
Präsidentschaftswahlen in Polen : Für die Tusk-Regierung steht alles auf dem Spiel
Die Koalition in Warschau braucht den Sieg ihres Kandidaten, um ihre Reformpläne umsetzen zu können. Doch der Konkurrent von der PiS holt im Schlussspurt auf.
Polens konservativer Präsidentschaftskandidat Karol Nawrocki steht mit ernster Miene im Oval Office und schüttelt Donald Trump die Hand, dann setzen beide Männer ein breites Lächeln auf und posieren mit den Daumen nach oben. "Du gewinnst!", habe ihm der US-Präsident gesagt, berichtet der von der früheren Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) unterstützte Nawrocki im Anschluss an das Treffen am 1. Mai triumphierend.
Der Coup des Wunschkandidaten von Oppositionschef Jaroslaw Kaczynski (PiS) war perfekt. Und wirkte sich bald auf die Umfragen aus: Kurz vor dem Wahltermin am 18. Mai rückt Nawrocki immer näher auf den liberalen Favoriten und Warschauer Bürgermeister Rafal Trzaskowski (Bürgerplattform PO) auf - und nährt die Hoffnungen der alten Regierungspartei, die ihre Abwahl vom Herbst 2023 noch immer nicht verkraftet hat.
Polnische Spitzenkandidaten vermeiden die direkte Konfrontation
PO und PiS entstammen beide dem einstigen Lager der "Solidarnosc"-Dissidenten, ihr Verhältnis ist aber seit 20 Jahren zerrüttet. Der Bruderzwist zwischen alter Regierungspartei und neuer links-liberaler Reformregierung - angeführt vom ehemaligen EU-Ratspräsidenten Donald Tusk - beherrscht daher seit Wochen auch den Wahlkampf um das in Polen wichtige Präsidentenamt. So haben die Spitzenkandidaten die direkte Konfrontation bisher vermieden. Nawrocki und Trzaskowski traten beide nur in den von ihren jeweiligen Anhängern verfolgten TV-Netzwerken auf.
Trzaskowski ist heute Inbegriff einer weltoffenen, pro-europäischen Ausrichtung. Er spricht vier Fremdsprachen, unterstützt LGBT-Initiativen, ließ die Kruzifixe aus den Warschauer Amtsstuben entfernen und strebt bei der hochkontroversen Debatte um das Abtreibungsrecht eine Fristenlösung nach deutschem und französischem Vorbild an.

Präsidentschaftskandidat Karol Nawrocki zu Besuch bei US-Präsident Donald Trump Anfang Mai im Weißen Haus. Der rechtskonservative Politiker ist dem liberalen Kandidaten Trzaskowski dicht auf den Fersen.
Von seinem Erfolg hängen die Reformpläne von Tusks Mitte-Links-Regierung ab. Sie werden heute in den meisten Fällen von Staatspräsident Andrzej Duda torpediert, der sich erklärtermaßen als Nachlassverwalter der PiS-Politik von 2015 bis 2023 sieht. Duda, der im August nach zehn Jahren abtreten muss, stoppt Vorhaben wie Re-Demokratisierung, Entflechtung von Kirche und Staat und die Entpolitisierung der von der PiS-Richtern beherrschten Justiz meist mit Vetos oder Anrufung des Verfassungsgerichts.
Nawrocki dämpft Konkurrenz im rechten Lager
Nawrockis Blitzbesuch bei Trump sollte vor allem seinen noch weiter rechts stehenden Herausforderer Slawomir Mentzen von der rechts-extremen "Konföderation" in die Schranken weisen. Der erst 38-jährige Steuerberater und Bierbrauer aus Torun buhlt teils um die gleiche Wählerschaft und rückte dem oft farblos und verstockt wirkenden Nawrocki mit wortgewaltigen Wählermeetings und TikTok-Videos gefährlich nahe.
Beide fast gleichaltrigen Oppositionspolitiker geben sich EU-skeptisch und entstammen einem weltanschaulich sehr konservativen Milieu. Mentzen jedoch ködert Polens Jungwähler mit libertären Versatzstücken à la Javier Milei in Argentinien. So wirbt er für möglichst geringe Steuern, die Cannabis-Legalisierung und breiten Zugang zu Schusswaffen. Gleichzeitig lehnt er Abtreibung strikt ab, auch im Falle einer Vergewaltigung. Er schlägt anti-ukrainische Töne an, die sich vor allem gegen die 1,5 Millionen Flüchtlinge und Gastarbeiter richten. Mit Sprüchen wie "Wir wollen keine Juden, Homosexuellen, Abtreibung, Steuern und EU" startete Mentzen vor sechs Jahren seine politische Karriere am rechten Rand Polens.
„Vom Wahlausgang in Polen hängt das Los des politischen Projekts von Tusk ab.“
Den heute 42-jährigen PiS-Kandidaten Karol Nawrocki kannte damals in Polen praktisch niemand. Der Historiker ohne Parteibuch mit einer gescheiterten Profi-Boxer-Karriere und Kontakten in die rechtsextreme Hooligan-Szene hatte sich vor allem mit Fußballgeschichte beschäftigt, als er von PiS 2017 zum neuen Direktor des Danziger Museums des Zweiten Weltkriegs und 2021 zum Vorsitzenden des Instituts des Nationalen Gedenkens (IPN), einer Art polnischen Gauck-Behörde, berufen wurde. An beiden Stellen erwies er sich gegenüber Kaczynski als sehr loyal.
Anstelle eines bekannten PiS-Politikers und möglichen Konkurrenten wollte Kaczynski daher mit ihm den Erfolg des 2015 ebenso unbekannten Andrzej Duda wiederholen, der nach zwei Amtsperioden nicht mehr antreten kann. Doch lange konnte der im Unterschied zu Duda hölzern wirkende Nawrocki selbst mit anti-deutschen Parolen nicht die Herzen aller PiS-Anhänger gewinnen. Bis zu seinem Besuch im Weißen Haus. "Der war eine Vorbereitung auf die Stichwahl", meint der Historiker und Politologe Antoni Dudek, "denn PiS kann dann argumentieren, dass nur Nawrocki in der Lage ist, Trump um Hilfe gegen Putin zu bitten".
Niederlage Trzaskowskis könnte Neuwahlen nach sich ziehen
Dass einer der Kandidaten bereits im ersten Wahlgang am 18. Mai die absolute Mehrheit erreicht, gilt als ausgeschlossen. Eine Stichwahl am 1. Juni scheint daher so gut wie sicher. Bei der letzten Umfrage des staatlichen Instituts CBOS führte Trzaskowski mit 31 Prozent der Stimmen noch knapp vor Nawrocki (27 Prozent). Mentzen kam auf 16 Prozent.
Nur eine Nebenrolle spielen bei den Präsidentschaftswahlen der Parlamentspräsident Szymon Holownia, die einzige Frau Magdalena Biejat (Linke), der oppositionelle Linkspolitiker Adrian Zandberg sowie drei weitere Männer.
"Vom Wahlausgang in Polen hängt das Los des politischen Projekts von Tusk ab", urteilt der Politologe Piotr Buras. Sollte Trzaskowski verlieren, rechnet Buras mit einem Ende der Dreiparteien-Koalition und vorgezogenen Neuwahlen.
Der Autor ist freier Osteuropakorrespondent und lebt in Warschau.
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