
Ausstellung im neuen Forum Kunst im Bundestag : 19 Grundrechte, 19 künstlerische Positionen
Was bedeutet uns das Grundgesetz? 19 Künstlerinnen und Künstler haben sich mit seinen ersten 19 Artikeln befasst. Ihre Werke überraschen, provozieren und mahnen.
Fein gestickt ziehen sich die roten und blauen Linien kreuz und quer über die großformatige, wüstensandfarbene Leinwand, die Tuli Mekondjo aus fünf Teilen zusammengenäht hat - eine sinnbildliche Landkarte ihrer namibischen Heimat. Die Linien stehen für Eisenbahntrassen, welche die deutsche Kolonialmacht namibische Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter zwischen 1884 und 1915 durch das sogenannte Deutsch-Südwestafrika bauen ließ.
Entlang der Linien finden sich auch Zeichen für Arbeitscamps und Konzentrationslager, in denen aufständische Herero und Nama mit ihren Familien interniert wurden. Über 100.000 Menschen verloren damals ihr Leben. Sie verhungerten, starben an Misshandlungen oder wurden erschossen. Schwarz-Weiß-Fotografien, die Mekondjo auf die Leinwand druckte, geben den Opfern ein Gesicht - den Männern, aber bewusst auch den oft noch wenig beachteten und ungewürdigten Frauen. Sie scheinen den Betrachter direkt anzusehen.
Die Kolonialverbrechen sind ein dunkles Kapitel der deutschen Geschichte, an das die 1982 geborene Künstlerin mit ihrem Werk "Echoes of the Matriarchs" erinnert. 2021 erkannte Deutschland den Völkermord an Herero und Nama an. Doch die Umsetzung eines Versöhnungsabkommens stockt. Die Aufarbeitung dauert an.
Das Forum Kunst im Bundestag zeigt die künstlerische Interpretation der Grundrechte
Tuli Mekondjo ist eine von insgesamt 19 deutschen und internationalen Künstlerinnen und Künstlern, die der Kunstbeirat des Deutschen Bundestages aus Anlass des 75. Jahrestags des Grundgesetzes 2024 eingeladen hat, sich mit dessen ersten 19 Artikeln, den Grundrechten, auseinanderzusetzen. Tuli Mekondjo schuf daraufhin ihr Bild in Referenz zu Artikel 1 des Grundgesetzes: "Die Würde des Menschen ist unantastbar."
Andere renommierte Künstler wie der Fotograf Harald Hauswald, die Performance-Künstlerin Kubra Khademi, Konzeptkünstler Axel Haacke oder die bildende Künstlerin Uli Aigner, die Kristina Volke, Kuratorin der Kunstsammlung des Bundestages, gewinnen konnte, befassten sich etwa mit dem Versammlungsrecht, der Meinungsfreiheit, dem Recht auf Eigentum oder dem Schutz der Wohnung.
Die so entstandenen Werke, zu denen Installationen, Collagen und Gemälde genauso gehören wie Fotografien, Plakate oder Siebdruck- und Textilarbeiten, zeigt der Bundestag nun in der Ausstellung "WIR. 19 Grundrechte. 19 künstlerische Positionen. Ein Gesprächsraum" im neuen Forum Kunst im Bundestag.
Die Kunstwerke sollen zum Dialog einladen
Tatsächlich sollten die Werke, die in neu bezogenen Räumen im Anbau des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses einen Platz gefunden haben, einen Gesprächsraum schaffen, erklärte Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) bei der Eröffnung der Ausstellung am Mittwochabend. Mit ihren Arbeiten gingen die Künstler in den Austausch mit Politik und Bürgern. Ein wichtiger Schritt, so Klöckner: "Dieser Dialog ist etwas, das unsere demokratische Kultur ausmacht."
Die Kunstwerke reflektierten das Grundgesetz und seinen aktuellen Zustand, zeigten Deutschland als Zufluchtsort, thematisierten aber auch Fehlentwicklungen oder hielten dem Betrachter einen Spiegel vor. So wie es buchstäblich Monica Bonvicinis Werk zu Artikel 3 tut, dessen erster Satz lautet: "Jeder Mensch ist vor dem Gesetz gleich". "Egal ist nicht gleich", steht in gesprayten Buchstaben auf einem Spiegel, der an mehreren Stellen durchlöchert ist. Ein Hinweis auf die Unvollständigkeit des Gesetzestextes, der alte und queere Menschen nicht explizit nennt und vor Diskriminierung schützt, aber auch ein Appell an die eigene Verantwortung, zu handeln.
„In Zeiten, in denen demokratische Werte weltweit unter Druck geraten, braucht es solche künstlerischen Impulse mehr denn je.“
"Unser Grundgesetz ist nie fertig. Zeiten ändern sich genauso, wie unser Blick darauf", sagte Klöckner. Als die Mütter und Väter das Grundgesetz 1949, nach den Erfahrungen von Krieg, Nationalsozialismus und Holocaust erarbeiteten, seien die 19 Grundrechte eine "Vision für eine bessere Zukunft" gewesen, formuliert es Kuratorin Kristina Volke, "Leitideen, wie wir Deutsche in Frieden und Freiheit leben und Gemeinschaft gestalten wollen."
Und was bedeuten Menschenwürde, Gleichheit und Freiheit heute? Mit ihren Arbeiten zeigen die 19 Künstler ihre Sicht auf die Grundrechte, mal kritisch, mal mahnend und manchmal auch provozierend: Das sei richtig so, findet die Bundestagspräsidentin: “In Zeiten, in denen demokratische Werte weltweit unter Druck geraten, braucht es solche künstlerischen Impulse mehr denn je.”
Die Ausstellung ist noch bis zum 21. Juni 2026 im Forum Kunst im Bundestag, Luisenstr. 30, 10117 Berlin, zu sehen und kann dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr besucht werden.
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