Entwicklungsministerin stellt ihr Programm vor : "Essenziell für die deutsche Sicherheitsarchitektur"
Reem Alabali-Radovan (SPD) will die Entwicklungspolitik neu aufstellen – im Dreiklang mit der Außen- und Verteidigungspolitik.
Reem Alabali-Radovan ist mit 35 Jahren das jüngste Mitglied der neuen Bundesregierung - und die einzige Ministerin mit Migrationserfahrung. Sechs Jahre alt war sie, als ihre Eltern mit ihr vor den politischen Verhältnissen im Irak flohen. Als Flüchtlingskind wohnte Alabali-Radovan mit ihren Eltern in einer Aufnahmeeinrichtung in Mecklenburg-Vorpommern, wo sie Deutsch lernte und mit vielen Geflüchteten aus aller Welt auf engstem Raum zusammenlebte. Eine "harte Zeit", über die ihre Familie bis heute kaum rede, berichtete sie 2023 in einem Interview mit der ZEIT.
Alabali-Radovan will "Nord-Süd-Kommission" bilden
Heute lebt Alabali-Radovan in Schwerin - und macht deutlich, dass ihre Erfahrungen auch ihr politisches Handeln prägen, nun als Chefin des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). "Durch meine familiären Wurzeln weiß ich, wie es den Menschen in Regionen geht, die von politischer Unsicherheit, Krisen, Kriegen und Perspektivlosigkeit geprägt sind", sagte sie am Mittwoch, als sie im Bundestag ihr Regierungsprogramm vorstellte. Aber sie wisse auch, "welche Auswirkungen es auf uns in Deutschland hat, wenn wir für diese Krisen keine gemeinsamen Lösungen finden, wenn Menschen keinen anderen Ausweg sehen, als ihre Heimat verlassen zu müssen".

Reem Alabali-Radovan will auch die Vereinten Nationen stärken - und traf sich am Mittwoch bereits mit UN-Generalsekretär Antonio Guterres in Berlin.
Für Alabali-Radovan führt angesichts der Herausforderungen in der Ukraine, in Gaza und anderswo, an einer Neuaufstellung der Entwicklungspolitik "kein Weg vorbei". Erst recht, seit die USA sich aus der Entwicklungszusammenarbeit zurückgezogen haben. Entwicklungspolitik müsse heute als essenzieller Bestandteil der deutschen Sicherheitsarchitektur neu gedacht werden, im Dreiklang mit Außen- und Verteidigungspolitik, erklärte die Ministerin. Und kündigte zudem die Bildung einer "Nord-Süd-Kommission" an, mit der die Beziehungen mit den Ländern des Globalen Südens ausgebaut werden sollen.
AfD pocht weiter auf Abschaffung des Ministeriums
Die Gegenrede dazu kam erwartungsgemäß von der AfD-Fraktion, die das BMZ seit jeher abschaffen und die Mittel für Entwicklungspolitik massiv kürzen will, wie Markus Frohnmaier unterstrich. Der Kurswechsel in der Entwicklungszusammenarbeit müsse lauten: "Deutschland zuerst!". Bei der Entwicklungshilfe sollte es um "Wirtschaftsförderung mit Lieferbindungen, freien Handel und Zugang zu Rohstoffen statt Gender-Gaga und Klimaideologie" gehen.
„Wir müssen mehr investieren.“
Andreas Jung (CDU) mochte keinen Widerspruch zwischen Werten und Interessen sehen. Es gehe bei der Entwicklungspolitik darum, "Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit hier und außenpolitische, sicherheitspolitische und wirtschaftliche Interessen dort", zusammenzubringen. "Das muss eine Politik aus einem Guss sein."
Sanae Abdi (SPD) forderte, die Strukturen zukunftsfähig zu machen, damit es in vier Jahren nicht erneut eine Diskussion über die Abschaffung des BMZ, die öffentlichen Entwicklungsleistungen "oder gar die Relevanz eines ganzen Politikfeldes" gibt.
Linke wollen globale Steuer für Superreiche
Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen) appellierte an Alabali-Radovan, "eine wertegeleitete, feministische, menschenrechtsbasierte Entwicklungspolitik" zu verteidigen. Auch warnte sie davor, insbesondere bei Klima und Biodiversität zu sparen. Der Klimawandel sei ein Risiko für Sicherheit, Stabilität und Menschenwürde weltweit.
Charlotte Neuhäuser (Die Linke) forderte eine globale Steuer für Superreiche, "echte Umverteilung" und eine Wiedereinführung des deutschen Lieferkettengesetzes. Ihrer Ansicht nach hat sich die deutsche Entwicklungspolitik zuletzt immer stärker auf geopolitische Sicherheitsinteressen ausgerichtet.
Für die junge Ministerin, die mit einem Etat von derzeit etwas mehr als elf Milliarden Euro eines der kleineren Ministerien übernimmt, dürfte vor allem die Finanzierung ihrer Vorhaben zur Herausforderung werden; wie schon in den letzten Legislaturperioden sind weitere Kürzungen beim BMZ-Etat angesichts knapper Kassen zu erwarten.
Alabali-Radovan machte ihre Haltung dazu schon mal klar: “Wir müssen mehr investieren.”

Über die Asyl- und Migrationspolitik wird seit Jahren heftig gestritten. In ihrem Koalitionsvertrag setzen Union und SPD nun auf schärfere Regeln.

Die notwendigen Einsparungen im Haushalt 2024 treffen die Entwicklungspolitik besonders hart - und entfachen den Streit um den Nutzen der Hilfen neu.