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Vor 20 Jahren : (K)eine Verfassung für Europa

2005 stimmte der Bundestag für die EU-Verfassung. Kanzler Schröder sprach von einem „historischen Schritt“. Trotz breiter Zustimmung sollte das Projekt scheitern.

06.05.2025
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3 Min

Man solle "sparsam" mit dem Begriff "historisch" umgehen, erklärte Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) vor dem Bundestag. Doch an jenem 12. Mai 2005 benutzte er dieses Wort bewusst. Denn das, worüber das Parlament damals zu entscheiden hatte, "verdient dieses große Wort", sagte er. Mit 569 Ja- gegen 23 Nein-Stimmen votierte der Bundestag an diesem Tag für die sogenannte Verfassung für Europa. Die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit wurde damit deutlich übertroffen.

Foto: picture alliance/SZ Photo

Während der Bundestag am 12. Mai 2005 klar für die EU-Verfassung stimmt, gibt es vor dem Reichstagsgebäude Demonstrationen dagegen.

Der "Vertrag über eine Verfassung für Europa", so die offizielle Bezeichnung, war zwischen Februar 2002 und Juli 2003 von einem Verfassungskonvent erarbeitet und im Oktober 2004 in Rom feierlich unterzeichnet worden. Damit trat die Verfassung jedoch noch nicht in Kraft: Zunächst mussten alle 25 Mitgliedstaaten zustimmen.

EU-Verfassung soll demokratische Strukturen stärken

Schröder betonte in seiner Rede, die EU werde durch die Verfassung nicht nur demokratischer, sondern auch bürgernäher. Das Europäische Parlament werde gestärkt und erhalte mehr Mitwirkungsrechte. So sollten EU-Parlament und Ministerrat gleichberechtigt über europäische Gesetze entscheiden. Nationale Parlamente erhielten laut Schröder zusätzliche Rechte zur Kontrolle und Information. Die Bundesregierung sei bestrebt, diese Neuerungen auch in einer Vereinbarung mit dem Deutschen Bundestag "Rechnung zu tragen".

Schröder erklärte weiter, dass die Kompetenzen zwischen der nationalen und europäischen Ebene durch die Verfassung deutlicher getrennt seien. Und das Prinzip "Ein Bürger, eine Stimme" sei durch die Regelung der doppelten Mehrheit gesichert: Beschlüsse gelten dabei nur als angenommen, wenn mindestens 55 Prozent der Mitgliedstaaten, die gleichzeitig zusammen mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten, zustimmen.


Gerhard Schröder im Porträt
Foto: DBT/Lichtblick/Achim Melde
„Wer in Europa mehr Demokratie will, muss dieser Verfassung zustimmen.“
Ex-Kanzler Gerhard Schröder (SPD)

Unions-Fraktionsvorsitzende Angela Merkel (CDU) hob in der Debatte hervor, dass Freiheit, Gleichheit und Solidarität als Grundprinzipien der Demokratie und des Rechtsstaats nun fest "als Identität der Europäischen Union" im Verfassungsvertrag verankert seien. Die Union hätte sich jedoch eine klarere Bezugnahme auf das jüdisch-christliche Erbe gewünscht. Merkel meinte, dass ein eindeutiger Gottesbezug im Verfassungstext "mit Sicherheit geholfen" hätte, die europäische Identität klarer zu definieren. Trotz einiger Kritikpunkte an der Verfassung erklärte sie, dass sie "mit vollem Herzen Ja sagen" könne.

Volksentscheide stoppen europäische Verfassungspläne

Unterdessen kündigte Peter Gauweiler (CSU) den erneuten Gang vor das Bundesverfassungsgericht an. Er fand, durch die EU-Verfassung werde das Grundgesetz der Bundesrepublik "zur Disposition gestellt". Mit einer ersten Klage war Gauweiler im April 2005 aus formalen Gründen gescheitert.

Letztlich sollte auch die EU-Verfassung scheitern. "Wer in Europa mehr Demokratie will, muss dieser Verfassung zustimmen", appellierte Kanzler Schröder. Doch das taten Franzosen und Niederländer nicht. In den beiden Nachbarstaaten gab es - anders als in Deutschland - Volksabstimmungen über die Verfassung. In den beiden Referenden votierten die Bürger mehrheitlich mit Nein, woraufhin die Ratifizierungsprozesse in mehreren Ländern ausgesetzt wurden. Die wesentlichen Neuerungen der Verfassung wurden jedoch 2009 im Vertrag von Lissabon übernommen.

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