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Buchrezension : Krieg, Handel und Piraterie

Ein wissenschaftlicher Sammelband räumt auf mit romantischen Mythen und politisch motivierten Deutungen über den Seeraub.

23.09.2023
2024-01-30T10:26:34.3600Z
2 Min

Ich müsste keine Schifffahrt kennen: Krieg, Handel und Piraterie, dreieinig sind sie, nicht zu trennen." Keine deutsche Publikation zur Geschichte der Piraterie kommt um dieses Zitat herum, dass Johann Wolfgang von Goethe seinem Mephisto in "Faust. Der Tragödie zweiter Teil" in den Mund gelegt hat. Da macht auch der von Rainer Hank, Hartmut Leppin und Werner Plumpe herausgegebene Sammelband "Alle, die mit uns auf Kaperfahrt fahren" keine Ausnahme. Dies liegt nicht nur daran, dass ein Goethe-Zitat intellektuell immer schmückt. Der Dichterfürst hat auch einen bemerkenswerten Zusammenhang in der Geschichte der Seefahrt kurz und prägnant auf den Punkt gebracht.

Kaum hatten die frühen Zivilisationen den gewinnbringenden Nutzen des Transports und Austauschs von Waren im großen Stil auf dem Wasserweg für sich entdeckt, fanden sich bereits sinistre Gestalten, die die Jagd auf diese Waren eröffneten. Doch schon das griechische Wort "peiratés" für Pirat zeugt davon, dass zwischen den Schrecken der Meere und den gejagten Händlern eine klare Abgrenzung mitunter gar nicht so einfach ist. Übersetzen lässt es sich schlicht und ergreifend als Seeräuber, aber auch als Unternehmer, wie Hartmut Leppin in seinem Beitrag über die Piraterie im antiken Griechenland darstellt. So sei der Übergang von Piraterie zu regulärem Handel und zum Söldnerwesen fließend gewesen, schreibt der Althistoriker.

Unterschiedliche Motivationen

An diesem Zustand sollte sich im Verlauf der Jahrhunderte bis ins 19. Jahrhundert im Grunde wenig ändern. Piraten raubten und plünderten mal auf eigene Rechnung, mal im Auftrag einer Seemacht, oder weil sich gerade die Gelegenheit ergab. Und als Pirate wurde stets der andere Gewaltausübende zur See angesehen. Für Spaniens Krone waren Seefahrer wie John Hawkins und Francis Drake zweifellos Piraten, für die Engländer waren es heldenhafte Abenteurer, die mit stillschweigender Billigung von Königin Elisabeth I. die spanische Handelsmonopole in der Neuen Welt in Frage stellten und dabei zum offenen Seeraub übergingen. Bereits die Vielzahl der Begrifflichkeiten wie Korsar, Freibeuter, Bukaniere oder Vitalienbrüder zeigen, dass der Raub zur See zu allen Zeiten und in unterschiedlichen maritimen Räumen ganz unterschiedliche Motivationen und Ausprägungen haben konnte.

Die Beiträge des Sammelbandes gehen denn auch ganz unterschiedlichen Fragestellungen nach. Sie alle eint, dass sie mit den romantischen Mythen und politisch motivierten Deutungen von Piraten als frühe radikale Demokraten oder Proto-Sozialisten hart ins Gericht gehen. Neben ökonomischen, politischen und sozialen Aspekten behandeln vier der insgesamt 14 Beiträge, wie sich das Phänomen Piraterie in der Kunst niederschlug.

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Trotz seines schmissigen Titels und des vom Buchcover finster dreinblickenden Piraten "Blackbeard" bietet der Sammelband einen streng wissenschaftlichen Blick und zeigt sich auf der Höhe des aktuellen Forschungsstandes.

Als Einsteigerlektüre in das Thema ist er nicht gedacht. Für Kenner der Materie bietet das Buch aber kluge Fragestellungen und Antworten.

Rainer Hank, Hartmut Leppin, Werner Plumpe (Hg.):
»Alle, die mit uns auf Kaperfahrt fahren.«
Piratengeschichten auf den Meeren der Welt.
Campus,
Frankfurt/M. 2023;
264 S., 36,00 €