
Gesteuerte Reichweite, verzerrte Debatten : Wahlkampf unter Einfluss?
Drei Wochen vor der Bundestagswahl warnen die Abgeordneten vor Wahlbeeinflussung durch Algorithmen und Fake-Accounts. Wie gut ist Deutschland davor geschützt?
Es war eine Aktuelle Stunde mit Anlauf: Erst hatten Vertreter der Plattformen Meta, X und TikTok dem Digitalausschuss des Bundestages mitgeteilt, aus Zeitgründen nicht Rede und Antwort zu ihren Maßnahmen zum Schutz der Integrität von Wahlen stehen zu können. Scharfe Kritik der Digitalpolitiker mehrerer Fraktionen folgte und Grüne und SPD verlangten sodann eine Aktuelle Stunde zum Schutz der Bundestagswahl vor ausländischer Einflussnahme.
Knapp drei Wochen vor der Wahl entwarfen am Donnerstagabend nicht wenige Abgeordnete das Bild einer Bewährungsprobe für die Demokratie: Gerade im Wahlkampf müsse jede Position gleichberechtigt gehört werden können, sagte Maximilian Funke-Kaiser (FDP). Dies gestalte sich schwierig, wenn an Algorithmen rumgedreht und Reichweite künstlich erzeugt werde, sagte SPD-Digitalpolitiker Jens Zimmermann - Gewissheiten gerieten dabei ins Rutschen.
DSA sieht Risikoanalysen vor, etwa beim Minderjährigenschutz oder der Wahlintegrität
Am Mittwoch hatte Renate Nikolay von der Europäischen Kommission dem Digitalausschuss über den Stand der Um- und Durchsetzung des Digital Services Act (DSA) berichtet. Mit diesem wolle man Verpflichtungen für Plattformen aufbauen und systemische Risiken, die von diesen ausgehen, angehen. Dazu gehöre, dass regelmäßig Bewertungen dazu durchgeführt werden müssen, wie Risiken, etwa beim Minderjährigenschutz oder der Wahlintegrität, so weit wie möglich reduziert werden können, berichtete Nikolay. Bei der Präsidentschaftswahl in Rumänien Ende 2024 seien darüber hinaus beispielsweise Aufbewahrungsanordnungen gegen TikTok und X erlassen worden, um Zugang zu den Daten für Untersuchungen zu erhalten. Dabei gehe es um jüngste Änderungen an den Algorithmen und Empfehlungssystemen.
Mit dem Digital Services Act (DSA) gehe die EU "einen entscheidenden Schritt in die richtige Richtung", sagte Tobias B. Bacherle (Grüne). Gerade vor Wahlen sehe auch er die große Frage in der Manipulation des Ausspielens über Algorithmen oder Fake Accounts. Die Entscheidung des Wählers müsse jeder Demokrat akzeptieren, sagte Jürgen Braun (AfD) mit Blick auf die vom Verfassungsgericht für ungültig erklärte Präsidentschaftswahl in Rumänien. "Bei dieser Wahl kam es zu keinen Unregelmäßigkeiten. Niemand hat das Recht, die klare Entscheidung des Wählers anzuzweifeln", sagte Braun.
Darum geht es im Digital Services Act (DSA)
📲 Der DSA reguliert seit 17. Februar 2024 die Aktivitäten von Anbietern digitaler Dienste innerhalb der EU. Er soll mit dem Digital Markets Act die Rechte von Internetusern innerhalb der Europäischen Union stärken.
⚖️ Die Durchsetzung der Anforderungen liegt überwiegend in der Verantwortung der Mitgliedstaaten. Einzig gegenüber sehr großen Onlineplattformen und Suchmaschinen ist die EU-Kommission zuständig.
🔒 An die Regeln müssen sich alle Unternehmen halten, die digitale Dienste in der EU anbieten, etwa Provider, Hostinganbieter, Cloud-Dienste, soziale Netzwerke, Messenger und Onlinemarktplätze.
Andere betonten die Einfallstore, die sozialen Medien bieten: Neben ausländischen Regierungen sei es "besonders unerträglich, wenn superreiche Milliardäre über den Kauf dieser Medien und die entsprechende Beeinflussung, die Mehrheiten in nahezu jedem demokratischen Land einseitig verändern können", sagte Mechthilde Wittmann (CSU).
FDP: Gesellschaftliche Resilienz gegen die Narrative des Kremls fehlt
Derzeit werde viel über Elon Musk gesprochen. Der "zentrale Akteur bei der Beeinflussung von Willensbildungsprozessen in Deutschland ist aber Russland", betonte hingegen Konstantin Kuhle (FDP). Dies geschehe durch finanzielle Unterstützung extremistischer Parteien, Cyberangriffe, Sabotage und auch Desinformation. Das funktioniere, weil es in Deutschland keine ausreichende gesellschaftliche Resilienz gegen die Narrative des Kreml gebe, so Kuhle.
„Elon Musk denkt, er kann nicht nur Jachten und Raketen kaufen, sondern auch Demokratien und Gesetzeslosigkeit.“
Auch Anke Domscheit-Berg (Die Linke) sah Deutschland schlecht geschützt vor illegitimer ausländischer Einflussnahme. Dies liege nicht nur an mangelnder Medienkompetenz, sondern auch daran, "weil die für die Umsetzung des DSA zuständige Bundesnetzagentur nicht einmal ein Viertel der notwendigen Stellen bekam", so Domscheit-Berg. Notwendig seien strukturelle Maßnahmen, wie etwa die Einstufung digitaler Plattformen als "Medien".
Stresstest: Akteure vom Runden Tisch spielen Reaktion auf hypothetische Bedrohung durch
Kommissionsvertreterin Nikolay berichtete den Abgeordneten weiter, dass gemeinsam mit der Bundesnetzagentur ein Runder Tisch mit den Plattformen und der Zivilgesellschaft organisiert worden sei. Am 31. Januar gebe es einen Stresstest, bei dem Szenarien getestet werden, was in den Wochen vor der Wahl, am Wahltag selbst oder wenn das Ergebnis bekannt werde, alles falsch laufen könne, sagte Nikolay. Geprüft werden soll, wie die Plattformen auf die jeweiligen Szenarien reagierten. Seit der Europawahl 2024 seien zusätzliche Leitlinien für die Plattformen entwickelt worden, wie sich diese besser auf die Wahlen vorbereiten könnten, da sie ein stärkeres Monitoring benötigten. Mit Blick auf den AI Act und Deepfakes seien sie in den Leitlinien auch aufgefordert worden, KI-generierte Inhalte zu kennzeichnen, sagte Nikolay.
Nach dem Stresstest zog die Bundesnetzagentur ein positives Fazit: "Die Plattformen kennen die Vorgaben des Digital Services Act und unsere nationalen Wahlgesetze”, sagte Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur. Mögliche Verstöße seien “realistisch simuliert”, Meldewege und Mechanismen der Plattformen getestet und relevante Informationsaustausche und Maßnahmen eingeübt worden. An der Simulationsübung haben Vertreter von Google, LinkedIn, Microsoft, Meta, Snapchat, TikTok und X sowie von nationalen Behörden und zivilgesellschaftlichen Organisationen teilgenommen.

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