Kurz rezensiert : Als der Liberalismus das Träumen verlernte
Der Historiker Samuel Moyn rechnet mit dem Kalte-Krieg-Liberalismus ab – und fordert, den Liberalismus neu zu denken: mutiger, sozialer, emanzipatorischer.
Die vergangenen Jahre waren für Liberale in den USA keine einfache Zeit. Zweimal mussten sie zusehen, wie Donald Trump ins Weiße Haus einzog - die personifizierte Antithese zu progressiver Politik und Zerstörer liberal-demokratischer Institutionen.
Trotz aller Warnungen vor dem Verbrecher, Dauerlügner, Möchtegern-Tyrannen und schamlosen Profiteur seiner eigenen Politik machten ihn die Wählerinnen und Wähler der USA erneut zum mächtigsten Mann. Warum?
Moyn kritisiert einen ideologisch ausgehöhlten Liberalismus
Der Rechts- und Ideenhistoriker Samuel Moyn gibt darauf eine deutliche, wenn auch indirekte Antwort: Der amerikanische Liberalismus sei ideologisch ausgehöhlt - und habe dem Furor des Populismus nichts mehr entgegenzusetzen.
Ursache sei die historische Fixierung auf den Kalte-Krieg-Liberalismus. Dieser habe, so Moyn, die liberale Tradition "unkenntlich und zertrümmert" hinterlassen: Immer warnend vor der großen Bedrohung von außen, sei er zu ängstlich, zu minimalistisch, ohne Impulse für Gleichheit, Kreativität und sozialen Fortschritt nach innen. Er bereitete Neokonservatismus und Neoliberalismus den Weg. "Der Kalte-Krieg-Liberalismus war eine Katastrophe - für den Liberalismus", lautet dann auch gleich der erste Satz im Buch.

Samuel Moyn:
Der Liberalismus gegen sich selbst.
Intellektuelle im Kalten Krieg und die Entstehung der Gegenwart.
Suhrkamp,
Berlin 2024;
303 S., 30,00 €
Der Tenor dieser Kritik ist nicht neu. Linke und progressive Stimmen haben sich seit den 1960ern am ideellen Mainstream dieser Strömung abgearbeitet, die sich nach den Erfahrungen mit Faschismus und Stalinismus doppelt abgrenzte: gegen Konservatismus und wirtschaftsliberalen Neoliberalismus einerseits (man verteidigte den "New Deal" und baute ihn mit der "Great Society" aus), gegen alles Sozialistische andererseits. Doch gerade diese zweite Abgrenzung bewertet Moyn als folgenreich.
Der Antikommunismus habe nicht nur zu einer oft zynischen Außenpolitik geführt, sondern dem Liberalismus auch den Zugang zu seinen eigenen ideellen Ressourcen verbaut - etwa zu den radikaleren Gleichheitsideen der Französischen Revolution, zu Rousseau, Hegel, Marx, zur Romantik und zum Perfektionismus.
Der Historiker möchte den Liberalismus wieder anschlussfähig machen
Die Analyse dieser (bewussten) theoretischen Engführung ist der Kern von Moyns ambitioniertem Buch. Er analysiert exemplarisch sechs Denkerinnen und Denker, die - so seine These - das Denken des Kalte-Krieg-Liberalismus geprägt haben, indem sie einen "Anti-Kanon moderner Emanzipation" formten.
Bemerkenswert ist, dass Moyn mit dem Literaturkritiker Lionel Trilling nur einen klassischen Vertreter benennt; die übrigen - etwa Hannah Arendt oder Karl Popper - waren eher ideelle Wegbereiter oder kritische Begleiter. Moyns Argumentation bleibt dennoch stringent. Und er will diesen "Anti-Kanon" nicht nur sichtbar, sondern auch nutzbar machen - um den Liberalismus wieder anschlussfähig zu machen.
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