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Glosse : Der Abgeordneten neue Kleider

In den Bundestag ist wieder eine alte Protestform eingezogen: das modische Statement. Doch am Ende steht der Kaiser in seinen neuen Kleidern immer nackt da.

27.06.2025
True 2025-06-27T11:50:44.7200Z
2 Min

"Man sieht, es geht heute farbenfroh zu in diesem Parlament." Mit einem Lächeln und einem Augenzwinkern kommentierte Bundestagsvizepräsidentin Andrea Lindholz am Donnerstag die Reihen der buntgekleideten Abgeordneten bei Grünen und Linken. Etliche Parlamentarier hatten sich demonstrativ in die Farben des Regenbogens gekleidet - aus Protest gegen die Entscheidung von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner, dass die Regenbogenflagge künftig nur noch am 17. Mai, dem internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie, auf dem Reichstagsgebäude gehisst werden darf. Kleider machen eben Leute.

Manch älteres Semester mochte sich da an die gute alte Zeit in den 1980er Jahren erinnert fühlen: Als die Ur-Grünen um Petra Kelly noch strickend, häkelnd und die Sonnenblumen auf den Pulten gießend frischen Wind in den Plenarsaal und die deutsche Politik bringen wollten. Statt bunten Shirts trugen sie damals aber eher Strickpullis und Latzhosen. Kleider machten eben Leute.

Wenn der Protest-Schlabberlook dem feinen Zwirn weicht

Ganz anders sieht das heute aus. Der Protest-Schlabberlook ist längst dem feinen Zwirn gewichen: Hosenanzüge statt ausgebeulter Jeans, Sakkos und Blazer statt Norwegerpullis. Kleider machen eben Leute. Gestrickt und gehäkelt wird bei den Grünen auch schon lange nicht mehr. Und wenn sie es täten, dann nicht mehr für den Weltfrieden, sondern warme Unterwäsche für die ukrainischen Soldaten im nächsten Kriegswinter. Auch Uniformen machen eben Leute. Nur, dass bei den Grünen aktuell eher niemand Uniform trägt.

Überhaupt fühlt man sich angesichts wiederkehrender modischer Protestnoten - sei es in Form von Baskenmützen oder den unvermeidlichen Pali-Tüchern - an das Märchen vom Kaiser und seinen neuen Kleidern erinnert. Der stand am Ende ziemlich nackt da.

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