Initiative von Grünen und Bundesrat : Sexuelle Identität soll ins Grundgesetz
Die Grünen und der Bundesrat wollen Artikel 3 des Grundgesetzes um das Merkmal der "sexuellen Identität" ergänzt wissen. Eine Mehrheit dafür ist aber nicht in Sicht.
Hinsichtlich der Ergänzung des Artikels 3 im Grundgesetz um das Merkmal der "sexuellen Identität" herrscht Verwirrung. Klar ist: Grüne und Linke wollen das Grundgesetz ändern. Künftig soll Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 lauten: "Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner sexuellen Identität, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden." Ebenso klar ist: Die AfD lehnt das rundheraus ab.
Die Union beantwortet die Frage nach der Grundgesetzänderung mit einem eindeutigen "Jein". Die SPD ist im Grunde dafür, findet aber den von den Grünen dazu beschrittenen Weg falsch. Eben jene Grünen haben nämlich einen dahingehenden Gesetzentwurf eingebracht, den der Bundestag am Donnerstag in erster Lesung beraten hat.

Knutscherei am Christopher Street Day in Berlin: Seit Jahren fordern queere Verbände, den Schutz der sexuellen Identität im Grundgesetz zu verankern.
Schon vor rund sechs Jahren hatten FDP, Grüne und Linke eine ebensolche Initiative gestartet. Anderthalb Jahre später - kurz vor dem Ende der Legislaturperiode im Mai 2021 - sollte darüber abgestimmt werden. Doch der Entwurf wurde kurzfristig von der Tagesordnung genommen.
Die Ampel schließlich hatte das Vorhaben in der 20. Wahlperiode zwar in ihrem Koalitionsvertrag aufgeführt. Einen gemeinsamen Gesetzentwurf gab es jedoch während der gemeinsamen Regierungszeit nicht.
Der Bundesrat spricht sich für die Grundgesetzänderung aus
Fahrt aufgenommen hat das Thema nun durch den Bundesrat, der vor zwei Wochen mehrheitlich beschlossen hat, einen Gesetzentwurf, der wortgleich mit der Grünenvorlage ist, beim Bundestag einzubringen. Und zwar auf Initiative Berlins, dessen Regierender Bürgermeister Kai Wegner CDU-Mitglied ist. Unterstützt wurde Berlin durch das von Manuela Schwesig (SPD) geführte Mecklenburg-Vorpommern sowie durch die von Unions-Ministerpräsidenten regierten Länder Nordrhein-Westfalen (Hendrik Wüst) und Schleswig-Holstein (Daniel Günther). Das einzige Bundesland mit einem grünen Ministerpräsidenten, nämlich Winfried Kretschmann, verweigerte indes die Unterstützung. Weil der Koalitionspartner CDU nicht mitgehen wollte, musste sich Baden-Württemberg bei der Abstimmung enthalten.
Während der Debatte im Bundestag war es schließlich Ansgar Heveling (CDU), der auf Nachfrage von Ulle Schauws (Grüne) erläuterte, wie es sein könne, dass die Unions-Ministerpräsidenten die Grundgesetzänderung für nötig erachten, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion dies jedoch nicht tue. Laut Heveling ist das ein Beleg dafür, "dass wir auch eine Partei der Vielfalt sind, die verschiedene Positionen diskutiert". Die Fraktion sei gegen die Ergänzung, "weil wir sie materiell-verfassungsrechtlich nicht für notwendig ansehen".
Das Grundgesetz schütze schon jetzt "klar und umfassend", befand auch Martin Plum (CDU). In Artikel 2 werde die sexuelle Selbstbestimmung geschützt, Artikel 3 verbiete schon heute Diskriminierungen wegen der sexuellen Orientierung und der geschlechtlichen Identität. Die Ergänzung ändere also nichts, sagte Plum und sprach von Symbolpolitik.
Die Verfassung spiegelt die Rechte von LSBTIQ-Personen nicht angemessen wider
Der Schutz queerer Menschen gehöre ins Grundgesetz, betonte Nyke Slawik (Grüne). Sie räumte ein, dass in den letzten Jahren viele Gesetze erlassen wurden, die im Interesse von LSBTIQ-Personen seien. "Diese Fortschritte spiegeln sich aber nicht in der Verfassung wider", sagte sie.
„Es reicht eben nicht, nur das richtige Ziel zu haben. Man muss auch den richtigen Weg dorthin wählen.“
Die Grünen wollten die sexuelle Identität hineinschreiben, sagten aber nicht, "was diese Wörter eigentlich bedeuten sollen", befand Fabian Jacobi (AfD). Er unterstellt Absicht. Am Ende werde den Wörtern durch das Bundesverfassungsgericht eine Bedeutung "verordnet", an die der Gesetzgeber möglicherweise "nie gedacht hat und die er sogar rundheraus abgelehnt hätte".
Die SPD unterstütze das Ziel, die sexuelle Identität im Grundgesetz zu verankern, machte Carmen Wegge deutlich. Aber: "Es reicht eben nicht, nur das richtige Ziel zu haben. Man muss auch den richtigen Weg dorthin wählen", sagte sie in Richtung der Grünen. Wer das Grundgesetz ändern wolle, müsse dies mit Sorgfalt, mit Gründlichkeit, mit Weitblick und auch mit der Bereitschaft tun, Mehrheiten dafür zu schaffen. So aber sei das Ganze ein Schnellschuss und damit nur Symbolpolitik, urteilte sie.
Von einem Schnellschuss kann aus Sicht von Maik Brückner (Die Linke) keine Rede sein. "Die Idee ist wirklich nicht neu", sagte er. Schon der Verfassungsentwurf des Runden Tisches der DDR habe einen Schutz vor Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung vorgesehen. "Das war vor 35 Jahren." Es sei höchste Zeit, bei dem Thema endlich voranzukommen.

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