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Flutkatastrophe im Ahrtal : Wie kann Deutschland in Zukunft besser vorbereitet sein?

Die Hochwasserkatastrophe im Ahrtal hat große Defizite im Bevölkerungsschutz offengelegt. Nun berät der Bundestag über notwendige Konsequenzen.

11.07.2022
2024-01-16T12:44:03.3600Z
4 Min
Foto: picture-alliance/Geisler-Fotopress/Christoph Hardt

Am Tag danach: Blick in das verwüstete Ahrtal am 15. Juli 2021. Das Hochwasser führte in der Nacht davor zu verheerenden Schäden.

Die Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021, in der die verheerende Hochwasserkatastrophe über sie hereinbrach, werden die Menschen im Ahrtal und den anderen betroffenen Regionen wohl ihr Leben lang nicht vergessen. Es war, wie nicht nur Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) vergangene Woche konstatierte, "eine der schlimmsten Naturkatastrophen in der Geschichte der Bundesrepublik" mit mehr als 180 Todesopfern: "Die Fluten rissen alles mit sich - Häuser, Brücken, Straßen, Schulen, Rathäuser, Kirchen und auch Menschen."

CDU/CSU will binnen zehn Jahren 20 Milliarden Euro für Bevölkerungsschutz

Ein Jahr danach beriet der Bundestag in der zurückliegenden Woche gleich dreimal darüber, welche Lehren aus den damaligen Ereignissen für den Bevölkerungsschutz in Deutschland zu ziehen sind. Den Anfang machte am Wochenbeginn eine Sachverständigen-Anhörung des Ausschusses für Inneres und Heimat, gefolgt von einer ersten Debatte über einen CDU/CSU-Antrag mit dem Titel "Aus den Krisen lernen - Für einen starken Bevölkerungsschutz" zwei Tage danach und einer vereinbarten Aussprache über "Lehren für die Zukunft des Bevölkerungsschutzes".

In ihrem Antrag fordert die Unions-Fraktion die Bundesregierung auf, mit den Ländern einen "Pakt für den Bevölkerungsschutz" schließen, "der für zehn Jahre zehn Milliarden Euro für den Zivilschutz und die Katastrophenhilfe des Bundes garantiert und die Länder zu analogen Investitionen in ihren Katastrophenschutz verpflichtet". Auch soll die Regierung nach dem Willen der Fraktion unter anderem mit den Ländern die Strukturen und Abläufe im Zivilschutz- und Katastrophenfall grundlegend prüfen, nationale Reserven in den Bereichen Energie, Trinkwasser, Ernährung und Notfallbetreuung auf- und ausbauen und bis Jahresende "die Warnung der Bevölkerung bundesweit und barrierefrei" sicherstellen.

Faeser will "Neustart im Bevölkerungsschutz" gegen Folgen des Klimawandels

Die Bundesinnenministerin betonte in der vereinbarten Debatte, dass man aus der Flutkatastrophe gelernt habe, aber für einen effektiven Bevölkerungsschutz noch sehr viel tun müsse. Hier habe es in der Vergangenheit "große Versäumnisse" gegeben, wie an den Folgen der Hochwasserkatastrophe sowie während der Corona-Pandemie zu sehen sei und seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Dabei werde man aufgrund des Klimawandels auch in Deutschland künftig immer wieder solche stärkeren Naturkatastrophen erleben. Daher müsse man sich viel besser gegen die Folgen des Klimawandels und anderer Krisen wappnen. Notwendig sei ein "Neustart im Bevölkerungsschutz". Um ihn neu aufzustellen, gehe man "jetzt viele weitere Schritte", fügte Faeser hinzu. Man schaffe eine verlässliche und flächendeckende Warn-Infrastruktur und müsse weiter investieren in das Hilfesystem aus Containern, Zelten, Wassersystemen und einer mobilen Hausarztpraxis, das die "richtige Antwort auf vielfältige Krisen" sei. Daher sei sie dankbar, dass sie die Mittel zur Anschaffung weiterer solcher Module zur Verfügung gestellt bekomme.

Grüne beklagen zu viele Löcher im Warnnetz in Deutschland und fordern "mehr Abdeckung"

Detlef Seif (CDU) betonte, dass neben einer frühzeitigen und flächendeckenden Warnung der Bevölkerung auch sichergestellt werden müsse, dass die Menschen die Warnhinweise verstehen und wissen, wie sie sich verhalten sollen. Bund, Länder und Kommunen müssten sich bestmöglich auf Extremwetterlagen, Großbrände, Pandemien, Terrorlagen, Cyber-Attacken auf kritische Infrastrukturen oder längerfristige Stromausfälle vorbereiten. Wichtig seien dabei "Risikoerkennung, komplettes Lagebild, Einsatz und Verteilung von Kräften und vor allem die professionelle Arbeit der Krisenstäbe".

Leon Eckert (Grüne) kritisierte, das Warnnetz in Deutschland sei zu löchrig, und es brauche jetzt "jeden Schwung, um mehr Abdeckung zu erreichen". So müsse der Bund etwa das Sirenen-Förderprogramm weiterführen, doch müssten die Länder auch selbst solche Programme einrichten und die Kommunen spezifische Warnkonzepte anlegen. Dabei sei die Einsicht noch nie so groß gewesen wie derzeit, dass Veränderungen im Bevölkerungsschutz nötig seien.

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Steffen Janich (AfD) nannte es eine Kernaufgabe der Politik, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um künftig besser auf solche Katastrophen wie vom Sommer vergangenen Jahres vorbereitet zu sein. Die Zuständigkeiten im Katastrophenfall müssten gebündelt werden, zerstörte Kommunikationswege müssten schneller wiederhergestellt werden, und neue Sirenen seien flächendeckend bereitzustellen. Auch müssten Führungskräfte von Katastrophenschutzorganisationen trägerübergreifend gemeinsam ausgebildet werden. Wichtig sei es zudem, "Einsatzstäbe für Katastrophenfälle im Alarmsystem zu schaffen", die innerhalb einer Stunde einsatzfähig und innerhalb von zwei Stunden handlungsfähig sind.

FDP will gesamte Ablaufstruktur im Bevölkerungsschutz überarbeitet haben 

Sandra Bubendorfer-Licht (FDP) forderte, die gesamte Ablaufstruktur im Bevölkerungsschutz zu überarbeiten. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), das nun ausgebaut werde, müsse weiter zur Zentralstelle im Bevölkerungsschutz entwickelt werden. Enorm wichtig seien sofortige Erreichbarkeit, Handlungsfähigkeit und umfassende Unterstützung der Kräfte vor Ort. Mit dem vom BBK und den Landesinnenministern im Juni gestarteten gemeinsamen Kompetenzzentrum sei ein erster Schritt getan, um die Strukturen und Abläufe zwischen Bund und Ländern zu verbessern.

Linke sieht fast identische Probleme wie beim Elbe-Hochwasser 2002 

André Hahn (Linke) kritisierte, dass die Probleme bei der Katastrophe vom Juli 2021 nahezu identisch gewesen seien mit denen beim Elbe-Hochwasser im Jahr 2002: "unzureichende Warnsysteme für die Bevölkerung, massive Störungen der Krisenkommunikation zwischen Kreis-, Land- und Bundesebene, der Ausfall des Telefonnetzes, nicht vorhandene Notstromaggregate und so weiter". Es sei eine Farce, wenn zwar bundesweit Sirenen endlich erneuert würden, aber nicht einheitlich geregelt sei, wie die Bevölkerung auf welche Warntöne reagieren solle.

Dirk Wiese (SPD) sagte, das Hochwasser habe Defizite im Bevölkerungsschutz aufgezeigt, wie etwa mangelhafte Koordination der verschiedenen Ebenen, ein unzureichendes Funktionieren der Alarmkette und das Fehlen eines flächendeckenden Warnsystems. Diese Baustellen müsse man zügig angehen.