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Streit über Migrationspolitik : Gemischtes Echo

Auch nach dem Flüchtlingsgipfel im Kanzleramt bleibt die Migrationspolitik im Bundestag heftig umstritten.

15.05.2023
2024-01-04T17:35:03.3600Z
4 Min
Foto: picture-alliance/dpa/Bernd von Jutrczenka

Bundeskanzler Olaf Scholz (Mitte) mit den Ministerpräsidenten von Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, Stephan Weil (links) und Hendrik Wüst, am vergangenen Mittwoch nach der Pressekonferenz zum Bund-Länder-Gipfel

Insgesamt 16 Seiten umfasst das Beschlusspapier, auf das sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und die Regierungschefs der 16 Bundesländer vergangenen Mittwoch auf ihrem mit Spannung erwarteten Flüchtlingsgipfel verständigt haben. Eine Kernaussage daraus findet sich auf Seite 4; danach wird der Bund zur Entlastung der Kommunen und Finanzierung der Digitalisierung von Ausländerbehörden die Flüchtlingspauschale an die Länder für das laufende Jahr um eine Milliarde Euro erhöhen. Ein weiterer Schlüsselsatz lautet, dass die Bundesregierung auf europäischer Ebene für verpflichtende Grenzverfahren an den EU-Außengrenzen für bestimmte Personengruppen eintritt. Damit sollen Migranten mit geringer Aussicht auf internationalen Schutz "ein möglichst schnelles, rechtsstaatliches Asylverfahren an der Außengrenze durchlaufen", wo ihre Identität festgestellt und über ihre Asylanträge entschieden werden soll; Rückführungen seien "unmittelbar durchzuführen".

Union im Bundestag sieht »Gipfel der verpassten Chancen«

Im Bundestag, der sich einen Tag danach in gleich zwei Debatten mit der Migrationspolitik befasste, stieß das Ergebnis der Bund-Länder-Runde auf ein gemischtes Echo. Scharfe Kritik kam dabei von der Opposition. Andrea Lindholz (CSU) sprach mit Blick auf das Treffen des Kanzlers mit den Länderchefs von einem "Gipfel der verpassten Chancen". Zwar gebe es "für dieses Jahr eine Milliarde mehr", doch sei die Forderung der Kommunen nach finanzieller Planungssicherheit nicht erfüllt worden. Auch habe die Bundesregierung es verpasst, "ein klares Signal des Umsteuerns und der Begrenzung der irregulären Migration" zu geben.

Bernd Baumann (AfD) warf der CDU/CSU vor, ihrer Forderung nach Rückführungen zu ihrer Regierungszeit selbst nicht nachgekommen zu sein. Die Union wolle ebenso wie die heutige Regierungskoalition nicht abschieben, während die Zahl der illegalen Einwanderer und der nicht Abgeschobenen "geradezu explodiert".

Clara Bünger (Linke) beklagte dagegen, dass es keine legalen Fluchtwege gebe, weshalb alle Schutzsuchende irregulär einreisen müssten. Dabei erhielten mehr als 70 Prozent einen Schutzanspruch. Deshalb sei der Ruf nach mehr Abschiebungen fehl am Platz. Nötig sei eine finanzielle Unterstützung der Kommunen, damit sie Geflüchtete versorgen und integrieren können. Zwar bekämen die Kommunen nun eine dringend benötigte Finanzspritze, doch habe der Gipfel keine langfristige Lösungen gefunden, sondern "hauptsächlich Maßnahmen zur Abschottung beschlossen".

Stephan Thomae (FDP) konstatierte demgegenüber, die Koalition wolle mehr gesteuerte, reguläre Einwanderung in den Arbeitsmarkt, ferner mehr Kontrolle und Begrenzung irregulärer Migration in das Asyl- und Sozialsystem sowie einen gerechteren Verteilmechanismus innerhalb Europas und "natürlich" an den humanitären, völker- und verfassungsrechtlichen Verpflichtungen festhalten.

Fokus auf Gefährder und Straftäter

Helge Lindh (SPD) betonte, dass der Rechtsstaat auch für Flüchtlinge an den Außengrenzen gelten müsse. Dabei hätten sich auf dem Flüchtlingsgipfel auch die Ministerpräsidenten der Union zu dem Kurs der Koalition bekannt, der sich in dem Beschlusspapier finde. Dazu gehöre das Thema der Reduktion irregulärer Migration, doch mache die Ampel auch deutlich, dass etwa Grenzkontrollen nicht bedeuteten, dass es keine Asylanträge mehr gebe. Auch könnten Abschiebungen ein Baustein sein, "aber mit Fokussierung insbesondere auf Gefährder und Straftäter" und "nicht mit der Suggestion, wir könnten jetzt Hunderttausende abschieben".

Katrin Göring-Eckardt (Grüne) warb für "mehr Ordnung und mehr Humanität" in der Flüchtlingspolitik. Dabei wolle sie, dass an den Außengrenzen "registriert wird", dass Asylverfahren schnell durchgeführt werden, dass "zurückkehrt, wer zurückkehren muss", und dass "verbindlich verteilt wird in Europa". Ordnung und Sicherheit bedeute, dass jeder, der in die EU kommt, registriert und jedes einzelne Asylgesuch rechtsstaatlich geprüft wird. Dabei könne "dieser neue Start" nur mit einem verpflichtenden Verteilmechanismus gelingen, weil die Außengrenzenländer sonst keinen Grund hätten, der Reform zuzustimmen.

Unionsantrag mit großer Mehrheit abgelehnt

In namentlicher Abstimmung wies das Parlament zugleich einen CDU/CSU-Antrag zur Durchsetzung von Ausreisepflichten und Beseitigung von Abschiebehürden mit 416 Nein-Stimmen bei 259 Ja-Stimmen zurück. Gegen die Stimmen von Union und AfD lehnte der Bundestag zugleich einen weiteren CDU/CSU-Antrag (20/6731) ab, die an der deutsch-österreichischen Grenze stattfindenden Kontrollen vorübergehend auf die Grenzen zu Polen, Tschechien und zur Schweiz auszuweiten.

Auch Anträge der AfD-Fraktion für eine "nationale Kraftanstrengung zur Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern" und für eine "Rückführungsoffensive 2023" fanden keine Mehrheit im Parlament. Ein dritter AfD-Antrag wurde an die Ausschüsse überwiesen. Danach soll sich die Bundesregierung dafür einzusetzen, dass Grenzschutzzäune und andere physische Barrieren zur Abwehr illegaler Migration an den EU-Außengrenzen im Rahmen eines gemeinsamen zwischenstaatlichen Fonds finanziert werden.