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Ehrengast der Frankfurter Buchmesse : Der Geist der Freiheit

Das Gastland Philippinen präsentiert sich mit einer politisch geprägten Literatur – und einem Nationalhelden, der auch in Deutschland seine Spuren hinterlassen hat.

13.10.2025
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6 Min

Es ist eine kleine Gedenktafel an der Hausfront der Jägerstraße 71 in Berlins Mitte, die an einen Mann erinnert, der den allermeisten Deutschen völlig unbekannt ist: José Rizal. Für den Auftritt der Philippinen als diesjährigem Ehrengast der Frankfurter Buchmesse spielt er hingegen eine überragende Rolle - auch als literarisches Bindeglied zwischen Deutschland und dem südostasiatischen Inselstaat im westlichen Pazifik. 

Ein Arzt, Dichter und Nationalheld sei er gewesen, steht auf der Gedenktafel zu lesen. Und weiter: "Als Reformer und Kritiker der Kolonialregierung Spaniens stand Rizal für den gewaltlosen Widerstand und vollendete in diesem Haus seinen stark autobiographisch geprägten Roman ,Noli me tangere'."

Foto: picture alliance / AA

Mit Themen wie Kolonialismus, Globalisierung und soziale Ungleichheiten wollen sich philippinische Autoren im Herbst auf der Frankfurter Buchmesse präsentieren.

Es ist dann auch ein Zitat aus diesem Roman, der zur Pflichtlektüre philippinischer Schüler gehört, der das Motto des Gastlandauftrittes in Frankfurt darstellt: "Fantasie beseelt die Luft."

José Rizals Jahre in Deutschland und seine Kritik an den Spaniern

Rund 480 Kilometer Luftlinie von Berlin entfernt, im kleinen Örtchen Wilhelmsfeld, erinnert gar eine Statue José Rizals in einem kleinen nach ihm benannten Park an das Wirken des philippinischen Nationalheldens auf deutschem Boden. Nach seinem Medizinstudium in Madrid hatte der 1861 geborene Filipino 1886 an der Heidelberger Universitätsaugenklinik seine in Paris begonnen Fachausbildung der Augenheilkunde fortgesetzt. Für einige Wochen lebte er auf Einladung bei der Familie des Pastors Karl Ullmer im benachbarten Wilhelmfeld. Der Geistliche hatte den Gast aus Übersee ermuntert, Schillers großes Freiheitsdrama "Wilhelm Tell" in seine Muttersprache Tagalog zu übersetzen.

Rizals eigenes, auf Spanisch geschriebenes und 1887 schließlich in Berlin gedrucktes Freiheitsdrama "Noli me tangere" (Rühre mich nicht an) gehört zusammen mit dem Nachfolgewerk "El Filibusterismo" (Die Rebellion), das 1891 in Gent erschien, zu den wichtigsten Werken der philippinischen Literaturgeschichte. Sie sind eine Anklage gegen die Willkür der spanischen Kolonialherrschaft über die Philippinen, gegen Korruption und Landraub, Machtmissbrauch spanischer Priester und Mönche - auch gegen sexuellen Missbrauch einheimischer Frauen.


„Wir sind ein Land, das durch das Lesen zu sich selbst findet - ein Volk, das sich Wort für Wort durch Katastrophen, Kolonialismus, Diktatur und Diaspora getragen hat.“
Philippinische Senatorin Loren Legarda

Nach der vom Seefahrer Ferdinand Magellan gestarteten ersten Weltumsegelung auf der Suche nach einer Westroute zu den Gewürzinseln - Magellan selbst wurde 1521 auf der philippinischen Insel Mactan im Kampf mit Einheimischen getötet - geriet das 7.641 Inseln umfassende Archipel unter die spanische Kolonialherrschaft, die gut 300 Jahre anhalten sollte. 

Mit den Spaniern kamen die christlichen Missionare, der Katholizismus drängte andere Religionen wie den Buddhismus und den Islam zurück. Heute bekennen sich etwa 80 Prozent der geschätzt 116 Millionen Filipinos und Filipinas zum katholischen Glauben. Neben Osttimor sind die Philippinen damit das einzige Land Asiens mit einer katholischen Bevölkerungsmehrheit.

Das Streben nach einer eigenen unabhängigen Nation

Als José Rizal 1892 nach seinem zehnjährigen Aufenthalt in verschiedenen europäischen Ländern auf die Philippinen zurückkehrte, waren seine beiden Werke von den Kolonialherren längst auf den Index gesetzt worden. Überhaupt gärte es im Land. Die im gleichen Jahr von Andrés Bonifacio gegründete Geheimorganisation Katipunan und andere Gruppierungen drängten auf Unabhängigkeit. 

Auch wenn sich Rizal gegen jedwede Gewaltanwendung aussprach, war er der Kolonialverwaltung aufgrund seiner zahlreichen kritischen Veröffentlichungen und politischen Reformvorstellungen ein Dorn im Auge. Wegen Anstiftung zur Rebellion wurde er schließlich zum Tod verurteilt und am 30. Dezember 1896 vor den Toren Manilas erschossen. Bis heute wird auf den Philippinen mit einem Nationalfeiertag (Rizal Day) an sein Leben, sein Werk und seinen Tod gedacht.

Die Amerikaner lösen die Spanier als neue Herren der Philippinen ab

Zwei Jahre nach Rizals Erschießung tobt auf den Philippinen die offene Revolution gegen die Spanier. Das Ende ihrer Kolonialherrschaft wird aber erst durch den Ausbruch des amerikanisch-spanischen Krieges 1898 entschieden. Die von den Revolutionären unter der Führung des Politikers und Militärs Emilio Aguinaldo am 12. Juni 1898 ausgerufene Philippinische Republik wird von den USA nicht anerkannt. Sie lassen sich vielmehr von Spanien neben Kuba, Puerto Rico und Guam auch die Philippinen als neue US-Besitzungen überschreiben.

Bis 1902 zieht sich ein äußerst blutiger Krieg zwischen Amerikanern und den nach Eigenständigkeit streben Filipinos hin. Bis 1946 verwaltet die USA die Philippinen - mit der kurzen Unterbrechung der brutalen japanischen Besatzung im Zweiten Weltkrieg - de facto als Kolonie.

"Das Parlament" auf der Frankfurter Buchmesse

📚 Die Frankfurter Buchmesse ist die größte Buchmesse der Welt. Seit 1988 hat sie ein Gastland oder eine Gastregion, die einen besonderen Schwerpunkt der Messe bildet - in diesem Jahr sind es die Philippinen. 

📍 Die Wochenzeitung "Das Parlament" präsentiert sich und ihr Angebot am Stand des Deutschen Bundestages in der Halle 3.1 (Stand E56).

🗞️ Am Stand gibt es kostenlose Probe-Abonnements, Buchmessen-exklusive Tragetaschen von “Das Parlament” sowie einen Einblick in die Öffentlichkeitsarbeit des Bundestages. Die Präsidentin des Deutschen Bundestages, Julia Klöckner, hat sich für einen Besuch am Freitag angekündigt.



Innenpolitisch gerät die junge Republik nach ihrer Unabhängigkeit schnell erneut in unruhige Zeiten. Der seit 1965 regierende Präsident Ferdinand Marcos, treuer Verbündeter der USA im Kalten Krieg und während des Vietnam-Krieges, unterdrückt die linke Opposition und ruft 1972 das Kriegsrecht aus. Seine Diktatur wird erst 1986 durch eine gewaltlose Revolution beendet. Seit 2022 steht sein Sohn Ferdinand Marcos Junior als Präsident an der Spitze des Staates.

All diese historischen und politischen Eruptionen haben ihren Niederschlag in der Literatur der Philippinen gefunden, deren Bevölkerung sich aus gut 180 verschiedenen Ethnien zusammensetzt und fast ebenso viele verschiedene Sprachen gesprochen werden. "Wir sind ein Land, das durch das Lesen zu sich selbst findet - ein Volk, das sich Wort für Wort durch Katastrophen, Kolonialismus, Diktatur und Diaspora getragen hat und daraus lauter, beharrlicher, menschlicher hervorgegangen ist", meint die philippinische Senatorin Loren Legarda, die den Gastland-Auftritt in Frankfurt initiiert hat.

Philippinische Autoren setzen sich in ihren Werken mit der Marcos-Diktatur auseinander

Die Jahre der Marcos-Diktatur aus der Sicht einer Frau der Mittelschicht hat beispielsweise die 2023 verstorbene Schriftstellerin Lualhati Bautista in ihrem Roman "Die 70er" (Orlanda Verlag 2025) verarbeitet, der auch verfilmt wurde und Vorlage für ein Musical war. Ihre in Manila lebende Protagonistin erlebt die Zeit, in der Marcos das Land unter Kriegsrecht gestellt hat, vor allem aus der Sicht ihres Mannes und ihrer vier Söhne, die zur US-Navy oder in den Widerstand gehen, den Schulbesuch verweigern oder früh Vater werden.

Foto: picture alliance/dpa

Als diesjähriges Gastland können die Philippinen in Frankfurt ihre Literaturszene vorstellen. Auch auf der Leipziger Buchmesse waren sie im Frühjahr schon mit einem Stand vertreten.

Ebenfalls in der Marcos-Diktatur angesiedelt ist der Roman "Killing Time in a Warm Place" (Transit 2024) aus dem Jahr 1992 von Jose Dalisay. Der mehrfach ausgezeichnete Schriftsteller, der als junger Student aktiv in der Widerstandsbewegung gegen Marcos war und inhaftiert wurde, schreibt über Menschen zwischen Anpassung und Widerstand.

Über das niederländische Exil von José María Sison, Gründer der Kommunistischen Partei der Philippinen, und seine Partnerin Julie de Lima schreibt der Journalist Michael Beltran in seinem Essay-Band "Der singende Gefangene und die Bibliothekarin mit nur einem Buch" (Regiospectra Verlag 2025). Der 2022 verstorben Sison war jahrelanger Haft und Folter in der Marcos-Diktatur ausgesetzt.

Die Schriftstellerin Katrina Tuvera lässt ihren Protagonisten auf dem Sterbebett über seine Kindheit auf dem Land während des Krieges, die Unabhängigkeit der Philippinen, seine Verstrickungen in die Marcos-Diktatur, über Verrat und Anpassung, Auflehnung und Unterordnung sinnieren (Wagenbach Verlag 2025).

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Ab dem 15. Oktober öffnet die Frankfurter Buchmesse unter dem Motto "Fantasie beseelt die Luft" wieder ihre Türen. Ehrengast sind in diesem Jahr die Philippinen.

Einen erschütternden Blick in die jüngere Vergangenheit wirft die investigative Journalistin Patricia Evangelista mit ihrem Buch "Some People Need Killing. Eine Geschichte der Morde in meinem Land" (CulturBooks 2025). Über sechs Jahre dokumentierte sie die Ermordung von tausenden Menschen während des von Präsident Rodrigo Duterte - er regierte das Land von 2016 bis 2022 - ausgerufenen Kriegs gegen die Drogenkriminalität. Duterte wurde im März 2025 vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag in Gewahrsam genommen und im September offiziell angeklagt.

Der Pazifische Feuerring und die Gefahr von Naturkatastrophen als Themen

Neben den historischen und politischen Verwerfungen spiegelt sich in philippinischen Literatur aber auch die geografische Lage des Landes. Die Philippinen liegen auf dem Pazifischen Feuerring, sind häufig von Vulkanausbrüchen, Erdbeben und Taifunen betroffen. Nach dem aktuellen Weltrisikobericht haben die Filipinos und Filipinas ein besonders hohes Risiko, Opfer einer Naturkatastrophe zu werden.

Über den Taifun "Haiyan", der die Philippinen im November 2013 traf und etwa 7.300 Menschenleben forderte, schreibt die Schriftstellerin Daryll Delgado in ihrem Roman "Überreste" (Kröner Verlag 2025). Und Francisco Sionil José, einer der bekanntesten Autoren des Landes, erschuf in seinem Roman "Gagamba der Spinnenmann" (Unionsverlag 2025) mit dem Camarin, einer Mischung aus Nobelrestaurant, Nachtclub und Bordell in Manila, eine Metapher für die philippinische Gesellschaft, die am Ende in einem Erdbeben zerstört wird. Und er geht der Frage nach, wer am Ende überlebt, wenn alles in sich zusammenstürzt.


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