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Reform der Vereinten Nationen : Zwischen allen Stühlen

Ein ständiger Sitz für Deutschland im Weltsicherheitsrat: Dafür wirbt die Bundesregierung schon lange. Gegen Blockaden im Rat gebe es andere Mittel, sagen Experten.

30.01.2024
2024-02-26T11:25:23.3600Z
4 Min
Foto: picture alliance/dpa | Michael Kappeler

Keine Kriege mehr: Mit diesem Ziel wurden die Vereinten Nationen nach dem zweiten Weltkrieg gegründet. Ihr Machtzentrum sollte der Sicherheitsrat in in New York werden.

Ein ständiger Sitz für Deutschland im Weltsicherheitsrat? Seit Jahren setzt sich die Bundesregierung unter wechselnden Koalitionen für eine Reform des mächtigen Gremiums ein, dem laut Charta der Vereinten Nationen „die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit“ übertragen ist. In ihm haben China, Frankreich, Großbritannien, Russland und die USA einen ständigen Sitz und ein erweitertes Vetorecht, über das weitere zehn im Zweijahrestakt wechselnde und von der VN-Generalversammlung gewählte Mitglieder nicht verfügen.

Dagegen rührt sich spätestens seit dem Ende des Kalten Krieges Widerspruch, schon allein, weil unter den Vetomächten kein einziges afrikanisches oder südamerikanisches Land ist. Große Teile der Weltbevölkerung, so die Kritik, sehen sich in diesem Weltsicherheitsrat nicht vertreten.

Vorschlag der Group of Four: Sechs neue Sitze

Die VN-Charta sieht für das Gremium mit „Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen“ ein scharfes Schwert vor: Mögliche Zwangsmaßnahmen reichen von Wirtschaftssanktion bis zur Aufstellung und Entsendung von Streitkräften. Allerdings sorgen einzelne Vetomächte häufig für eine Blockade des Gremiums, zum Beispiel dann, wenn sie selbst oder ihre engen Partner in einem Konflikt involviert sind. Deutlich wurde das zuletzt im Falle des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. Bei Dringlichkeitssitzungen im VN-Hauptquartier in New York kam es immer wieder zum Schlagabtausch, eine Resolution gegen die Invasion Russlands scheiterte aber an dessen Veto bei Enthaltung unter anderem Chinas.

Als viertgrößter Beitragszahler im VN-System und zweitgrößter Geber (zum Beispiel von freiwilligen Beiträgen) hat auch Deutschland ein Interesse an einem ständigen Sitz. So hat das die Bundesregierung zuletzt im vergangenen Jahre in einer Antwort auf eine Anfrage der AfD  wiederholt ausgeführt. In der „Group of Four (G4)“ schlage man gemeinsam mit Brasilien, Indien und Japan die Schaffung von sechs neuen Sitzen vor, je zwei für Afrika und Asien, je einer für die „Western European and Others Group“ (WEOG) und Lateinamerika.

Experten blicken indes skeptisch auf Reformpläne wie diesen, wie eine öffentliche Anhörung im Auswärtigen Ausschuss am Montag in dieser Woche zeigte. Die Sachverständigen trugen allerdings Vorschläge vor, wie die Vereinten Nationen wieder handlungsfähiger für Friedenssicherung und Konfliktlösungen werden könnten und welchen Einfluss Deutschland dabei womöglich geltend machen kann.

Sachverständiger: Allianzen in der Generalversammlung suchen

Ekkehard Griep von der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN) wandte sich gegen die Fokussierung auf eine Reform Sicherheitsrates. Ob Menschenrechte oder Friedensmissionen, ob Pariser Klimaabkommen oder die Nachhaltigkeitsagenda 2030 – all diese Erfolge seien im Rahmen der Vereinten Nationen und unterhalb der Hürde von Änderungen der VN-Charta möglich gewesen. Griep sprach sich dafür aus, Allianzen in der VN-Generalversammlung zu suchen. Dort sei die Staatengemeinschaft anders als im Sicherheitsrat in der Lage gewesen, mit großer Mehrheit Resolutionen gegen den Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine zu beschließen.

Nicole Deiteloff (Peace Research Institute Frankfurt – Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung) hält eine Reform des Sicherheitsrates für wenig realistisch. Dessen Vetos ließen sich aber gewissermaßen entwerten, wenn die Generalversammlung gestärkt würde: mit regelmäßigen Entschließungen auch in puncto Frieden und Sicherheit und auch zu Abrüstung und Rüstungskontrolle, so die Expertin. Sie verwies allerdings auch darauf, dass es zwar gelungen sei, eine deutliche Mehrheit in der Generalversammlung für eine Verurteilung von Russlands Krieg zu organisieren, die meisten dieser Länder aber bei den Sanktionen gegen den Aggressor nicht mitmachten.

Werben für Realismus in der Debatte

Auch Marianne Beisheim Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) machte eine Revitalisierung der Generalsversammlung als Ort der Kommunikation aus, an dem Mittelmächte und kleinere Länder ihre Positionen einbringen könnten. Gleichwohl würden afrikanische Länder weiter darauf drängen, die Reform des UN-Sicherheitsrates auf die Agenda zu nehmen, weil für sie einfach nicht akzeptabel sei, dort nicht permanent vertreten zu sein.

Der Politikwissenschaftler Stephan Bierling (Universität Regensburg) warb für mehr Realismus. Der VN-Sicherheitsrat sei „unreformierbar“, keines der fünf ständigen Mitglieder werde das Vetorecht aufgeben oder anderen Ländern ein solches Recht zugestehen. Wer auf die Aufwertung der Generalversammlung setze, gebe damit andererseits prochinesischen und antiisraelischen Kräften noch mehr Raum. Bierling sprach sich für eine Stärkung der Unterorganisationen der Vereinten Nationen aus. Hier seien westliche Staaten die größten Geldgeber und hätten die Hebel in der Hand, auf die Personalpolitik Einfluss zu nehmen und Fehlentwicklungen im VN-System zu begegnen.

Kritik am VN-Palästinenserhilfswerk UNRWA

Der Völkerrechtler Gerd Seidel, Emeritus der Humboldt-Universität zu Berlin, sagte, dass man sich vor idealisierenden Vorstellungen über die Leistungsfähigkeit der Vereinten Nationen hüten müsse: Sie sei nun mal eine schwergängige Organisation mit 193 Staaten. Trotzdem habe sie immer wieder ihre Anpassungsfähigkeit unter Beweis gestellt, bei der Etablierung von Menschenrechtskonventionen und Vertragsorganen zu ihrer Überprüfung wie bei der Etablierung von Organisationen zum Schutz der Umwelt. 

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Kritik kam in der Anhörung aus aktuellem Anlass am VN-Palästinenserhilfswerk (UNRWA) auf: Mehrere Länder, darunter Deutschland, hatten jüngst ihre Hilfszahlungen an die Organisation ausgesetzt, nachdem bekannt geworden war, dass UNRWA-Mitarbeiter am Hamas-Terrorangriff auf Israel vom 7. Oktober vergangenen Jahres beteiligt gewesen sein sollen. Experte Bierling sagte dazu, dass UNRWA unter dem Einfluss der Hamas ein eigenes Leben entwickelt habe, das von außen nicht mehr kontrollierbar sei. Die Zukunft liege in einer Neuaufstellung der Hilfen für die Palästinenser, bei denen das Flüchtlingshilfswerk UNHCR mit seiner sehr guten Arbeit eine viel größere Rolle spielen könnte. Auch Expertin Deitelof sieht Reformbedarf bei UNRWA, betonte aber, dass man im Augenblick das Hilfswerk dringend brauche, um humanitäre Hilfe leisten zu können. Diesen Punkt solle man nicht aus den Augen verlieren, wenn man nun symbolisch Zahlungen aussetze.