angesichts der in der vergangenen Woche so dramatisch offenkundig gewordenen Umsturz-Fantasien in der Reichsbürger-Szene alles andere als lapidar. Bereits vor zwei Jahren hatte ein Mob aus Reichsbürgern, Rechtsradikalen und sogenannten "Querdenkern" während einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen die Treppen des Reichstags gestürmt und versucht, sich Zugang zur "Herzkammer der Demokratie" zu verschaffen.

Schönberger wirft die Frage auf, ob die demonstrative Geste des spanischen Ministerpräsidenten Suárez "auf der Berliner Regierungsbank überhaupt denkbar wäre, ob also eine Regierung im Abseits der Präsidiumsseite ebenfalls wie selbstverständlich für das Parlament als Ganzes einstehen würde oder auch nur könnte". Im Gegensatz zum Bundestag sitzen die spanischen Regierungsmitglieder nicht separiert von den Abgeordneten neben dem Präsidium, sondern in der ersten Reihe des Halbrunds der Abgeordnetensitze; optisch unterscheidbar lediglich durch die blauen Sitzpolster von den roten Sitzpolstern der Parlamentarier.

Die Frage der Anordnung jener "37 lavendelblauen Sessel" im Plenarsaal des Reichstagsgebäude ist für Schönberger eines der zentralen Themen seines Buches, wie der Untertitel "Die Inszenierung der Regierung im Staatstheater des Parlaments" bereits erahnen lässt. Und der Autor empfindet jene Inszenierung für nicht sonderlich gelungen.

Monarchistisches Erbe

Schönberger erkennt in der Platzierung der Regierungsmitglieder nicht weniger als eine "Hinterlassenschaft des Deutschen Kaisserreichs": Die Regierungsbank habe gemeinsam mit dem Präsidium den früheren Thronraum beerbt und partizipiere weiter an der "Aura überparteilicher Neutralität", die "einst der monarchistische Obrigkeitsstaat scheinheilig für sich in Anspruch nahm". Die räumliche Anordnung der Regierungsbank "in hervorgehobener Randlage" verhindere den Dialog zwischen Parlamentariern und Regierungsmitgliedern "Auge in Auge" und gebe einer "kommunikativen Gehemmtheit Ausdruck, welche die Kontrolle der Regierung durch die Abgeordneten auch unter der parlamentarischen Demokratie des Grundgesetzes weiterhin belastet".

Mehr Buchrezensionen

Emilia Fester (Grüne) im Interview mit Funke Medien auf TikTok.
Generationswechsel im Bundestag: "Die Jungen sind angetreten, um etwas zu verändern"
Die Journalistin Livia Gerster spricht im Interview über junge Bundestagsabgeordnete, TikTok und eine veränderte politische Kultur.
Buchcover: Das deutsch-russische Jahrhundert von Stefan Creuzberger
Deutsch-russische Beziehungen: "Deutsche auf dem Thron, Deutsche neben dem Thron"
Der Historiker Stefan Creuzberger erzählt in "Das deutsch-russische Jahrhundert" die Geschichte zweier Völker zwischen Feindschaft und Freundschaft.
Buchcover: Jerusalem Ecke Berlin von Tom Segev
Kurz rezensiert: Tom Sergev: Jerusalem Ecke Berlin
Der israelische Historiker Tom Sergev hat mit "Jerusalem Ecke Berlin" seine lebendig und interessant geschriebenen Erinnerungen vorgelegt.

Schönbergers Buch ist alles andere als eine leichte Lektüre und dennoch spannend zu lesen und zu empfehlen. Die zudem reichhaltig bebilderte Darstellung mag den Blick des Lesers auf das parlamentarische Geschehen im Plenarsaal durchaus neu justieren. Von Interesse wäre, ob sich das von Schönberger konstatierte Verhältnis zwischen Regierungsmitgliedern und Parlamentariern, das sich in der Sitzordnung des Plenarsaals spiegelt, auch in den Köpfen von Abgeordneten und Minister eine greifbare Rolle und somit in der politischen Praxis spielt. Dies jedoch würde einen ganz anderen Untersuchungsansatz erfordern.

Christoph Schönberger:
Auf der Bank.
Die Inszenierung der Regierung im Staatstheater des Parlaments.
C.H.Beck,
München 2022;
282 Seiten, 29,95 €