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Generaldebatte im Bundestag : Kanzler überrascht Union mit Appell zur Zusammenarbeit

Bundeskanzler Scholz nutzt die Generaldebatte zum Haushalt 2024 zur Vorstellung eines Deutschland-Pakts für mehr Tempo.

11.09.2023
2024-03-18T09:32:03.3600Z
4 Min
Foto: picture-alliance/EPA/Filip Singer

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) forderte Länder, Gemeinden und Opposition zu einem "nationalen Kraftakt" auf.

Wie geht man mit dem politischen Gegner um, wenn der rein äußerlich ein wenig lädiert aussieht? Unions-Fraktionschef Friedrich Merz wünschte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gute Besserung, nachdem der am Wochenende beim Joggen gestürzt war und eine Augenklappe im leicht verschrammten Gesicht trug. Als Oppositionsführer aber tat Merz am Mittwoch, was ein Oppositionsführer tun muss: Er nutzte die Generaldebatte über den Haushaltsentwurf 2024 (20/7800) zur Generalabrechnung mit der regierenden Ampelkoalition. Grundtenor: Es werde mehr versprochen als gehalten, im Detail viel Murks produziert - und überhaupt stimmten weder Richtung noch Angang.

Bundeswehr ist "strukturell unterfinanziert"

Beispiel Bundeswehr: Mit dem Haushaltsentwurf für das kommende Jahr werde die Koalition dem selbst gestellten Anspruch einer "Zeitenwende" nicht gerecht, sagte Merz. Der Verteidigungsetat sei weitgehend unverändert. Bei SPD und Grünen bleibe das "ungeliebte Kind Bundeswehr" strukturell unterfinanziert.

Beispiel Gesetzgebung: "Unser Land erstickt in Bürokratie", beklagte Merz. Die Union würde alle Gesetze der Ampel sofort stoppen, "die diesen wahnsinnigen Bürokratieaufwand immer noch weiter erhöhen". Weder die Kindergrundsicherung noch das Gebäudeenergiegesetz würde sie so auf den Weg bringen.

Beispiel Klimaschutz: Im Gebäude- wie im Verkehrssektor würde die Union auf echte Technologieoffenheit setzen: "Ihre Klimapolitik wird von den Menschen im Land mehrheitlich nicht mehr mitgetragen. Die Menschen sind es leid, nur noch mit Verboten, Regulierungen, unkalkulierbaren Kosten und bürokratischen Auflagen konfrontiert zu werden."

Beispiel Viertagewoche, Frühverrentung, Bürgergeld: Das Problem seien nicht die Menschen, die das in Anspruch nähmen - "das Problem sind Sie, die das ermöglichen" und die politischen Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass Leistung sich nicht mehr lohne, warf Merz der Ampel vor.

Merz: Ampel baut paternalistischen Staat weiter aus

Dann holte er weiter aus: Man diskutiere hier und heute nicht nur über die Details des Bundeshaushaltes. "Wir widersprechen Ihnen in Ihrem ganz grundsätzlichen Staatsverständnis. Sie bauen nämlich trotz Zeitenwende den betreuenden, bevormundenden, alles regulierenden und dann auch finanzierenden Staat, einen geradezu paternalistischen Staat, immer weiter aus", sagte Merz. Die Union hingegen wolle den Menschen, Unternehmen und Ingenieuren etwas zutrauen, sie zur Leistung und zur gemeinsamen Gestaltung des Landes ermutigen und befähigen. "Sie tun genau das Gegenteil."

Kanzler gibt sich kämpferisch

Und wie reagierte der Bundeskanzler auf diese Attacke? Kämpferisch und streitlustig. So wies er, abweichend vom Redemanuskript, zunächst die Kritik zurück, warf Merz vor, "Popanzen" aufzubauen und teure Steuerpläne zu entwerfen "als gäbe es kein Morgen".

Vor allem aber überraschte der Kanzler mit dem Versuch, den gerade mit deutlichen Worten auf Distanz gegangenen Unionschef verbal zu umarmen - mit einem Appell zur Zusammenarbeit. Dies sei nicht die Situation für die klassischen Schlagabtausche im Bundestag, sagte Scholz und führte aus: Der Krieg, die Energiekrise, die Inflation, die Folgen der Klimakrise - das alles sorge für gewaltige Veränderungen. Veränderungen, die vielen Sorge machten.

Scholz: "Deutschlandpakt" soll das Land schneller, moderner und sicherer machen

Was die Bürgerinnen und Bürger in einer solchen Lage erwarteten, sei kein Schattenboxen im Bundestag, sondern "Orientierung, mutige Kompromisse, zupackende Arbeit" für unser Land. "Arbeiten Sie mit uns daran, die Missstände der vergangenen Jahre abzustellen und Deutschland gut aufzustellen für die Zukunft", rief er Richtung Merz - und forderte Länder, Gemeinden und Opposition zu einem "nationalen Kraftakt" auf, um die Wirtschaftskrise und den Umbau zu einer klimafreundlichen Gesellschaft zu bewältigen. "Die Bürgerinnen und Bürger sind diesen Stillstand leid. Und ich bin es auch", sagte er. Deshalb schlage er Merz einen Deutschlandpakt vor, "der unser Land schneller, moderner und sicherer macht." Tenor: Tempo statt Stillstand, Handeln statt Aussitzen, Kooperation statt Streiterei. "Lassen Sie uns unsere Kräfte bündeln", sagte Scholz. Viele warteten "geradezu sehnsüchtig auf diesen Schulterschluss". Der Schwerpunkt solle beim Ausbau der Energieversorgung, dem Wohnungsbau, der Modernisierung und Digitalisierung der Infrastruktur, der Wettbewerbsfähigkeit und einer schnelleren und unkomplizierten Verwaltung liegen.

Scholz nennt AfD "Abbruchkommando"

Der Kanzler ließ erkennen, dass er mit dem Pakt auch die in Umfragen erstarkende AfD im Blick hat und denen etwas entgegenstellen wolle, "die politischen Profit schlagen wollen aus Abstiegsszenarien und Panikmache". Die meisten Bürgerinnen und Bürger wüssten aber, "dass die selbst ernannte Alternative in Wahrheit ein Abbruchkommando" sei.

Von Seiten der Union war es CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt vorbehalten, sich zu Scholz' Vorschlag zu verhalten. "Wir sind durchaus bereit, mit Ihnen eine Kooperation oder auch einen Pakt einzugehen", sagte Dobrindt - unter Bedingungen: "Dann reden wir aber als Allererstes über eine der aktuell zentralsten Krisen in Deutschland, nämlich über die Flüchtlingskrise", über Grenzschutz, Abschiebungen und Sach- statt Geldleistungen.