Piwik Webtracking Image

Foto: picture alliance / NurPhoto | Renato Franco Bueno
Aktivistinnen und Aktivisten von Fridays For Future fordern effektiven Klimaschutz und wollen das Thema auf die Agenda der anstehenden Europawahl setzen.

Europawahl 2024 : Wird das Klima die Wahl entscheiden?

Bei der Europawahl 2019 stand das Klima im Mittelpunkt. Doch welche Bedeutung hat es noch, da der Krieg in der Ukraine und Angst vor Migration die Debatte prägen?

23.05.2024
True 2024-06-03T16:02:37.7200Z
5 Min

Auf der Marschallbrücke im Berliner Regierungsviertel prangt Mitte April in weißen Großbuchstaben die Botschaft: "Our world is on fire. Use your voice!" (auf Deutsch: "Unsere Welt steht in Flammen. Nutze deine Stimme"). Bunte Sterne umrahmen die Worte und erinnern so an die Europaflagge. Es sind noch 51 Tage bis zur Europawahl am 9. Juni.

Der Schriftzug stammt von Aktivistinnen und Aktivisten der Bewegung Fridays for Future. Mit weißer Farbe haben sie die Botschaft auf den Boden geschrieben. Frieda Egeling, die Pressesprecherin der Berliner Gruppe von Fridays For Future, erklärt: "Wir brauchen effektiven Klimaschutz auf Bundes- und EU-Ebene". Sie sagt, die anstehende Europawahl werde die Weichen für den Natur- und Klimaschutz der kommenden Jahre stellen. Fridays For Future bezeichnet die Abstimmung deshalb als "Klimawahl". Die Aktion auf der Marschallbrücke soll die Wählerinnen und Wähler daran erinnern, den Klimaschutz bei ihrer Wahlentscheidung zu bedenken. Doch welche Rolle spielt das Thema bei der anstehenden Wahl wirklich?

Krieg, Krisen und Migration dominieren die öffentliche Debatte

Die Europawahl 2019 stand stark unter dem Eindruck des Klimawandels: Grüne Parteien waren die großen Wahlsieger und die Fraktion der Grünen/EFA konnte ihre Sitze im Europaparlament von 52 auf 72 erhöhen. Doch heute dominieren andere Krisen: der Krieg in der Ukraine, zunehmende Migration und wirtschaftliche Unsicherheiten. Kann das Klima da mithalten?

Mehr zum Thema

Mehr zum Thema Krisen anders denken
Kurz rezensiert: Krisen anders denken

Der Wahlforscher Thorsten Faas von der Freien Universität Berlin ist skeptisch. Er sagt: "2019 galt als eine Klimawahl". Doch 2024 werde wohl keine Wahl sein, die vom Thema Klima dominiert wird. Der Wahlforscher sagt: "Wir sehen in Umfragen, dass durchaus andere Themen gerade oben auf der Agenda stehen: Migration, Konflikte, Kriege und die Wirtschaft".

Doch eine aktuelle Studie des Europäischen Rats für Auswärtige Beziehungen (European Council on Foreign Relations, kurz ECFR) kommt zu dem Schluss, dass der Klimawandel - neben der Migration - das Thema ist, dass die Bürgerinnen und Bürger am stärksten zum Wählen mobilisieren könnte. So nannte ein Fünftel der 17.000 Befragten aus zwölf europäischen Ländern, den Klimawandel als ihre größte Sorge der Zukunft.

Besonders junge Menschen sehen die Zukunft wegen des Klimas bedroht

Pawel Zerka, der als Politikwissenschaftler beim ECFR arbeitet und an der Auswertung Studie mitgewirkt hat, erläutert: Diejenigen, die sich wegen des Klimawandels sorgen, könnten rund 74 Millionen Stimmen aufbringen. Das sind rund 16,5 Prozent aller Menschen in der EU. Darunter sind besonders viele junge Menschen; so gab ein Viertel der Befragten unter 29 an, die Zukunft besonders wegen des Klimawandel bedroht zu sehen.

Auch eine Umfrage des Marktforschungsunternehmens Ipsos vom Mai 2024 kam zu dem Ergebnis, dass der Klimawandel die Europäerinnen und Europäer weiterhin stark beschäftigt. So gaben 52 Prozent der Befragten an, dass der Kampf gegen den Klimawandel eine Priorität in der EU sein sollte.

Ukraine-Krieg besorgt osteuropäische Länder 

Die Umfragewerte unterscheiden sich jedoch stark nach Mitgliedstaaten: Während die Mehrheit der Dänen und Schweden den Klimawandel als politischen Schwerpunkt in der EU identifiziert, sorgen sich die Bürgerinnen und Bürger der osteuropäischen Länder oder Finnlands eher wegen des Krieges in der Ukraine und sehen eine Lösung des dortigen Konfliktes als eine der wichtigsten Aufgaben der EU an.

Der Politikwissenschaftler Zerka erklärt, was die Wählerinnen und Wählerinnen, die sich besonders wegen des Klimas sorgten, so besonders mache: "Sie machen sich auch dann Sorgen um die Zukunft, wenn die von ihnen bevorzugte politische Partei an der Macht ist und betrachten das Problem nicht als gelöst, wenn es ein starkes Programm für das Klima gibt". Bei den Wählerinnen und Wählern, die sich beispielsweise um die Migration sorgen, sei das anders. Für diese sei die Wahl einer rechtsextremen Regierung eine Antwort auf ihre Einwanderungsängste - auch wenn sich in der Realität wenig ändert, so Zerka.


„Menschen, denen das Klima wichtig ist, wählen nicht mehr unbedingt grüne Parteien.“
Pawel Zerka, Politikwissenschaftler

Beide Gruppen eint jedoch das Gefühl der Dringlichkeit und die Ansicht, "Wenn heute nicht gehandelt wird, wird es morgen schwierig sein, Maßnahmen zu ergreifen, um die Probleme zu lösen", sagt Zerka.

Auch Egeling, die Pressesprecherin von Fridays For Future betont die Bedeutung der Europawahl und hofft, dass Parteien, die sich für den Klimaschutz einsetzen, viele Stimmen erhalten. Dennoch sagt sie, dass es bei der Europawahl nicht nur darum gehe, für das Klima zu wählen - sondern auch für soziale Gerechtigkeit. Eine Wahlempfehlung gibt Fridays For Future nicht ab.

Politikwissenschaftler: Klima-Thema ist "Mainstream" geworden

Der Politikwissenschaftler Zerka sagt: "Menschen, denen das Klima wichtig ist, wählen nicht mehr unbedingt grüne Parteien". Das Thema sei "Mainstream" geworden und grüne Parteien hätten ihr Monopol darüber verloren.

Zudem habe es in den vergangenen Jahren einige Errungenschaften in der Klimapolitik wie den "Green Deal" gegeben. Dieser sogenannte Green Deal ist ein Paket politischer Initiativen der EU, mit dem Europa bis 2050 zu einem klimaneutralen Kontinent werden soll. Solche Errungenschaften gäben einigen Bürgerinnen und Bürgern das Gefühl, dass bereits Initiativen fürs Klima ergriffen würden, so Zerka.

Grüne unterscheiden sich weniger von etablierten Parteien

Der Politikwissenschaftler erläutert weiter, dass grüne Parteien einen Kurswechsel eingeschlagen haben und sich weniger von etablierten Parteien unterscheiden. So war Bündnis 90/Die Grünen beispielsweise lange eine pazifistische Partei - nun setzten sich die Mitglieder offen für Waffenlieferungen ein. Das hole einige Wählerinnen und Wähler nicht mehr ab, sagt Zerka. Aktuelle Wahlprognosen des Marktforschungsunternehmens Ipsos bestätigen Zerkas Aussagen: Während die Grünen 2019 noch als die großen Wahlsieger der Europawahl gefeiert wurden, werden sie nun in den Prognosen als große Verlierer gehandelt.

Mehr zum Thema

Mehr zum Thema Jung, politisiert - und engagiert?
Engagement in Zahlen: Jung, politisiert - und engagiert?

Die Aktivistinnen und Aktivisten von Fridays For Future sind sich bewusst, dass das Klima mit anderen großen Herausforderungen konkurriert. Daher wollen sie mit der Aktion vor einigen Wochen nicht nur zum Wählen motivieren, sondern auch die Abgeordneten zum Handeln auffordern. Pressesprecherin Egeling fordert, dass die Politik beim Thema Klima mehr auf die Wissenschaft hören müsse.

Doch die Veranstaltung auf der Marschallbrücke ist spärlich besucht. Viele Abgeordnete sind an diesem Freitag nicht in Berlin - es eine sitzungsfreie Woche im Parlament. Rund drei Stunden nach Beginn der Veranstaltung kommen die Räumfahrzeuge und waschen den Schriftzug von der Straße.

Doch die Aktivistinnen und Aktivisten bleiben zuversichtlich. Bis zur Wahl haben sie noch viele weitere Veranstaltungen und Aktionen geplant - und ihre Hoffnung bleibt, dass die Europawahl 2024 eine Klimawahl wird.