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Foto: picture alliance/dpa/Boris Roessler
Der mutmaßliche Rädelsführer der terroristischen Vereinigung, Heinrich XIII. Prinz Reuß, bei seiner Verhaftung Anfang Dezember im Frankfurter Westend.

Putschpläne von "Reichsbürgern" : Verteidiger der Demokratie

Nach der Razzia gegen die "Reichsbürger"-Szene debattiert der Bundestag über die Folgen. Harte Kritik wird an der AfD geübt.

19.12.2022
2024-01-08T10:19:21.3600Z
3 Min

Die Pläne der mutmaßlichen Terrorgruppe aus der "Reichsbürger"-Szene hatten es in sich: Einen Umsturz wollte die Gruppe herbeiführen, ein "militärischer Arm" sollte die Absicherung übernehmen. Dabei soll auch ein Angriff im Bundestag in Erwägung gezogen worden sein. Verletze und Tote nahm man wohl in Kauf.

Für die Zeit nach dem Putsch hatte man sich auch schon eine Art Kabinett überlegt. An der Spitze ein Adliger als Staatsoberhaupt und unter anderem eine Berliner Richterin und ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete als Justizministerin. Die Übergangsregierung wollte dann auch gleich Friedensverhandlungen mit den Alliierten - man wähnt sich in der Szene noch im Kriegszustand - aufnehmen, aber erstmal nur mit Russland.

Das sind zumindest im Groben die Erkenntnisse und Verdachtsmomente, die Nachrichtendienste, Polizeibehörden und der Generalbundesanwalt in den vergangenen Monaten gesammelt haben - und die vorvergangene Woche zu einer der größten Anti-Terror-Razzien in der Geschichte der Bundesrepublik führten: Mehr als 3.000 Polizisten durchsuchten mehr als 150 Objekte und nahmen 25 Verdächtige fest, zwei davon im Ausland. Sie sind laut Bundesanwaltschaft dringend tatverdächtig, Mitglieder einer terroristischen Vereinigung zu sein oder diese zu unterstützen - und sitzen allesamt in Untersuchungs- beziehungsweise in Auslieferungshaft. Gegen weitere 29 Personen besteht zumindest ein Anfangsverdacht.

Neue Details in den Ausschüssen

Am Montag vergangener Woche ließen sich der Rechts- und der Innenausschuss in Sondersitzungen sowie das Parlamentarische Kontrollgremium über die Ermittlungen von Vertretern der Sicherheitsbehörden informieren. Dabei kamen neue Details ans Licht. So soll die Zahl der Mitwisser über den Kreis der bisher Beschuldigten hinausgehen. Mitglieder des Rechtsausschusses berichteten nach der Sitzung, die Ermittler hätten eine dreistellige Zahl sogenannter "Verschwiegenheitserklärungen" mit Unterschrift von Menschen gefunden, die von der Gruppe angesprochen worden seien. Die Gruppe habe zudem bundesweit 286 "Heimatschutzkompanien" bilden wollen. Diese hätten nach Auskunft eines Vertreters der Bundesanwaltschaft im Falle eines Umsturzes Menschen "festnehmen und exekutieren" sollen, sagte Clara Bünger (Linke). Auch wenn es keinen Hinweis gebe, dass ein versuchter Staatsstreich unmittelbar bevorgestanden habe, sei die Bedrohung hier wegen der hohen Gewaltbereitschaft der Beteiligten ernst zu nehmen, betonte der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Günter Krings (CDU), nach der Sitzung.


„Es gibt keine Toleranz für die Feinde der Republik.“
Sebastian Hartmann, SPD

Erste politische Konsequenzen aus der Reichsbürger-Razzia debattierten die Abgeordneten am Mittwoch in einer Aktuellen Stunde. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bekundete, Reichsbürger seien viel zu lange unterschätzt und als "harmlose Spinner" abgetan worden (siehe Seiten 2 und 3). Da unter den Verdächtigen auch aktive und ehemalige Soldaten, Polizisten und eine Richterin sind, will Faeser Extremisten durch eine Änderung im Disziplinarrecht schneller aus dem Staatsdienst entfernen können. "Es gibt keine Toleranz für die Feinde der Republik", sekundierte in der Debatte der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Sebastian Hartmann. Während diese Forderung unstrittig scheint, stößt Faeser mit einem weiteren Vorschlag, einer Verschärfung des Waffenrechts, auf den Widerstand der FDP. Die Liberalen dringen auf eine bessere personelle Ausstattung der Behörden und eine konsequente Anwendung der geltenden Regeln. Unterstützung erhielt Faeser in der Debatte von Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU).

Lob für Behörden

Beuth lobte - wie die Rednerinnen und Redner fast aller anderen Fraktionen - die Ermittlungen und den Einsatz der Sicherheitsbehörden. Diese seien ein "wichtiges Ausrufezeichen unserer wehrhaften Demokratie". Faeser lobte Ermittler und Einsatzkräfte ebenfalls mit deutlichen Worten: "Sie haben unsere Demokratie letzte Woche verteidigt."

Harte Kritik gab es in der Aussprache an der Rolle der AfD. Der Partei wurde fraktionsübergreifend vorgeworfen, die Geschehnisse zu verharmlosen. AfD-Chefin Alice Weidel sprach am Dienstag beispielsweise von einem "Rollator-Putsch", Gottfried Curio am Mittwoch von einem "Operetten-Putsch", an dem nur die "PR-Operation des Innenministeriums" professionell gewesen sei. Gleichwohl sind für Curio nach eigenem Bekunden gewaltbereite Reichsbürger "kriminelle Staatsfeinde". "Die Existenz und Arbeitsfähigkeit der AfD" sei "die beste Versicherung des Parlamentarismus gegen politische Bestrebungen, die sich reichsbürgerhaft außerhalb des demokratischen Systems stellen", meinte Curio. Er hob zudem die "auch nach der letzten Woche" aus seiner Sicht guten Umfrageergebnisse der Partei hervor.

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Die Grünen-Abgeordnete Irene Mihalic wiederum hielt der AfD vor, sie sei der "Brandbeschleuniger dieser demokratiefeindlichen Bewegungen, auch wenn Sie sich noch so sehr bemühen, dass alles zu verharmlosen und zu relativieren". Sozialdemokrat Hartmann bezeichnete die AfD als "Feinde der Demokratie".

Katrin Helling-Plahr (FDP) ging auf die Rolle der ehemaligen AfD-Abgeordneten Birgit Malsack-Winkemann bei den laut ihrer Darstellung im Verdacht stehenden "konkreten Vorbereitungen", im Bundestag mit Waffengewalt einen Machtwechsel zu erzwingen, ein. "Birgit Malsack-Winkemann und ihre Verbündeten wollten offenbar hier beginnen, die Demokratie zu beseitigen", sagte Helling-Plahr.