Piwik Webtracking Image

Autoindustrie : Der Boom der Gigafactories

Die deutschen Autobauer investieren zunehmend in Minenprojekte außerhalb Europas. Auch das Recycling von E-Batterien wollen sie selber organisieren.

28.08.2023
2024-03-04T12:23:47.3600Z
5 Min
Foto: picture-alliance/Xinhua News Agency/BYD

Der chinesische Autohersteller BYD verfügt über acht Produktionsstandorte weltweit, unter anderem in Shenzhen im Südosten Chinas.

Die deutschen Autobauer haben schon manche Krise erlebt. In den 1970er Jahren sahen sich Volkswagen, BMW und Mercedes Benz dem Ölschock und den damit zusammenhängenden Preiserhöhungen für Kraftstoffe ausgesetzt. In den folgenden Jahren machten Konkurrenten aus Japan und später aus Südkorea die Geschäfte schwieriger. Anfang der 2000er Jahre prognostizierten Experten, dass die Automobilfertigung in Deutschland keine Zukunft mehr habe, die Produktion sei zu teuer, die Zukunftsmärkte lägen in Asien und in den USA. Doch bisher haben sich die hiesigen Autohersteller gegen jede Krise behauptet.

Der Verkauf von Autos mit Verbrennungsmotoren war ein Erfolgsgarant, vor allem auch durch den Export. Volkswagen war seit den 1980er Jahren Marktführer in China, verkaufte dort knapp 40 Prozent seiner Jahresproduktion. Mit der Ablösung des Verbrennungsmotors durch Elektroantriebe verschieben sich in der Automobilindustrie - dem wichtigsten Wirtschaftszweig Deutschlands - gerade die Machtverhältnisse.

Der chinesische Hersteller BYD zieht vorbei

Pünktlich zum Start der Automesse in Shanghai wurde die "Zeitenwende" verkündet: Mit dem Hersteller BYD hat erstmals ein chinesischer Produzent beim Auto-Absatz die Führung in China übernommen. Die E-Marke BYD ist nicht nur an Volkswagen, sondern auch an Toyota vorbeigezogen. Die Deutschen und die Japaner hatten in den vergangenen zwei Jahrzehnten um die Vorherrschaft bei den meistverkauften Autos gekämpft.

Auf dem Zukunftsmarkt E-Mobilität konkurrieren nun der US-Hersteller Tesla und BYD um den Titel der Nummer eins bei den Stromern. BYD konnte seine Absatzzahlen im Vergleich zum Vorjahr sprunghaft um 69 Prozent steigern und hat 2022 rund 440.000 Neuwagen in China verkauft. In Deutschland bietet BYD seine Autos erst seit Ende vergangenen Jahres an, will hier aber bis 2026 bis zu zehn Prozent Marktanteil erreichen. Neben dem Branchenprimus BYD drängen weitere Hersteller aus China wie Nio, Geely und Great Wall auf den Markt.


„Die deutschen Autohersteller werden kämpfen müssen, um gegen China anzukommen, aber das heißt nicht, dass es nicht geht.“
Wolfgang Bernhart, Autoexperte

"Die deutschen Autohersteller werden kämpfen müssen, um gegen China anzukommen, aber das heißt nicht, dass es nicht geht", sagt Wolfgang Bernhart, Autoexperte und Senior Partner bei der Unternehmensberatung Roland Berger.

Tatsache ist: Die deutschen Autobauer müssen sich in einem komplett neuen Terrain zurechtfinden und stehen vor einem erheblichen Problem. Bei Fragen rund um die Rohstoffe macht VW und Co. vor allem die starke Abhängigkeit von China und anderen Ländern zu schaffen. Eine Studie des Ifo-Instituts hat ergeben, dass bei sieben von neun besonders kritischen Rohstoffen - wie Silicium, Seltene Erden und Lithium - China als einer der größten Anbieter am Weltmarkt gilt. Um diese Abhängigkeiten zu minimieren, schauen sich die Produzenten nach neuen Handelspartnern um. "Die deutschen Autohersteller versuchen nun stärker, in die einzelnen Stufen der Wertschöpfungskette einzusteigen", sagt Helena Sophie Wisbert, Professorin für Automobilwirtschaft und Direktorin des Center Automotive Research (CAR).

Fahrzeughersteller investieren direkt in Minenprojekte

Bis 2040 wird sich der Bedarf an kritischen Rohstoffen für die Automobilindustrie nach einer Berechnung der Berater von Roland Berger verdreifachen. Nur drei Prozent des Lithiums und nur ein Prozent des weltweit benötigten Nickels werden aus Europa stammen. "Aus diesem Grund sind die Direktinvestitionen europäischer Fahrzeughersteller in Minenprojekte außerhalb Europas so bedeutend", sagt Bernhart.

Mehr zum Thema

Mehr zum Thema Industrie sucht nach Lithium-Alternativen
Kritische Rohstoffe in Akkus: Industrie sucht nach Lithium-Alternativen

 Im Juni verkündeten Volkswagen und Stellantis - Autohersteller von insgesamt 14 Marken, darunter Opel, Peugeot und Fiat - den Kauf einer Nickel- und einer Kupfermine in Brasilien. Damit wollen die Konzerne nicht nur den Bau von Elektro-Batterien betreiben, sondern auch das Recycling der Akkus selber organisieren. Allein in Europa sind rund 40 dieser sogenannten Gigafactories geplant. Drei dieser Standorte stehen bereits fest: Salzgitter, das spanische Valencia und die kanadische Provinz Ontario.

Auf der Suche nach Rohstoffen für die Autohersteller geraten auch hiesige Förderstätten in den Blick. So hat sich Stellantis an dem Unternehmen Vulcan Energy beteiligt. Bereits in zwei Jahren will man in Insheim bei Freiburg im Oberrhein-Graben eines der größten Lithium-Vorkommen in Europa nutzen (siehe Seite 3). "Es wird gerade sondiert, wo es Sinn machen könnte, Rohstoffe zu fördern, außerhalb von den großen Ressourcenvorkommen", sagt Wisbert. Das sei sinnvoll, weil die Europäische Union verschiedene Vorgaben (siehe Text unten) mache, dass diese Rohstoffe unter Umweltstandards gefördert und verarbeitet werden müssen. "Das ist in Deutschland einfacher umsetzbar als in Drittstaaten", so Wisbert.

Umweltstandards sind wichtig - aber ein Wettbewerbsnachteil

Automobilfachmann Bernhart gibt jedoch zu bedenken, dass gerade bei den neuen heimischen Vorkommen Erze gefördert werden, "für die es bislang keine ausreichenden Verarbeitungsmethoden gibt". Das Projekt im sächsischen Zinnwald sei so ein Beispiel. Derzeit wird die Wirtschaftlichkeit für den Abbau und die Aufbereitung des Lithiumminerals "Zinnwaldit" geprüft. Für diese Vorhaben einen neuen Raffinerieprozess zu entwickeln und die entsprechenden Anlagen aufzubauen, könne bis zu sechs Jahren dauern, rechnet Bernhart vor. Vor dem Hintergrund, dass laut EU bis 2030 höchstens 65 Prozent des jährlichen Bedarfs an strategischen Rohstoffen in allen relevanten Verarbeitungsstufen aus einem einzigen Drittstaat kommen dürfen, "muss man Tempo vorlegen", sagt Bernhart.

Dabei hätten die EU-Länder aktuell zwar einen Wettbewerbsnachteil, aber das hält Helena Sophie Wisbert für nicht so gravierend. Umweltstandards seien wichtig und Europa habe in der Frage eine Vorreiterrolle. "Wenn nicht Europa, wer dann?", fragt Wisbert. Auch Bernhart hält die EU-Vorgaben für notwendig, jedoch sieht er gravierende Nachteile für hiesige Autohersteller. Während die Produzenten in China kaum Auflagen erfüllen müssten und keine Probleme bei der Rohstoffbeschaffung hätten und in den USA massive Subventionen für den Umbau der Automobilindustrie gezahlt würden, sähen sich die europäischen Hersteller großen Herausforderungen gegenüber.

Die nächsten zwei Jahre sind entscheidend

Die nächsten zwei Jahre seien für die deutschen Automobilhersteller entscheidend, prognostiziert Professorin Wisbert. Danach werde sich zeigen, ob die Branche weiter die gewohnte Rolle spielen wird wie zu Zeiten des Verbrenners. Die Produktion der Fahrzeuge jedenfalls geht bereits seit Jahren zurück. Wurden im Rekordjahr 2011 rund 5,8 Millionen Autos in Deutschland produziert, waren es 2022 noch 3,4 Millionen. Zwar wachsen die Binnenmärkte weltweit, aber die Produktion findet anderswo statt.

"Die deutschen Automobilhersteller sehen, dass sie bei der Umstellung auf E-Autos den Anschluss zu verlieren drohen", sagt Wisbert. Audi habe aus diesem Grund Ende Juli verkündet, dass man sich Technik vom chinesischen Hersteller SAIC einkaufen wolle. Damit werde Audi seine E-Autos für China auf einer Plattform eines Anbieters aus dem Land bauen. Das war in der Vergangenheit immer umgekehrt: Die deutschen Produzenten haben ihre Technologie für Fahrzeuge mit Verbrennermotoren an chinesische Autobauer verkauft. Eine wichtige Frage sei, "wie sich die deutschen Hersteller in China schlagen und ob sie langfristig noch die Rolle spielen wie in der Vergangenheit", meint Wolfgang Bernhart.