Hüter von Menschenrechten und Demokratie : Bundestag debattiert über 75 Jahre Mitgliedschaft im Europarat
Die Abgeordneten würdigen den Beitritt zum Europarat als "moralischen Neubeginn" und mahnen, seine Grundwerte entschieden zu verteidigen.
Gut drei Wochen vor dem eigentlichen Termin hat der Bundestag am Freitag mit einer Vereinbarten Debatte an den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Europarat vor 75 Jahren erinnert. Am 15. Juni 1950 hatte der Bundestag mehrheitlich dafür gestimmt, Mitglied der ein Jahr zuvor gegründeten Organisation zu werden.
In der Aussprache im Plenum würdigten die Abgeordneten dies einmütig als "Schritt zurück in die internationale Staatengemeinschaft". Sie mahnten jedoch an, den Europarat als Hüter von Menschenrechten, Demokratie und Rechtstaatlichkeit zu stärken und dessen Werte entschieden zu verteidigen.
Der Europarat sei zwar recht rasch nach seiner Gründung 1949 von der Entwicklung der Europäischen Integration "in den Schatten gestellt" worden, sagte Armin Laschet (CDU), dennoch verfüge er mit der Europäischen Menschenrechtskonvention und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte über ein "scharfes Instrument": Bürger könnten ihre Rechte einklagen, wenn sie diese in ihrem Nationalstaat verletzt sehen.
Sondergerichtshof für den Ukrainekrieg ist laut SPD ermutigendes Zeichen
Laschet schlug vor, den Europarat als Forum für Dialog mehr zu nutzen: Bis auf Russland und Belarus seien alle Staaten Europas Mitglied. Diese breite Mitgliedschaft sei eine Stärke. Es brauche keine neuen Formate, sagte er mit Blick auf die 2022 gegründete Europäische Politische Gemeinschaft. Für deren Arbeit, den Austausch über Sicherheit und Zusammenarbeit, sei der Europarat mit der Parlamentarischen Versammlung der geeignete Ort.
Was ist der Europarat?
📌Am 5. Mai 1949 wurde er von zehn Staaten als erste europäische Organisation nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet. Die Bundesrepublik Deutschland war kein Gründungsmitglied, weil sie zu dem Zeitpunkt noch nicht existierte.
👥 Heute gehören dem Europarat, der seinen Sitz in Straßburg hat, insgesamt 46 Staaten an.
🏢Das Ministerkomitee ist das Entscheidungsgremium. Es setzt sich aus den Außenministern und ständigen diplomatischen Vertretern der Mitgliedstaaten zusammen. Eine beratende Funktion hat die Parlamentarische Versammlung (PV), in welche die nationalen Parlamente Vertreter entsenden. Insgesamt hat die PV 612 Sitze. Deutschland stellt 18 Delegierte.
Siemtje Möller (SPD) betonte wie ihr Parteikollege Adis Ahmetovic die Bedeutung des deutschen Beitritts als "moralischen Neubeginn". Nur wenige Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs habe Deutschland "Verantwortung für den Wiederaufbau Europas im Sinne der Leitprinzipien des Europarats" mit übernehmen dürfen. Angesichts des "internationalen Drucks auf das Völkerrecht" brauche es aber einen entschiedenen Einsatz für die Grundwerte. Möller lobte vor diesem Hintergrund den Beschluss des Europarats zur Einrichtung eines Sondergerichtshofs für den Ukrainekrieg als "ermutigendes Zeichen". Es verdeutliche gleichzeitig, wie wichtig der Europarat sei.
Einhaltung der Menschenrechte bleibt eine Herausforderung
Zweifel an der Durchsetzungsstärke des Europarats äußerte hingegen Nicole Höchst (AfD). Der geschichtlichen Würdigung der Institution schließe sie sich an, doch "was macht der Europarat eigentlich heute?", fragte sie und empfahl, der Menschenrechtshüter solle anfangen, vor "seiner eigenen Haustür zu kehren". Nicht jeder Mitgliedstaat sei ein Musterbeispiel für Demokratie. Ohne Deutschland zunächst direkt zu nennen, monierte die Abgeordnete unter anderem Zensur, politisch motivierte Prozesse und Parteiverbotsdebatten. Das seien "Alarmzeichen", die der Europarat beachten müsse, forderte sie.
Kritik kam auch von Max Luchs (Grüne): Mit Blick auf die Verwicklung von Politikern von CDU und CSU in Geschäfte mit Aserbaidschan und die Vorwürfe von Bestechlichkeit hielt er der Union vor, die Aserbaidschan-Affäre "nicht hinreichend" aufgearbeitet zu haben. Die Mitgliedschaft im Europarat verpflichte dazu, sich gegen Korruption und für Demokratie und Menschenrechte einzusetzen. Doch das tue auch Deutschland nicht immer "laut genug", sagte Luchs und kritisierte die leisen Reaktionen etwa auf die Lage in der Türkei.
Linke beklagt mangelnde Befolgung von Urteilen
"Aktive Sabotage der Ziele des Europarats" sah Vinzenz Glaser (Linke) auch an den Außengrenzen der EU. Migranten erlebten täglich Gewalt und illegale Pushbacks. "Wo bleibt hier die Antwort des Europarats?" Mahnbriefe reichten nicht, sagte Glaser und forderte Konsequenzen: Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dürften nicht länger folgenlos bleiben.
Zum Weiterlesen

Vor 75 Jahren wurde der Europarat gegründet: Am Anfang stand die Zusammenarbeit in Europa im Zentrum, heute Demokratie und Schutz der Menschenrechte. Ein Überblick.

Der Bundestag würdigt zum 75. Jahrestag die Arbeit der Organsiation, die wie keine andere für die den Schutz der Menschenrechte in Europa steht.

Experten mahnen in einer Anhörung im Menschenrechtsausschuss, die Institutionen des europäischen Menschenrechtsregimes zu stärken.