Konjunktur : Wie ernst ist die Lage wirklich?
Opposition und Regierung beurteilen die Wirtschaftslage höchst unterschiedlich. Bei der Frage, was nun zu tun ist, sind beide aber gar nicht so weit auseinander.

Aktuelle Wirtschaftsdaten deuten eine deutliche Eintrübung des Konjunkturhimmels an.
Deutschland steckt in der Rezession. Im laufenden Jahr werde das Bruttoinlandsprodukt um 0,3 Prozent sinken, erwartet die Bundesbank in ihrer Prognose vom Juni. Immerhin: Für 2024 und 2025 prognostizieren die Währungshüter ein Wachstum von 1,2 und 1,3 Prozent. "Die deutsche Wirtschaft ringt vor allem noch mit den Folgen der hohen Inflation. Diese schmälert die Kaufkraft der Bürgerinnen und Bürger", erläuterte Bundesbankpräsident Joachim Nagel Ende Juni. Immerhin ist zur Konjunktur im jüngsten Bundesbank-Monatsbericht zu lesen: "Talsohle wohl durchschritten".
Besteht also kein Anlass zur Sorge? Kann die Regierung mit Blick auf 2024 und 2025 eine Politik der ruhigen Hand verfolgen, oder besteht dringender Handlungsbedarf, wie die Opposition vergangenen Mittwoch in einer Aktuellen Stunde anmahnte? Der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz (CDU) verwies in seiner Rede auf eine steigende Arbeitslosigkeit über die Sommermonate, geißelte "überbordende Bürokratie" und warnte, Deutschland werde wieder zum kranken Mann Europas. "Das ist Ihre wirtschaftspolitische Bilanz der letzten Monate", rief er Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) auf der Regierungsbank entgegen.
Kanzler Scholz sieht "beeindruckende Zeichen"
Ist die akute Rezession tatsächlich hausgemacht, oder prägen vielmehr äußere Umstände die wirtschaftliche Lage - Inflation, steigende Zinsen, Euro-Aufwertung, Nachwirkungen der Pandemie, Russlands Krieg gegen die Ukraine? Und wie wolkenverhangen ist der Konjunkturhimmel tatsächlich? Zeichnet sich ein Unwetter ab, eine echte Schlechtwetterfront, oder sind da nur ein paar Sommerwolken? Die Analysen von Regierungs- und Oppositionsparteien könnten unterschiedlicher kaum sein.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte in der Regierungsbefragung im Parlament zum Auftakt der Plenarsitzung, "dass es schon ein beeindruckendes Zeichen ist, dass so viele deutsche und internationale Unternehmen sich für die Ausweitung ihrer Halbleiterproduktion gerade in Deutschland entscheiden". Er verwies auf Wolfspeed im Saarland, Infineon in Dresden und Intel in Magdeburg. "All die schlechten Rufe, die es demnächst geben wird, werden durch die Investitionen in die Halbleiterindustrie in Deutschland Lügen gestraft", sagte der Kanzler.
Dagegen wetterte Leif-Erik Holm, stellvertretender Vorsitzender der AfD-Fraktion, in der Kanzler-Befragung: "Der Geschäftsklimaindex ist gesunken, die Auftragseingänge, die Exporte sind zurückgegangen, die Zahl der Insolvenzen ist gestiegen. Wir erleben einen dramatischen Einbruch bei den Investitionen. Es findet in Deutschland eine Deinvestition statt; Kapital fließt ab." Den Nachbarn gehe es besser, in Frankreich werde investiert.
Bundesbank rechnet mit steigender Arbeitslosigkeit
Wie ernst ist die Lage wirklich? Die Bundesbank geht von einer steigenden Arbeitslosigkeit in den kommenden Monaten aus. Eher pessimistisch ist auch der Blick von Andrea Nahles, Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit. Anlässlich ihrer monatlichen Pressekonferenz sagte sie Ende Juni in Nürnberg: “Die schwierigeren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen spüren wir nun auch auf dem Arbeitsmarkt: Die Arbeitslosigkeit steigt und das Beschäftigungswachstum verliert an Schwung.”
Deutsche Konjunktur eher trübe
Direktinvestitionen: 132 Milliarden Euro netto betrugen die Kapitalabflüsse 2022 laut IW Köln - ein Rekordwert und "Warnsignal" für den Standort.
Ifo-Geschäftsklimaindex: Das wichtige Konjunkturbarometer sank im Juni auf 88,5 Punkte (Mai: 91,5). "Die Wirtschaft hat es schwer, sich aus der Rezession zu lösen", sagte ifo-Präsident Fuest.
Arbeitslosigkeit: Saisonbereinigt 28.000 mehr Arbeitslose als im Mai gab es im Juni. Zugleich sank aber die Zahl der Kurzarbeiter im April (aktuellste Daten) auf 135.000 (März: 160.000).
Die Opposition verlangt Maßnahmen, sieht sich dabei aber gar nicht so weit von der Regierung entfernt. "Sie geben eigentlich die richtigen Antworten", sagte der CDU-Abgeordnete Fritz Güntzler anlässlich der Aussprache im Plenum zur Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion am Donnerstag. Allein, es fehle an konkreten Handlungen.
Die würden bald kommen, kündigte der FDP-Abgeordnete Markus Herbrand daraufhin an. In der zweiten Jahreshälfte seien "umfangreiche Vorschläge" für eine Steuerreform zu erwarten. Bereits in dem Antwortschreiben aus dem Haus von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) ist von neuen Gesetzesinitiativen zur Vereinfachung und Fortentwicklung des Steuerrechts zu lesen. Nötig sei eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik. Für Unternehmen soll ein steuerliches Umfeld entstehen, das die Investitionsfähigkeit stärke, Investitions- und Innovationsanreize verbessere und Bürokratie reduziere. Konkret setzt die Ampel unter anderem auf die steuerliche Förderung von Forschungsinvestitionen. Dabei gelte indes, die Regeln für die Begrenzung der Staatsverschuldung einzuhalten.
Linke will Vermögenssteuer
Katharina Beck (Bündnis 90/Die Grünen) argumentierte für die Ampel, dass die Koalition bereits 95 Milliarden Euro an Entlastungsmaßnahmen umgesetzt habe. Ihr Fraktionskollege Sebastian Schäfer sagte, dass nicht nur niedrige Steuern entscheidend seien für die Wettbewerbsfähigkeit, sondern unter anderem auch ein gutes Bildungssystem und eine gute Infrastruktur.
Für Die Linke forderte Christian Görke die Besteuerung von Vermögen. Wäre Deutschland hier auf dem Niveau von Frankreich oder den USA, könnten Bund und Länder jährlich 120 Milliarden Euro an Mehreinnahmen verzeichnen. "Das wäre mal ein Beitrag", erklärte er.