Afghanistan-Enquete : Geleitet vom Bild eines weitgehend leeren Raums
Diplomaten und Militärs sehen grundlegende Webfehler beim 20-jährigen Einsatz der Bundeswehr am Hindukusch.
Das Desinteresse der Führungsmacht USA an Afghanistan, ein verengtes Feindbild, Aufbauambitionen ohne Respekt vor lokalen Gegebenheiten sowie zu schwache zivile Kräfte sind nach Auffassung ehemaliger Mitarbeiter der Bundesregierung und eines Wissenschaftlers verantwortlich für das Scheitern des internationalen Afghanistan-Einsatzes. Dieses Bild zeichnete vergangene Woche die erste öffentliche Anhörung der Enquete-Kommission des Bundestages zu den "Lehren aus Afghanistan für das künftige vernetzte Engagement Deutschlands" (siehe Stichwort).
Sachverständige aus Wissenschaft, Diplomatie und Militär nahmen die geopolitische Ausgangslage und die Situation in Afghanistan zu Beginn des internationalen Einsatzes nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den Blick, schilderten Herausforderungen und Handlungsoptionen und gaben Empfehlungen für künftige Missionen.
Falsches Verständnis vom Land prägte den Einsatz
Nach Einschätzung von Conrad Schetter, Direktor des Bonn International Centre for Conflict Studies, haben die Konfliktlinien und Zusammenhänge innerhalb der afghanischen Gesellschaft, deren gewachsene Institutionen und Identitäten zu wenig Beachtung bei der Planung und Durchführung des Einsatzes gespielt. Die Akteure hätten sich von dem Bild eines weitgehend "leeren Raumes" leiten lassen, in dem man nach Belieben einen neuen Staat aufbauen könne. Zu den Webfehlern der Einsatzplanung habe zudem gehört, dass die US-geführte Allianz sich auf die radikalislamistischen Taliban als Hauptfeind fixiert habe, bei denen man den Terroristen Osama Bin Laden vermutete. Sie sei dadurch für viele Afghanen, die sich durch die Intervention bedroht fühlten, selbst zu einer Konfliktpartei geworden. "Die Interventen hätten ihre eigene Rolle besser reflektieren müssen", urteilte Schetter.
„Es gab ein ständiges Übergewicht der Militärischen in Kabul, niemand aus anderen Ressorts war dabei.“
Der frühere Botschafter Michael Steiner, ehemals außen- und sicherheitspolitischer Berater im Bundeskanzleramt, gab zu bedenken, Deutschland habe sich aus Solidarität mit dem Bündnispartner USA in Afghanistan engagiert. Die USA seien dorthin im Rahmen ihrer Mission "Operation Enduring Freedom" gegangen, um Bin Ladens habhaft zu werden. Niemand habe jedoch um des Landes Willen interveniert. Als "politische Ursünde", auf der die Logik des Einsatzes basiert habe, bezeichnete Steiner die Gleichsetzung der Terrororganisation Al-Qaida mit den Taliban, und den Umstand, dass die Taliban nicht in den Prozess des Staatsaufbaus einbezogen wurden. Im Januar 2002 seien im Rahmen des ISAF-Mandats die ersten deutschen Soldaten nach Afghanistan geschickt worden, mit dem Auftrag, einen Sektor des Landes zu stabilisieren und den Wiederaufbau abzusichern, erklärte Steiner. 2006 sei das Ganze dann gekippt. Die Anschläge hätten zugenommen, die USA ihr Primärziel erreicht. Die neokonservative Administration unter Präsident George W. Bush habe sich ihrem eigentlichen Ziel, der Beseitigung Saddam Husseins, zuwenden wollen. So wurde die Aufmerksamkeit zum Irak hingelenkt. Der Hauptakteur, für Steiner "der entscheidende Faktor" im Afghanistan-Einsatz, die USA, hätten ihr Interesse an Afghanistan verloren - während Deutschland begonnen habe, sich den Aufbau dieses Landes zu eigen zu machen.
Einsatz war Neuland für Deutschland
Für Deutschland, für das der Militäreinsatz damals "schwer verdauliches Neuland" gewesen sei, betonte der Ex-Diplomat, sei die Aufbau-Komponente eine notwendige Ergänzung gewesen, um den Einsatz als umfassendes, vernetztes Engagement zu rechtfertigen. Dabei sei man der Fehleinschätzung erlegen, man könne in Afghanistan einfach einen Staat westlicher Prägung aufbauen. Man müsse mit mehr Demut an ein solches Engagement herangehen, sagte Steiner.
Eine viel zu knappe Vorbereitungszeit auf den Einsatz für seine Einheit nach dem Bundestagsbeschluss zum ISAF-Mandat beklagte der von der Enquete-Kommission geladene Brigadegeneral, der im Januar 2002 ein Vorauskommando der Bundeswehr befehligt hatte. Nach einer Kurzeinweisung über Afghanistan sei die Truppe auf eine undurchsichtige Lage gestoßen: Wo waren die Taliban? Welche Strukturen herrschten in Kabul? Wie würde sich die Bevölkerung verhalten? "Wir tasteten uns Schritt für Schritt vor, bauten das Lager auf, zeigten Präsenz in der Stadt und setzten mit ersten Hilfsprojekten ein Zeichen", schilderte er die Situation. Zumindest zu Beginn sei der deutsche Teil des ISAF-Einsatzes ein fast rein militärisches Engagement gewesen. "Es gab ein ständiges Übergewicht der Militärischen in Kabul, niemand aus anderen Ressorts war dabei, NGOs mieden den engen Kontakt zu uns." Bestenfalls habe es sich um ein unkoordiniertes Nebeneinander gehandelt.
Mit eigenen zivil-militärischen Kräften habe sich die Bundeswehr Aufbauprojekte selbst suchen müssen, um beispielsweise mal ein Schuldach zu reparieren, berichtete der Brigadegeneral. Künftig müsse man von vornherein sagen: "Das ist nicht ein Einsatz der Bundeswehr, sondern von uns allen." Statt eines Generals könne ein Diplomat das Engagement vor Ort leiten und den Kontakt zur dortigen Regierung pflegen. Als Soldat wolle man Sicherheit herstellen, damit zivile Kräfte, die von Beginn an mit dabei sein müssten, sich dem Aufbau widmen können.