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Foto: picture alliance/Anadolu/Celal Gunes
Das Repräsentantenhaus hat ein Milliarden-Hilfspaket für die Ukraine verabschiedet. Zuvor hatten die Republikaner das Vorhaben monatelang blockiert.

Nach dem Votum für die Ukrainehilfen : Johnsons Kehrtwende spaltet Republikaner

Die Republikaner haben neue Ukrainehilfen über Monate im US-Kongress blockiert. Sprecher Mike Johnson schwenkte plötzlich um - doch das könnte ihn sein Amt kosten.

22.04.2024
2024-04-22T14:10:27.7200Z
5 Min

Für die Ukraine sind nach monatelangem Stillstand neue Milliardenhilfen zum Greifen nah. Das US-Repräsentantenhaus billigte am Wochenende mit überparteilicher Mehrheit ein Hilfspaket von 61 Milliarden US-Dollar (57 Milliarden Euro), das auch dringend benötigte Waffenlieferungen zur Verteidigung gegen Russland enthält. Die nötige Zustimmung des Senats gilt als sicher. Die Ukraine-Hilfen wurden vor allem vom Vorsitzenden des US-Repräsentantenhauses, Mike Johnson, blockiert. 

Der führende Ukraine-Experte Amerikas, Timothy Snyder, war bis zum Schluss skeptisch, ob der in der Staats-Hierarchie drittmächtigste Mann der Vereinigten Staaten in historischer Stunde als ehrlicher Makler auftreten wird. Mike Johnson, sagte der renommierte Politikwissenschaftler, habe in der Vergangenheit alles getan, „um die Ukraine zu schwächen und einen russischen Genozid voranzutreiben”.

112 republikanische Abgeordnete stimmten gegen die Ukraine-Hilfen

Umso größer war bei Snyder und anderen Unterstützern der Ukraine-Politik von Präsident Joe Biden die Erleichterung, als der seit sechs Monaten amtierende republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses seine monatelange Weigerung aufgab. Johnson machte den Weg frei für eine Abstimmung im US-Parlament, die den Kriegsverlauf in der von Russland seit 26 Monaten angegriffenen Ukraine verändern kann.

Am Ende stimmten neben sämtlichen 210 anwesenden Demokraten 101 Republikaner für das 60 Milliarden Dollar-Paket, das Kiew durch dringend benötigte Munition und Abwehrwaffen gegen die Truppen Wladimir Putins neue Chancen verschaffen soll.

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Das überwältigende Ergebnis, das in Washington als Niederlage für den russischen Präsidenten Wladimir Putin und Präsidentschaftskandidat Donald Trump gewertet wird, der lange gegen weitere Militärhilfen antichambriert hatte, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, wie gespalten die „Grand Old Party” ist: 112 republikanische Abgeordnete, mehr als die Hälfte der Fraktion, wollten Präsident Wolodymyr Selenskyj im Regen stehen lassen.

Sprecher Johnson droht die Abwahl

Viele der Nein-Sager sind Johnson gram. Einige wenige, Marjorie Taylor Greene, Thomas Massie und Paul Gosar, sind sogar entschlossen, dem vierfachen Vater und gottesfürchtigen Baptisten aus Shreveport/Louisiana die Kevin McCarthy-Behandlung angedeihen zu lassen. Der republikanische Abgeordnete aus Kalifornien war der Vorgänger Johnsons. Er wurde 2023 von den eigenen Leuten brutal weggemobbt, auch weil er von Fall zu Fall mit den Demokraten paktierte. Johnson hat es jetzt im großen Stil nachgemacht. Darum kleben ihm Radikale wie Taylor Greene das Etikett des „Verräters” an und prophezeien seien baldigen Abgang. Entweder freiwillig durch Rücktritt. Oder durch Abwahl.

Der im „Freedom Caucus” versammelte radikale Anti-Ukraine-Flügel der Republikaner hält die beschlossenen Mehrausgaben für die Ertüchtigung der ukrainischen Armee angesichts eines US-Staats-Defizits von 34 Billionen Dollar (umgerechnet knapp 32 Billionen Euro) für unvertretbar und militärisch verfehlt. Nach ihrer Lesart ist nicht Wladimir Putin das Problem, sondern Joe Biden, der mit neuen Militär-Lieferungen einem Friedensschluss im Wege stehe und einen „blutigen Krieg unnötig verlängert”.

Ultraradikaler Flügel der Republikaner wittert Tabubruch

Niemand der Frondeure hat sich bisher öffentlich dafür interessiert, wie der Sinneswandel Johnsons zustande kam, der noch im vergangenen Dezember am Rande eines Selenskyj-Bittsteller-Besuches in Washington dem ukrainischen Präsidenten die kalte Schulter gezeigt hatte.


„Ich glaube, dass Wladimir Putin seinen Marsch durch Europa fortsetzen würde, wenn es ihm erlaubt würde.“
Mike Johnson, Sprecher des US-Repräsentantenhauses

„Ich glaube, dass Wladimir Putin seinen Marsch durch Europa fortsetzen würde, wenn es ihm erlaubt würde”, sagte Johnson vor der Abstimmung. „Ich glaube, er würde in die Balkan-Staaten als Nächstes gehen. Ich glaube, wir könnten einen Showdown mit Polen erleben oder einem unserer anderen Nato-Partner.”
Wenn dies geschähe, „könnten wir uns genötigt sehen, Truppen zu schicken und Alliierte vor Putin zu schützen”. Er, Johnson, ziehe es darum vor, lieber jetzt Kugeln in die Ukraine zu schicken als später eventuell „unsere Jungs”. Eine Facette im Hintergrund: Johnsons Sohn beginnt in Kürze an der Naval Academy der Marine seine Ausbildung.

Johnsons Kehrtwende wird in den eigenen Reihen zusätzlich übelgenommen, weil der christliche Fundamentalist sie mit einer Bemerkung garnierte, die auf dem ultraradikalen Flügel der Republikaner als Tabubruch gilt: „Ich glaube wirklich den Berichten und Briefings unserer Geheimdienste.”

Treffen mit Trump: Johnson holt sich Segen für sein Vorgehen

Dass Johnson, der sich vor wenigen Tagen bei einer Art Privat-Audienz bei Donald Trump in Mar-a-Lago quasi den heimlichen Segen für seine Vorgehensweise abgeholt hatte, „auf der richtigen Seite der Geschichte" stehen wollte, wie er selber sagt, hält Politik-Professor Larry Sabato aus Virginia für authentisch: „Ich glaube, Johnson wurde nach und nach davon überzeugt, dass die USA die Ukraine in ihrem eigenen Interesse unterstützen müssen und dass die Forderungen der Rechts-Außen-Republikaner einfach falsch waren.” Johnson habe nicht gewollt, dass eine etwaige Kapitulation der zuletzt militärisch mehr und mehr ins Hintertreffen geratenen Ukraine irgendwann „auf sein Konto geht”.

Foto: picture alliance/newscom/Annabelle Gordon

Der Sprecher des US-Repräsentantenhauses, Mike Johnson, steht unter Druck, nachdem er nach langer Blockade die Abstimmung zur Ukraine-Hilfe ermöglicht hat. Teile der Republikaner wollen ihren Parteifreund nun loswerden.

Dass Präsident Selenskyj Johnson am Sonntag ausdrücklich lobte und mit Dank dafür überschüttete, „die Geschichte auf dem richtigen Gleis“ gehalten zu haben, treibt bei Marjorie Taylor Greene und ihren Mitstreitern die Zornesröte ins Gesicht. Gleichwohl haben sie auf einen umfassenden Machtkampf verzichtet und keinen Antrag auf Abwahl des „speaker” gestellt. Greene erklärte, ihre Fraktionskollegen sollten erst die Stimmung an der Basis einholen. Kritiker der schrillen Abgeordneten aus Georgia halten das für vorgeschoben. Als wahrer Grund sei die Furcht vor einer Schlappe anzunehmen. Die Demokraten, die nur noch wenige Sitze von der Mehrheit im „House” trennen, hatten vorher signalisiert, dass sie gegen alle Gepflogenheiten Mike Johnson im Fall eines Abwahl-Manövers stützen würden, wenn denn das Militär-Paket für die Ukraine hundertprozentig sicher ist.

Rückendeckung durch die Demokraten

Johnson weiß um die potenzielle Rückendeckung, die der demokratische Minderheitenführer Hakeem Jeffries, falls nötig, verlässlich exekutieren würde. Johnson wäre dann bis zu Konstituierung des nächsten Kongresses im Januar 2025 gesichert - aber bei vielen seiner eigenen Partei unten durch. Wer den erzkonservativen Politiker am Wochenende erleben konnte, hatte nicht den Eindruck, es mit einem Mann zu tun zu haben, der akut um seine politische Existenz bangt.


„Viele Mitglieder bei uns sind müde, dieser Kongress ist brutal.“
Tony Gonzales (Republikaner)

Dazu tragen auch Äußerungen von Parteifreunden wie Tony Gonzales bei, der sich in beispiellos schroffen Worten Saboteuren wie Marjorie Taylor Greene annahm. Der republikanische Abgeordnete aus Texas sagt live im Sender CNN, dass es in der republikanischen Fraktion „einige echte Dreckskerle” gebe, die aus Geltungsdrang und Zerstörungswut jede Gelegenheit nutzten, um die Dinge zu politisierten. „Viele Mitglieder bei uns sind müde, dieser Kongress ist brutal.” Dass Leute wie Taylor Greene, Massie, Gosar oder der Florida-Abgeordnete Matt Gaetz eine moralische Überlegenheit für sich in Anspruch nehmen und so den geplanten Sturz Johnsons legitimierten, sei grotesk. Solche Parteikollegen würden sich „blutige Nasen” holen. Mike Johnson, so Gonzalez, werde den Versuch, ihn aus dem Amt zu jagen, überleben.

Der Autor ist USA-Korrespondent der Funke-Mediengruppe.

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