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Staatliche Ordnung : Stabilität war das Gebot der Stunde

Die Väter und Mütter des Grundgetzes wollten eine stabile staatliche Ordnung. Der Bundesrat sollte als Stabilitätsanker dienen.

11.04.2023
2024-03-05T13:06:59.3600Z
3 Min
Foto: picture alliance /dpa

Das erste deutsche Bundeskabinett des Bundeskanzlers Konrad Adenauer stellt sich am 20. September 1949 dem Bundesrat in Bonn vor.

Als 1948 die Entscheidung fiel, eine westdeutsche Teilstaatsverfassung auszuarbeiten, lag das Ende des Zweiten Weltkriegs gut drei Jahre zurück. Fast zehn Jahre waren seit dem 9. November 1938 vergangen, als die Synagogen und die jüdischen Geschäfte brannten. 15 Jahre war es her, dass die NS-Diktatur errichtet werden konnte. Die Weltwirtschaftskrise hatte 20 Jahre zuvor begonnen, die Hyperinflation war ein Vierteljahrhundert her, das Ende des Ersten Weltkriegs drei Jahrzehnte.

Wie konnte eine weitere Katastrophe verhindert werden?

Eine solche Abfolge von katastrophalen Ereignissen in einem solch kurzen Zeitraum hatte es in der deutschen Geschichte zuvor nicht gegeben. Es sollte sich nicht wiederholen - das war die Aufgabe für die Verfassungsgeber von 1948/49.Doch wie konnte eine weitere Katastrophe verhindert werden? Die Antwort lautete: Das neue Deutschland braucht eine stabilere Verfassung, als es nach 1918 der Fall war. Die Demokratie sollte stabiler sein, die Gesellschaft, die Wirtschaft, das politische System. Stabilität war das hinter allem stehende Gebot.

Im Artikel 20, gleich nach den unveräußerlichen Grundrechten, ist festgelegt, die neue Republik sei ein "demokratischer und sozialer Bundesstaat". Keine Mehrheit im Bundestag kann das per Gesetz mehr ändern. Dass man zur Demokratie zurückkehrte, war völlig unstrittig. Doch wie sollte sie gestärkt werden? Es lief darauf hinaus, den Bundestag per Verfassung zu zwingen, sich nicht aus dem politischen Spiel zu nehmen wie der Reichstag in der Weimarer Republik.

Der Einfluss des Präsidenten wurde geschwächt

Die Rolle des Kanzlers wurde gestärkt, er hat Möglichkeiten, das Parlament auf sich und seine Regierung zu verpflichten. Der Einfluss des Präsidenten wurde geschwächt, ohne ihn völlig machtlos zu machen. Die verschwommene Machtverteilung zwischen Parlament, Regierung und Präsident, ein Schwachpunkt der Weimarer Verfassung, wurde beseitigt.

Der Wunsch nach Stabilität steht auch hinter der Entscheidung, die neue Republik ausdrücklich als Sozialstaat zu begründen. Aus wirtschaftlicher Not, das steht dahinter, soll niemand mehr in politische Radikalität getrieben werden. Auch die soziale Marktwirtschaft ist ein Ergebnis dieser Entscheidung für ein soziales Staatsziel, das auf den Ausgleich krasser Wohlstandunterschiede hinausläuft - was sich bis hin zum Steuersystem niederschlägt. Dem Staat eine starke oder zumindest aktive Rolle bei der Regulierung der Wirtschaft zuzumessen, war damals Grundkonsens der Parteien - wenn auch noch mit sehr unterschiedlicher Gewichtung, die vom Sozialismus der SPD bis zur Entdeckung des Ökonomen Keynes bei der FDP reichte.

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Eine kleine Revolution bedeutete die Neugewichtung der föderalen Ordnung. Der neue Bundesstaat sollte weniger zentralistisch sein als vor 1933. Auf Bundesebene wurde dazu ein weiterer Stabilitätsanker eingefügt: der neu konzipierte Bundesrat. Dieser sollte nicht mehr als ein Gesandtenkongress von Landesbeamten wirken, sondern wurde zu einem Forum der Landespolitiker, voran der Ministerpräsidenten umgestaltet. Sie wollten im Bund mitregieren, um so den Bund stabiler zu machen. Das mag heute verwundern. Aber eine Unterfütterung der Bundespolitik von den Ländern her, denn die funktionierten zu Weimarer Zeiten insgesamt besser als die Reichsebene, schien den Verfassungsgebern angeraten.

Wer in den Artikel 81 des Grundgesetzes schaut, kann das Ansinnen heute noch erkennen: Dort ist der Bundesrat im Fall des Gesetzgebungsnotstands als Ersatzgesetzgeber vorgesehen. Dazu ist es bisher nie gekommen. Die Bundesrepublik ist seit 1949 stabil geblieben. 

Der Autor ist Korrespondent im Hauptstadtbüro des"Tagesspiegels".