Piwik Webtracking Image

Völkermord an den Armeniern : "Eine Zufriedenheit des Herzen"

Am 15. März 1921 wird der ehemalige türkische Innenminister Talaa Pascha in Berlin erschossen. Die Tat war die Rache für den Völkermord an den Armeniern.

18.03.2024
2024-03-18T15:28:26.3600Z
2 Min

Noch vor seiner Niederlage im Ersten Weltkrieg verhalf das kaiserliche Deutschland dem türkischen Innenminister Mehmed Talaat Pascha zur Flucht. Unbehelligt lebte er unter falschem Namen in Berlin. Zweieinhalb Jahre später, am 15. März 1921, wurde er von dem armenischen Studenten Soghomon Tehlerjan erschossen. Laut dem Gerichtsprotokoll sagte der Täter zu den Passanten, er wüsste, was er getan habe. Es sei für Deutschland kein Schaden.


Birgit Kofler-Bettschardt:
"Ich habe getötet, aber ein Mörder bin ich nicht."
Der Völkermord an den Armeniern, die Rache der Opfer und die Geheimoperation Nemesis.
Ueberreuter,
Wien 2024;
208 Seiten, 25,00 €


Der Prozess gegen Tehlerjan im Juni endete mit einem sensationellen Urteil, das Justizgeschichte schrieb: Der Täter wurde freigesprochen, obwohl er freimütig erklärt hatte, nach dem Attentat "eine Zufriedenheit des Herzens" empfunden zu haben. Die vom Gericht bestellten Gutachter diagnostizierten bei Tehlerjan keine Geisteskrankheit, auch wenn sie Pathologien nicht ausschließen wollten.

Armenische Rächer liquidierten die Verantwortlichen

Zudem scheiterte ein Versuch des Richters, dem Angeklagten traditionelle Tatmotive zu unterstellen: "Existiert die Sitte der Blutrache bei den Armeniern?" Dies verneinte Tehlerjan und betonte, er sei nur ein Überlebender der Massaker, die Talaat organisiert habe. Während des Prozesses kamen auch Augenzeugen der Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich zu Wort, bei den bis zu 1,5 Millionen Menschen ermordet worden waren. Zu den Initiatoren des Völkermordes in den Jahren 1915 und 1916 hatten neben Talaat Pascha auch andere Mitglieder der jüngtürkischen Regierung gehört.

Der Jura-Student Raphael Lemkin, ein polnischer Jude, beobachtete den Prozess in Berlin und warf die Frage auf, ob ein Überlebender Selbstjustiz verüben dürfe. Später sollte Lemkin den Begriff "Genozid" definieren und die Grundlage für die Genozid-Konvention der Vereinten Nationen vom 12. Dezember 1948 schaffen. Darin wurde Völkermord international geächtet und strafbewehrt.

Obwohl die Siegermächte die Verantwortlichen des Völkermordes nach dem Ersten Weltkrieg zu Kriegsverbrechern erklärten, kam kaum einer von ihnen ins Gefängnis. Stattdessen wurde einer nach dem anderen von armenischen Rächern liquidiert.

In Armenien sind sie Nationalhelden

Die österreichische Publizistin Birgit Kofler-Bettschart hat sich wie eine Kriminalistin auf die Spuren der Attentäter dieser Geheimoperation "Nemesis" gemacht. In ihrem empfehlenswerten, informativen Buch beschreibt sie nicht nur die Vorgehensweise der Gruppe "Nemesis", sondern auch, wie ihre Taten heute bewertet werden. In Armenien werden sie als Nationalhelden verehrt. Für die Türkei wiederum sind sie Terroristen, während Massenmörder wie Talaat als Nationalhelden gelten.

Mehr Buchrezensionen

Mehr zum Thema Eskalation der Gewalt
Joseph Croitorus neues Buch über den Gazakrieg: Eskalation der Gewalt

Birgit Kofler-Bettschart ist es gelungen, ein schwieriges Thema sachlich darzustellen. Dies betrifft auch die komplexen internationalen Beziehungen im Kaukasus. Die europäischen Verbündeten Armeniens, insbesondere Frankreich und Großbritannien, lieferten die junge Republik Armenien (1918 bis 1920) der kemalistischen Türkei und der Sowjetunion aus. Moskau "sowjetisierte" Armenien. Damit nicht genug: Die historischen armenischen Siedlungsgebiete Nachitschewan und Berg-Karabach lieferte Moskau auf Druck der Türkei der Aserbaidschanischen Sowjetrepublik aus. Die Türkei selbst verleibte sich armenische Gebiete um Kars ein.