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Jürgen Hardt im Interview : "Mit aller Kraft für Israels Sicherheit einsetzen"

Anlässlich 60 Jahre diplomatische Beziehungen zu Israel betont CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt die deutsche Staatsräson. Diese schließe Waffenlieferungen ein.

07.05.2025
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3 Min

Herr Hardt, vor 60 Jahren, am 12. Mai 1965, haben die Bundesrepublik Deutschland und Israel diplomatische Beziehungen aufgenommen. Was bedeutet dieses Datum heute?

Jürgen Hardt: Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen ist ein Meilenstein der deutschen Nachkriegsgeschichte. Dass Israel - das Land, das maßgeblich von Menschen mitgegründet wurde, die zu Opfern des Nationalsozialismus geworden waren - diplomatische Beziehungen zu Deutschland suchte, war ein bedeutender Schritt auf dem Weg der Aussöhnung. Entstanden ist daraus eine außergewöhnliche Freundschaft, die über die Politik hinausgeht und auch weite Teile der Gesellschaft umfasst. Es gibt etliche Austausch- und Kooperationsprogramme, mehr als hundert Städtepartnerschaften, dazu zahllose Bildungsreisen und Freiwilligendienste.

Trotzdem war diese Freundschaft nie frei von Spannungen...

Jürgen Hardt: ...nein, die ständige Bedrohung, der Israel seit der Gründung 1948 ausgesetzt ist, hat die Beziehungen genauso geprägt wie der Holocaust. Man muss sich vergegenwärtigen, dass das Existenzrecht eines jüdischen und demokratischen Staates von Teilen seiner Nachbarstaaten negiert wird. Sichtbares Zeichen dafür sind die Kriege und gewaltsame Auseinandersetzungen, die mit dem Hamas-Angriff am 7. Oktober 2023 und dem darauffolgenden israelischen Militäreinsatz gegen die Hamas in Gaza bis zum heutigen Tag andauern. In der Diskussion über das Vorgehen Israels in Gaza gilt es übrigens immer wieder zu erklären, was Ursache und was Wirkung ist. Ursache für die israelische Politik ist die konkrete Bedrohung Israels.

Foto: picture alliance / Sven Simon
Jürgen Hardt (CDU)
ist seit 2009 Mitglied des Deutschen Bundestages und war zuletzt außenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion. Er gehört außerdem dem Präsidium der Deutsch-Israelischen Gesellschaft an.
Foto: picture alliance / Sven Simon

Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach in einer Rede vor dem israelischen Parlament 2008 von der Sicherheit Israels als deutsche Staatsräson. Was folgt für Sie daraus?

Jürgen Hardt: Deutschland muss sich mit aller Kraft dafür einsetzen, dass Israel eine gute Zukunft hat - dass es prosperiert, dass die Menschen dort in Sicherheit und im Frieden mit ihren Nachbarn leben. In der konkreten Situation bedeutet das aber auch, dass wir Exporte von Waffen, die Israel zu seiner Verteidigung braucht, genehmigen und auf internationaler Ebene in allen Gremien, insbesondere in den Vereinten Nationen, eine pro-israelische Haltung einnehmen.

Trotz Mahnungen, beim Vorgehen in Gaza das humanitäre Völkerrecht einzuhalten, betonte die Bundesregierung stets, an der Seite Israels zu stehen. Im Nahen Osten und im globalen Süden wurde diese Positionierung stark kritisiert. Deutschland habe in der arabischen Welt Vertrauen verloren, sagen Experten. Hat sich die deutsche Außenpolitik in eine Sackgasse manövriert?

Jürgen Hardt: Nein, das sehe ich nicht so. Zur deutschen Positionierung gibt es moralisch und mit Blick auf die Tradition der deutschen Außenpolitik keine Alternative. Wir waren dennoch in der Lage, mit Staaten der arabischen Welt Beziehungen zu unterhalten. Diese erlebe ich weiterhin als intensiv und gut. Unsere Partner erkennen unsere Haltung zur Zweistaatenlösung an, weil wir sie glaubwürdig als den besten Weg, auch im Interesse Israels, vertreten.

Aber lässt sich die Solidarität mit Israel angesichts der zehntausenden Opfer in Gaza uneingeschränkt beibehalten? Die humanitäre Lage ist dramatisch, weil Israel seit Anfang März alle Hilfslieferungen blockiert hat.

Jürgen Hardt: Die humanitäre Lage in Gaza ist maßgeblich dadurch geprägt, dass die Hamas bislang nicht bereit war, die Herrschaft über Gaza aufzugeben und den Kampf gegen Israel einzustellen. Wenn die Hamas die israelischen Geiseln, die sie seit dem 7. Oktober 2023 noch immer in ihrer Gewalt hält, freilassen und sich zurückziehen würde, gäbe es die Chance, den Gazastreifen mit nicht-militärischen Mitteln zu befrieden. Dass es im Krieg zu Fehleinschätzungen und Fehlern kommt, ist unbestritten - das gilt auch für die Ebene der politischen Entscheidungsträger. Ein systematisch völkerrechtswidriges Vorgehen der israelischen Streitkräfte sehe ich nicht.

Foto: picture-alliance / NurPhoto / M. Nguyen

Der Nahostkonflikt belastet die deutsch-israelischen Beziehungen: Pro-israelische Demonstranten am Rande pro-palästinensischer Proteste 2024 in München.

Der Internationale Strafgerichtshof jedoch hat gegen Premier Netanjahu Haftbefehl wegen des Verdachts von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erlassen. Damit müsste Deutschland als Vertragsstaat des Gerichts Netanjahu theoretisch festnehmen und ausliefern, wenn er deutschen Boden beträte. Israels Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, nannte das einen Testfall für die Staatsräson. Sehen Sie das auch so?

Jürgen Hardt: Ich möchte es so formulieren: Es ist nicht vorstellbar, dass ein demokratisch gewählter Premierminister des Staates Israels auf deutschem Boden festgenommen wird. Als verstörend empfinde ich die gefühlte Gleichsetzung der demokratisch gewählten Regierung Israels und der offen terroristischen Hamas, da gegen deren früheren, bei Luftangriffen inzwischen getöteten Hamas-Militärchef Mohammed Deif gleichzeitig Haftbefehl erlassen wurde. Dem Strafgerichtshof rate ich dringend, sich in keiner Weise politisch instrumentalisieren zu lassen. Leider hat die bisherige Bundesregierung mit ihrem Vorschlag für die Richterauswahl unglücklich agiert, sodass Deutschland im vergangenen Jahr keinen Richter mehr nach Den Haag entsenden konnte.

Das Jubiläum der deutsch-israelischen Beziehungen fällt in eine schwierige Zeit. Statt Freundschaftsgefühlen zeigt gerade die jüngere Generation eher Zeichen der Entfremdung. Viele zweifeln auch an der Angemessenheit des militärischen Vorgehens in Gaza. Wie lässt sich angesichts dieser Differenzen das Verhältnis festigen?

Jürgen Hardt: Indem wir Einendes mehr herausstellen. Wir sprechen zwar viel über Israel, aber meist im Zusammenhang mit Holocaust und Nahostkonflikt. Das Wissen über Israel, seine Gesellschaft und Kultur, kann da nur allzu bruchstückhaft sein. Um junge Menschen zu überzeugen, dass ein gutes deutsch-israelisches Verhältnis eine Notwendigkeit und ein Gewinn sind, gilt es einerseits aufzuzeigen, wie sehr die jüdische Kultur auch unsere Kultur geprägt hat. Andererseits sollten wir aber auch Brüche und Diskurse in der meinungsstarken, lebendigen israelischen Zivilgesellschaft wertschätzen. Unser Gespräch mit und über Israel sollte optimistisch sein und weniger Anlass für innenpolitische Debatten. Stärker zu betonen, dass wir zusammengehören, wäre mein Anliegen für die nächsten 60 Jahre.

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