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Parlamentarisches Profil : Die Aktivistische: Clara Bünger

Im Bundestag reden nur wenige Abgeordnete häufiger als Clara Bünger. Die nachgerückte Linken-Abgeordnete setzt sich seit Jahren für die Rechte von Geflüchteten ein.

15.03.2024
2024-03-15T09:20:32.3600Z
3 Min

Einen Hauch Müdigkeit hört man aus ihrer Stimme, aber das lässt sich kaum vermeiden, ist Clara Bünger doch eine Abgeordnete, die vieles selber macht - gerade hatte sie ins Handy noch rasch ein Zitat an eine Nachrichtenagentur getippt, dann hält sie das Telefon wieder ans Ohr. Und warum so viel allein? "Weil es viel zu tun gibt", sagt sie. "Ich könnte noch zehn weitere Personen einstellen, aber unsere Ressourcen sind eben begrenzt."

Foto: picture alliance/Geisler-Fotopress

Im Januar 2022 für Katja Kipping nachgerückt

Bünger, 37, Linken-Politikerin aus dem Wahlkreis Erzgebirgskreis I, will nach dem Auszug von Abgeordneten hin zum Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) für die dezimierte Gruppe viel übernehmen. Die Juristin sitzt in den Ausschüssen für Recht und für Innen, bis Dezember 2023, vor Auflösung ihrer Fraktion, ferner im Untersuchungsausschuss zu Afghanistan, "da sind schon mal 14 Stunden on top dazugekommen", sagt sie und lächelt. Einmal habe sie ihre Bildschirmzeit zählen lassen, Bünger kam in der Woche auf durchschnittliche 16 Stunden am Tag. Ihr Fußballtraining bei Türkiyemspor Berlin fällt aus, seit sie im Januar 2022 für Katja Kipping nachrückte, die in Berlin Senatorin wurde. Seitdem heißt es: Bünger auf vielen Kanälen. Ist sie doch flucht- und rechtspolitische Sprecherin, und dieses Thema ist gefragt.


„Eine Abschiebung bringt keinen Kita-Platz, sie zahlt nicht auf die Rente ein und sorgt auch nicht für mehr Zahnärzte.“
Clara Bünger (Die Linke)

So ist Bünger seit ihrer eigentlich noch kurzen Amtszeit schon jetzt auf Platz 7 jener Abgeordneten, welche die meisten Reden halten. Allein in dieser Woche hat sie es mit Tagesordnungspunkten im Bundestag wie "Länder und Kommunen in der Migrationskrise nicht im Stich lassen" zu tun, den die Unionsfraktion einbrachte. "Die CDU kratzt häufig an der Oberfläche", sagt sie, "schaut aber nicht, wie die Lage tatsächlich in den Kommunen ist". Sie sehe ja, dass viele Kommunen überlastet seien, "aber nicht alle, da gibt es kein Schwarz und Weiß". Bünger hatte sie angeschrieben - und Antworten erhalten. "Natürlich braucht Migrationspolitik viel Unterstützung, aber die Pro-Kopf-Pauschale für untergebrachte Geflüchtete ist für die Kommunen niedriger, als es zu Zeiten Horst Seehofers als Bundesinnenminister war." Und die CDU, die häufig in den Ländern regiert, sei mitverantwortlich, dass Kommunen kaputtgespart seien. "Eine Abschiebung bringt keinen Kita-Platz, sie zahlt nicht auf die Rente ein und sorgt auch nicht für mehr Zahnärzte." Die Realität, schiebt sie einen Moment später nach, werde oft nicht gesehen.

Engagement für Geflüchtete: Ein Jahr Rechtsberatung auf Chios

Bünger ist vom Fach. 2016 zog sie für ein Jahr auf die griechische Insel Chios, wo sie die Rechtsberatung für Geflüchtete übernahm. "Die Leute steckten dort fest, sie kannten nicht das Rechtsverfahren." Damals gab es keine Vertreter der EU oder der UN auf der Insel. Sie wachte nachts auf, wenn Boote anlandeten, und sah ihnen tagsüber zu, wie sie mit den Wellen kämpften. Das politische Engagement für Menschenrechte aber begann schon früher.

Als Bünger zehn war, zog ihre Familie von Oldenburg ins sächsische Freiberg. Ihr Elternhaus war "sehr politisch", das färbte ab. Als Jugendliche gründete sie mit anderen die Initiative Buntes Leben, stritt gegen rechtsextreme Strukturen, erfuhr selber Gewalt. Das prägte. Vor ihrem Rechtsreferendariat arbeitete sie in einer Kanzlei in Israel zu den Themen Holocaustentschädigung und Ghettorenten; von 2018 bis 2022 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin der Linken-Abgeordneten Gökay Akbulut. In all den Jahren geblieben sind ihre Kontakte in viele Organisationen, Flüchtlingsräte und Kirchen hinein, welche sich für Geflüchtete einsetzen.

Bünger sieht den politischen Betrieb in der Pflicht, Antworten auf Probleme zu finden. In der Migrationspolitik stellt sie fest: "Die Zahlen sind heute nicht so hoch wie 2016." Stattdessen wird über die Einführung einer Bezahlkarte für Asylbewerber diskutiert, "ein Instrument der Entrechtung. Warum sollte jemandem verwehrt werden, zum Beispiel Gebrauchtes günstig privat einzukaufen?" Bünger schlägt hingegen ein Konto für alle vor. "Die AfD verbessert die Lage keines einzigen Menschen", bilanziert sie. "Aber es ist der leichtere Weg, nach unten zu treten."

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