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Biografie über Walter Ulbricht : Treuer Stalin-Anhänger

Im ersten Band seiner Biografie über Walter Ulbricht beschreibt der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk den Lebensweg des späteren kommunistischen Diktators bis 1945.

23.09.2023
2024-01-30T10:26:13.3600Z
3 Min

Noch immer verbinden viele Menschen mit Walter Ulbricht den Mann, der wegen seiner Fistelstimme, seines sächsischen Dialekts und seines Spitzbarts immer wieder verspottet wurde. Doch der erste DDR-Staats- und SED-Parteichef ist an solchen Äußerlichkeiten nicht zu beurteilen. Besaß er doch eine extreme politische Willens- und Durchsetzungskraft, mit der er die SED-Diktatur aufbaute und ihr seinen Stempel aufdrückte.

Foto: picture alliance / imageBROKER

Briefmarken aus der ehemaligen DDR mit dem Porträt des ersten Staats- und SED-Parteichefs Walter Ulbricht.

Die bisherigen Biografen deuteten sein Leben, Denken und Handeln meist mit Blick auf sein späteres politisches Wirken als Diktator. Der DDR- und Kommunismusexperte Ilko-Sascha Kowalczuk möchte ihn in seiner auf zwei Bände angelegten wissenschaftlichen Biografie aus dem Kontext und dem Wissen der jeweiligen Zeit heraus verstehen und mit bestehenden Legenden und Vorurteilen aufräumen: Zugreifend auf eine Fülle neuer Quellen, bereits bekannte neu deutend und Lücken aufzeigend. In essayistischer Manier erläutert er zunächst seinen methodischen und persönlichen Zugang zur Person. "Walter Ulbricht war mir immer fremd. Er ist mir beim Schreiben dieser Biographie nicht zu nahe gekommen", heißt es einleitend, seine wissenschaftliche Distanz betonend. Gleichwohl gelingt es ihm im ersten Band der Biografie, mitunter etwas sehr detailverliebt und ausschweifend, den Lerinnen und Lesern Ulbrichts Charakter und seinen politischen Aufstieg in der kommunistischen Arbeiterbewegung bis 1945 nahe zu bringen. Nicht zuletzt fängt Kowalczuk dabei das politische, wirtschaftliche, soziale und ideologische Klima ein, das Ulbricht zu seiner Zeit prägte und zum "deutschen Kommunisten" hat werden lassen.

Radikalisierung nach Novemberrevolution

So wuchs der 1893 in Leipzig geborene Ulbricht in bescheidenen Verhältnissen auf, bekam früh das "Kommunistische Manifest" von Marx und Engels in die Hände und war mit 15 Jahren als Tischlerlehrling in der Arbeiterjugend bereits als Diskussionsredner aktiv, beobachtete die sozialen und politischen Spannungen im Kaiserreich und in seiner Region sehr genau. Kowalczuk zeigt am Beispiel zahlreicher Aktionen, Artikel und Reden von Ulbricht eindrücklich, wie sich dessen ideologische Positionen und politische Aktivitäten während der Novemberrevolution 1918/19 und in der Weimarer Republik immer weiter radikalisierten. Für ihn standen die revolutionäre Überwindung des Parlamentarismus, der Kampf gegen die Sozialdemokratie sowie die Errichtung einer Diktatur des Proletariats unter Führung der Kommunistischen Partei im Zentrum. Die 1919 gegründete KPD war von nun an seine politische Heimat, wo er wegen seines Organisations- und Mobilisierungstalents, seines Arbeitseifers und seiner Prinzipientreue rasch aufstieg und von der sächsischen und thüringischen Provinz bald nach Berlin in die Parteizentrale wechselte.

Anhand von Ulbrichts politischer Karriere zeichnet Kowalczuk bis ins kleinste Detail die innerparteilichen Machtkämpfe sowie die hitzigen Auseinandersetzungen innerhalb des Parteiapparats nach, die über die revolutionäre Taktik zum Sturz der Demokratie von Weimar entbrannten. Im Zuge der kommunistischen Aufstandsversuche 1923 und seines politischen Wirkens in der Illegalität sowie während seiner Aufenthalte in der Sowjetunion und ab 1928 als Reichstagsabgeordneter der KPD zeigte sich Ulbricht zunehmend als treuer Anhänger Stalins, der die Vorgaben aus Moskau in Deutschland eilfertig umzusetzen versuchte. Ulbricht wie auch seine Parteigenossen verkannten in der Endphase der Weimarer Republik jedoch, dass nicht die Sozialdemokraten, sondern die Nationalsozialisten zu bekämpfen waren, und die Massen keineswegs hinter ihnen standen.

In den Untergrund abgetaucht

Mit der Machtübertragung auf Hitler im Januar 1933 musste Ulbricht erneut in den Untergrund abtauchen, versuchte von dort den kommunistischen Widerstand gegen das NS-Regime zu organisieren sowie das Überleben der Partei und sein eigenes darin zu sichern. Kowalczuk verfolgt Ulbrichts Spuren bis in den letzten politischen, programmatischen und geografischen Winkel, rekonstruiert seine Versuche eine Aktions-, Einheits- oder Volksfront zu bilden, um so die proletarische Revolution herbeizuführen und Hitler zu stürzen. Hierbei arbeitet er äußerst akribisch heraus, welchen politischen Spielraum Ulbricht im Moskauer Exil besaß und welche Ziele er mit Blick auf die Nachkriegszeit und die Errichtung einer kommunistischen Diktatur in Deutschland verfolgte.

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Nach gut 1.000 Seiten bekommt der Leser eine präzise und vor allem umfassende Vorstellung davon, was den ersten kommunistischen Diktator in Deutschland politisch prägte und antrieb. Die Biografie besticht vor allem durch ihre Unvoreingenommenheit, ihre faktengesättigte Dichte und sichere Kontextualisierung. Kowalczuk zeichnet das bislang differenzierteste Bild von Ulbrichts Charakter, Denken und Handeln bis 1945. Man darf auf den zweiten, für nächstes Jahr avisierten zweiten Band gespannt sein. Er wird letztlich zeigen, wie sehr seine politischen Erfahrungen, individuellen Erlebnisse und ideologischen Überzeugungen seine spätere Politik bestimmten und er die von ihm ersehnte Macht missbrauchte.

Ilko-Sascha Kowalczuk:
Walter Ulbricht.
Der deutsche Kommunist (1893-1945).
C.H. Beck,
München 2023;
1.006 S., 58,00 €