Vor 150 Jahren wurde Paul Löbe geboren : Die Tragik eines aufrechten Parlamentariers
Ein vergessener, aber prägender Demokrat: Victoria Krummel hat die erste umfassende Biografie des Sozialdemokraten und Reichstagspräsidenten Paul Löbe vorgelegt.
Selbst seine eigene Partei hat ihn in die zweite Reihe geschoben. Unter den "Größen der Sozialdemokratie" auf der Homepage der SPD sucht man Paul Löbe vergebens. Und auch in der breiten Öffentlichkeit ist er weitgehend in Vergessenheit geraten, obwohl das nach ihm benannte Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestags im Berliner Regierungsviertel die Erinnerung an ihn wachhält.
Dabei stand der vor 150 Jahren, am 14. Dezember 1875, im schlesischen Liegnitz geborene Tischlersohn und gelernte Schriftsetzer Paul Löbe als erster Sozialdemokrat zwölf Jahre lang, von 1920 bis 1932, als Reichstagspräsident an der Spitze des Parlaments. Zuvor hatte er bereits der am 19. Januar 1919 gewählten verfassunggebenden Nationalversammlung in Weimar angehört, war dort erst Mitglied des SPD-Fraktionsvorstand, schließlich Vizepräsident. Als überzeugte Demokrat und Parlamentarier führte Löbe die Volksvertretung durch turbulente Zeiten und kämpfte bis zuletzt für die Republik, die vom ersten Tag an von den radikalen Kräften auf der rechten wie der linken Seite des politischen Spektrums abgelehnt und bekämpft wurde.
Seine Herkunft prägte Löbe menschlich wie politisch
"Paul Löbe war ein einfacher Mann, den die Verhältnisse, in denen er aufgewachsen war, menschlich und politisch geprägt haben", schreibt Victoria Krummel in ihrer zum 150. Geburtstag erschienen Biografie, die am Mittwoch im Beisein von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) und dem früheren Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse (SPD) in der Bundestagsbibliothek vorgestellt wurde - die erste umfassende Biografie Löbes überhaupt. "Das wurde Zeit", sagte Klöckner. Schließlich habe Löbe das Amt "so sehr geprägt wie kaum ein anderer".
Für ihre Darstellung hatte die langjährige Redenschreiberin der Parlamentspräsidenten Norbert Lammert, Wolfgang Schäuble und Bärbel Bas auch Zugang zu bislang unzugänglichen Dokumenten und Schriftwechseln aus dem Privatarchiv eines Urenkel Löbes. Entstanden ist ein ebenso umfassendes wie spannendes Lebensbild, das die Biografie des aufrechten Sozialdemokraten in die wechselvolle deutsche Geschichte vom Kaiserreich bis zur jungen Bundesrepublik einbettet und so einen wichtigen Beitrag zur deutschen Demokratie- und Parlamentsgeschichte darstellt.
„Gegen ein Rollkommando von Friedensstörern ist auch der beste Präsident machtlos.“
Nach Ämtern hat es den bescheidenen Löbe nie gedrängt. So lehnte er Ende 1918 das Angebot von Friedrich Ebert ab, in die Regierung einzutreten. Bei der Wahl zum Parlamentspräsidenten 1920 ließ er sich "in die Pflicht nehmen", so Krummel. Für das überparteiliche Amt prädestinierte ihn seine menschliche, ausgleichende, integre und tolerante Art, die auch der politische Gegner rühmte: "Nicht nur der Mensch, auch der Politiker Löbe erscheint als ein Mann, auf den sich alle einigen konnten." So war es auch eine glückliche Fügung, dass er am 7. September 1949 als ältester Abgeordneter die konstituierende Sitzung des ersten Deutschen Bundestags in Bonn eröffnen durfte.
Eine Kandidatur um das Amt des Reichspräsidenten lehnte er ab
Nach dem frühen Tod Eberts, der am 28. Februar 1925 mit gerade einmal 54 Jahren starb, wollte die SPD ihn sogar als ihren Kandidaten für das Amt des Reichspräsidenten vorschlagen. Doch Löbe lehnte ab. Ihm fehlten die "großen Eigenschaften für das Führer-Amt im Staate", teilte er mit, der feste Willen, die sichere Urteilskraft, die zähe Energie. So wurde der fast 80-jährige erzkonservative Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg zum neuen Staatsoberhaupt gewählt. Wäre die deutsche Geschichte bei einer Wahl Löbes anders verlaufen? Victoria Krummel hält sich mit einer Bewertung zurück.
Victoria Krummel:
Paul Löbe.
Ein Leben für die Demokratie.
Osburg,
Hamburg 2025;
336 S., 28,00 €
Für Julia Klöckner ist die Biografie Löbes aktueller denn je. "Paul Löbe hat erlebt, dass ein Parlament zerfällt, wenn es seine eigenen Regeln nicht mehr durchsetzen kann." Zwar sei man "weit entfernt von Weimarer Verhältnissen", dennoch habe sich auch im Bundestag der Ton der politischen Auseinandersetzung verschärft. “Nicht der Streit ist das Problem, sondern die Strategie, Regeln zu missachten, um die demokratische Institution Bundestag zu beschädigen.”
War Paul Löbe zu tolerant, als überzeugter Demokrat zu nachsichtig im Umgang mit den Feinden der Demokratie? Am Ende half nicht einmal mehr die Verschärfung der Geschäftsordnung, um die tumultartigen Szenen im Reichstag zu beenden. "Das hat schon was Tragisches", meint Wolfgang Thierse. So fühlte sich Paul Löbe mitverantwortlich für das Scheitern der Weimarer Republik, auch wenn er im Rückblick feststellte: “Gegen ein Rollkommando von Friedensstörern ist auch der beste Präsident machtlos.”
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