Nach der Wahl in Rumänien : Europa kann aufatmen
Unerwartet gewinnt bei der Wahl in Rumänien der Pro-Europäer Nicusor Dan gegen den Ultranationalisten George Simion. Den neuen Präsidenten erwarten große Aufgaben.

Der 55-jährige Nicusor Dan, hier am Wahlabend mit Anhängern in der Hauptstadt Bukarest, hat bei der Stichwahl für das rumänische Präsidentenamt rund 54 Prozent der Stimmen erhalten.
„Russland vergiss nicht: Rumänien gehört Dir nicht!“, skandierten Tausende Bürger am Sonntagabend in der Altstadt von Bukarest. Kurz zuvor waren die Ergebnisse von zwei Wahltagsbefragungen, so genannten Exit Polls, bekannt gegeben worden, die beide den proeuropäischen Politiker Nicusor Dan als klaren Sieger der Stichwahl in Rumänien sahen.
Vieles deutete zunächst auf einen Sieg von Trump-Fan Simion hin
Mehr als ein halbes Jahr hatte zuvor Aufruhr und politische Unsicherheit in dem sechstgrößten EU-Mitgliedsland geherrscht. Und sehr vieles hatte daraufhin gedeutet, dass sich Rumänien nun dem EU-skeptischen, prorussischen Lager rund um den ungarischen Regierungschef Viktor Orban und den slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico anschließen würde. Der erklärte Ultranationalist und Fan von US-Präsident Donald Trump, George, Simion, schien mit seinen über 40 Prozent in der ersten Wahlrunde uneinholbar.
Doch am Ende zog in Rumänien die Trump-Erfolgsstory vom angeblichen Vertreter des kleinen Mannes, vom Außenseiter, der wie ein David gegen das übermächtige Establishment kämpft, nicht. Zu sehr fürchteten die bisher unentschlossenen Wähler um die traditionelle Westanbindung des strategisch wichtigen Schwarzmeer-Anrainerstaates mit der bald größten Nato-Basis an der Ostflanke.
Dank einer für Rumänien guten Wahlbeteiligung von 65 Prozent - nach nur 52 Prozent in der ersten Wahlrunde vor zwei Wochen - gelang es nun, das Schreckgespenst des rechtspopulistischen EU-Verweigerers George Simion in die Schranken zu weisen. Die Auszählung aller Stimmlokale in der Nacht zum Montag zeigte, dass der liberale Dan mit 53,6 Prozent der Stimmen Simion von der ultranationalistischen „Allianz für die Vereinigung aller Rumänen“ (AUR) klar geschlagen hatte. Dieser erhielt 46,4 Prozent der Stimmen.
Simion erkennt Wahlsieg von Dan an - und gratuliert
Zwar hatte sich Simion am Sonntagabend zunächst selbst „als überdeutlicher Wahlsieger“ ausgerufen und auch von Wahlbetrug gesprochen. Doch am Montagmorgen gratulierte Simion dann Dan zum Wahlsieg, den er damit ausdrücklich anerkannte. Es sei „zu keinen signifikanten Wahlfälschungen gekommen“, erklärte Simion seine Kehrtwende – ein positives Zeichen für die Demokratie in Rumänien.
„Das ist ein Entscheid für ein offenes, prosperierendes Land in einem starken Europa.“
Der liberale, parteilose Bukarester Bürgermeister trat kurz nach Bekanntgabe der beiden Exit Polls verzagt und schüchtern wirkend in einen Kreis seiner Anhänger und wertete das Ergebnis als Entscheid „für ein offenes, prosperierendes Land in einem starken Europa“. Der 55-jährige Mathematiker, der in Paris promoviert hat, dachte dabei bestimmt auch an den rasanten Wertverlust der rumänischen Landeswährung: Nach Simions klarem Sieg in der ersten Wahlrunde hatte der Leu 15 Prozent zum Euro verloren.
Ärmere Regionen im Osten und Süden Rumäniens unterstützten mehrheitlich Simion
Dan hat eine Aufholjagd hinter sich: Vor zwei Wochen hatte er nur die Hälfte von Simions Stimmen erobert. Im dem kurzen und entscheidenden Wahlkampf konzentrierte sich der Politiker vor allem auf die ethnisch gemischten und wirtschaftlich prosperierenden Regionen Rumäniens in Transsilvanien und dem Banat. Dort und in den wenigen rumänischen Großstädten fuhr Dan am Sonntag auch die meisten Stimmen ein, während die ärmeren Regionen im Osten und Süden Rumäniens mehrheitlich Simion unterstützen.
Rund um die ost- und südrumänischen Zentren Iasi, Galati und die Hafenstadt Constanta, wo auch ein Kontingent der Bundeswehr im Rahmen der Nato stationiert ist, siegte diesmal allerdings Dan. Noch vor zwei Wochen hatte sich dort Simion durchsetzen können.
1,6 Millionen Auslandsrumänen spielten eine große Rolle
Auch die bei Wahlen sehr aktive und wichtige rumänische Diaspora unterstützte Simion nicht mehr so überzeugt, wie noch in der ersten Runde. Insgesamt nahmen rund 1,6 Millionen der vor allem in Deutschland, Italien und Spanien lebende Auslandsrumänen an der Stichwahl teil. 55 Prozent von ihnen stimmten für den ultranationalistischen Simion.
Wie bereits bei der im Dezember vom rumänischen Verfassungsgericht annullierten ersten Wahlrunde war auch dieses Mal von den rumänischen Diensten russische Einflussnahme beobachtet worden. So warnte am Sonntag das Verteidigungsministerium in Bukarest vor der über TikTok-Kanäle und soziale Netzwerke gestreuten Falschmeldung, wonach sich in Rumänien stationierte französischen Nato-Soldaten als Gendarmen verkleidet hätten, um einen Bürgerkrieg anzuzetteln.
Der neue Präsident gilt als Reformer
Wahlsieger Nicusor Dan steht nun vor der Herkules-Aufgabe, das politisch aufgewühlte Land wieder zu versöhnen und das Vertrauen der Bürger in die Politik wieder aufzubauen. Viele Rumänen hatten die Annullierung der Wahlen im November 2024 als Bevormundung empfunden; der Verfassungsgerichtsentscheid verstärkte die tiefsitzende Vertrauenskrise und trieb noch mehr Bürger in die Fänge rechtsextremer Parteien wie Simions AUR.
„Rumänien hat sich zu einem starken und sicheren Europa bekannt.“
„Das Wahlergebnis stellt eindeutig unter Beweis, dass die Bürger einen tief gehenden Wandel wünschen: einen funktionaleren Staat, ein florierendes Unternehmertum, eine dezidiertere Korruptionsbekämpfung und nicht zuletzt eine Gesellschaft, die auf Dialog statt auf Hass basiert“, sagte Dan in der Nacht zum Montag.
Dan geholfen hat sicher der Umstand, dass er selbst nicht Teil des politischen Establishments ist: 2016 hatte er im Gegenteil die außerparlamentarische Oppositionspartei „Union zur Rettung Rumäniens“ (USR) gegründet, der er allerdings bereits zwei Jahre später wieder den Rücken kehrte. Im Wahlkampf war Dan dennoch von dieser liberalen USR sowie der größten Partei der ungarischen Minderheit und der National-Liberalen Volkspartei (PNL) unterstützt worden. Dan gilt als Reformer, der anders als andere rumänischen Politiker nicht durch Bestechlichkeit aufgefallen ist. Zu seinen Wahlversprechen gehörten Reformen der Verwaltung und Justiz, um die Korruption zu bekämpfen.
In der EU sorgt der Wahlausgang für Erleichterung
Als erstes muss Dan, der als Staatspräsident ein gewichtiges Wort in der Außen- und Verteidigungspolitik sowie bei der Besetzung der Spitzen der Geheimdienste hat, eine stabile neue Regierungskoalition aushandeln und einen neuen Regierungschef vorschlagen. Die Große Koalition aus Sozialdemokraten, PNL und Ungarnpartei war zwischen den beiden Wahlrunden auseinandergebrochen. Nach Aussage von USR-Übergangschef Dominic Fritz, einem früheren deutschen Grünen-Politiker, der seit 2020 Bürgermeister der westrumänischen Großstadt Timișoara ist, an der Regierung auch die bisher oppositionelle USR beteiligt sein.
In der EU und unter den östlichen Nachbarn war am Montag ein großes Aufatmen zu vernehmen. Der ukrainische Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj und die Präsidentin der Republik Moldau, Maia Sandu, gratulierten Dan zum Wahlsieg. Sowohl die Ukraine als auch Moldau hatten schon vor Jahren Einreisesperren gegen George Simion erlassen, der Moldau und Teile der Ukraine einem Großrumänien anschließen will. Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen beglückwünschten Dan. „Rumänien hat sich zu einem starken und sicheren Europa bekannt“, kommentierte Bundeskanzler Friedrich Merz.
Der Autor ist freier Osteuropakorrespondent und lebt in Warschau.
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