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Die deutschen Automarken haben einen Ruf zu verteidigen: Im BMW-Werk im Münchener Norden werden seit Jahrzehnten Autos produziert.

Vormachtstellung bei E-Fahrzeugen : Deutsche Autohersteller setzen auf ihre Innovationskraft

Die USA und Asien drängen mit digitalisierten, modernen und günstigen Elektrofahrzeugen auf den Markt. Kann die deutsche Automobilindustrie den Anschluss schaffen?

18.07.2024
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6 Min

Wer auf der Autobahn A 39 von Wolfsburg in Richtung Göttingen fährt, kann die Transformation der deutschen Autoindustrie sehen. Kurz hinter Braunschweig, linker Hand, wächst auf zwei Millionen Quadratmetern Fläche eine moderne Hallenlandschaft in die Höhe. Hier entsteht der Prototyp einer Batteriezellfabrik des Volkswagen-Konzerns: 40 Gigawattstunden Jahresleistung - genug, um eine halbe Million elektrisch angetriebene Autos mit Akkus auszustatten. "Salz-Giga", so der Spitzname in Anspielung auf die "Gigafactories" des US-Elektrobauers Tesla, soll die Zukunft einer deutschen Automobilindustrie begründen, die im Elektrofahrzeugbau liegt. "Von 100 Prozent Motor auf 100 Prozent Batterie. Salzgitter ist unsere Benchmark für Transformation", erklärte der VW-Konzernvorstand Technik, Thomas Schmall, in einer Mitteilung.

Für diese Transformation ist es höchste Zeit. Die deutschen Autohersteller haben lange auf ihr bewährtes Geschäftsmodell gesetzt, bevor sie Kurs auf die elektrische Mobilität nahmen. In dieser Zeit des Zögerns ist ihnen neue Konkurrenz erwachsen: in den USA, in Japan, Südkorea, vor allem in China. Mit modernen batterieelektrischen Fahrzeugen und Technologien, die den hiesigen teilweise überlegen sind.

Kann die deutsche Autoindustrie den Rückstand aufholen?

Hat die deutsche Automobilindustrie eine Chance, diesen Rückstand aufzuholen? "Ja, aber es wird eine herkulesische Herausforderung", sagt Stefan Bratzel, der als Professor am Center of Automotive Management an der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach forscht. "Denn die Transformation ist umfassend und wird alle Wertschöpfungsketten betreffen." Für das, was auf die deutsche Autoindustrie zukommt, hat der Experte einen griffigen Slogan: "KoKoKo"-Herausforderungen.

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Was bedeutet: Zum ersten müssen deutsche Hersteller für sie unbekannte "Ko" - für Kompetenzfelder - erschließen: Batterietechnik und digitale Vernetzung. Das zweite "Ko" steht für "neue Kooperationen" mit den Zulieferern. "Bisher lief es so", erklärt Bratzel. "Ganz oben steht der Automobilhersteller, der entscheidet, mit welchem Zulieferer er zusammenarbeiten möchte. Aber im neuen Markt ist die Zahl der Akteure gering. Und sie können größer oder bedeutender sein als der Automobilhersteller selbst." Beispiele? Der chinesische Batteriehersteller CATL überstrahlt mit einem Marktwert von 101 Milliarden Euro alle Konkurrenten.

Autobauer sollen auch Software entwickeln

Der US-amerikanische Chiphersteller Nvidia - Thema Künstliche Intelligenz - ist mit 2,8 Billionen Euro das wertvollste Unternehmen überhaupt. Dagegen wirkt die Volkswagen AG, gemeinsam mit Toyota größter Autohersteller der Welt, mit einem Marktwert von knapp 55 Milliarden Euro - ohne Porsche - geradezu klein. "Die Autohersteller werden lernen müssen, mit neuen Playern zu kooperieren", sagt Bratzel. "Und zwar auf Augenhöhe." Das dritte KO, diesmal mit großem O, betrifft "Kultur und Organisation". "Wenn die deutschen Unternehmen sich gegenüber der Konkurrenz behaupten wollen, müssen sie schneller werden", erklärt Bratzel. "In der Entwicklung und der Fertigung von Fahrzeugen, aber auch in der Batterietechnik." Und vor allem in Sachen Digitalisierung: "Sie müssen selbst ein Stück weit Softwareunternehmen werden."


„Nun sehen wir, dass die chinesischen Hersteller von Jahr zu Jahr innovationsstärker werden.“
Autoexperte Stefan Bratzel

Und das alles im laufenden Betrieb. Denn mit anderthalb Füßen stehen die deutschen Hersteller noch in der analogen Welt der Verbrennungsmotoren: Mercedes mit Maybach und AMG. BMW mit Mini und Rolls-Royce. Volkswagen mit VW, Audi, Porsche und seinen ausländischen Marken Skoda, Seat und Cupra, Lamborghini, Bentley und Ducati. Während sie die politischen Auswirkungen des Klimawandels ignorierten, wuchs in den USA die Elektrofahrzeugschmiede Tesla des Tech-Milliardärs Elon Musk zum wertvollsten Autokonzern der Welt.

In Fernost, der globalen Fertigungshalle für Elektrobauteile und Akkumulatoren, explodierte die Zahl der Hersteller von Elektrofahrzeugen. Die Deutschen setzten derweil weiter auf Diesel und Benzin.

Globaler Markt für E-Autos wächst

Inzwischen aber hat die deutsche Autoindustrie, mit 780.000 Beschäftigten und einem Umsatz von über 550 Milliarden Euro stärkster deutscher Industriezweig, ein Stück weit aufgeholt: Von 4,1 Millionen produzierten Pkw 2023 hatte schon fast jeder vierte einen elektrischen Antrieb. Die allermeisten davon, nämlich 786.000, wurden allerdings ins Ausland verkauft. Kein Wunder, denn entgegen der Zurückhaltung in Deutschland - vor allem aufgrund der weggefallenen Kaufprämie - wächst der globale Markt für E-Fahrzeuge stark. 2023 wurden weltweit 13,7 Millionen E-Autos verkauft, 35 Prozent mehr als 2022. Davon waren die Hälfte sogenannte Plugin-Hybride, die sowohl über einen Verbrennungs- wie auch einen E-Motor verfügen.

Und: Jedes zweite verkaufte E-Auto stammte aus China. BYD, BAIC, Geely, Changan, GWM, GAC, Dongfeng, Nio - knapp 130 Marken mit mehr als 400 angebotenen E-Auto-Modellen buhlen in China um die Gunst der Kunden. Die Folge: "Eine starke Exportorientierung der erfolgreichen chinesischen Marken aufgrund von Überkapazitäten im lokalen Markt", sagt Patrick Schaufuss, Partner im Münchner Büro der Unternehmensberatung McKinsey. Zugleich hoffen chinesische Hersteller auf höhere Renditen im Ausland.

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Knackpunkt Batterien: Ab 2026 will die schwedische Firma Northvolt, an der VW und BMW beteiligt sind, im Kreis Dithmarschen in Schleswig-Holstein Batteriezellen für E-Autos produzieren.

Die Folgen: Zum einen eine Marketing-Offensive der chinesischen Hersteller, etwa BYD bei der Fußball-Europameisterschaft 2024. Zum anderen haben die USA im Frühjahr einen Strafzoll von 100 Prozent auf chinesische Elektroautos verhängt. Auch die Europäische Kommission hat am 5. Juli Einfuhrzölle eingeführt, zögert mit dem endgültigen Beschluss aber noch. Deutsche Hersteller lehnen die Zwangsabgaben ab - zu eng verwoben sind der deutsche und der chinesische Fahrzeugmarkt, zu groß ist die Furcht vor Gegenreaktionen.

Vielversprechende Modelle, aber hohe Preise

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Aber wer sagt, dass deutsche Marken nicht konkurrenzfähig sind? Die neuen E-Modelle sind vielversprechend: VW könnte mit seinem elektrischen ID.7 die Erfolgsgeschichte des Passat fortsetzen. Autojournalisten loben überschwänglich Qualität, Fahrverhalten, Komfort und Haptik des Fahrzeuges - die großen Stärken deutscher Autobauer. Audi bietet mit seiner E-tron-Reihe mehrere vollelektrische SUV und Sportwagen an, ab 2026 will der Hersteller nur noch vollelektrische Modelle entwickeln. Und der hochklassige i7 von BMW hätte sicher das Zeug zum Premium-Dienstwagen.

Porsche und Mercedes fahren in einer eigenen Klasse: Porsche mit elektrischem Macan und Taycan, Mercedes mit seinen elektrischen EQ-Limousinen und mit seinen EQ-Vans. Mercedes EQ-Limousinen kosten ab 100.000 Euro aufwärts. BMWs I7 mindestens 115.000 Euro. Eine Klasse darunter halbieren sich die Preise zwar: Der VW- ID.7 kostet mindestens 54.000 Euro. Aber im Klassenvergleich liegt das Tesla Model 3 bei 47.000 Euro, der erstaunlich ähnliche BYD-Seal aus China bei 44.000 Euro. Der Preis ist eine der größten Herausforderungen im Kampf um die Marktmacht.

Ansehnliche Reichweiten bis zu 600 Kilometer

Die Reichweiten sind inzwischen ansehnlich. Zwischen 350 und 600 Kilometer mit einer Akkuladung, schnelles Laden binnen 20 Minuten - das ist keine Seltenheit mehr. Die deutsche Ladeinfrastruktur wächst solide: Am 1. Januar 2024 waren bei der Bundesnetzagentur 123.449 öffentliche Ladepunkte gemeldet, 40 Prozent mehr als ein Jahr zuvor.

Im Hintertreffen liegen die deutschen Hersteller bei den digitalen Services. Chinesische Hersteller haben hier massiv aufgerüstet: Online-Shopping, Kino, Virtual-Reality-Brillen, digitale Assistenten für E-Mails, Telefonkonferenzen oder Zahlungslösungen sind weit verbreitet. VW, Audi, BMW, Mercedes & Co setzen bislang auf fahrzeugnahe Services wie eine dynamische Routen- und Ladeplanung und Fahrassistenz-Lösungen. In Zukunft wird es darauf ankommen, diese Services auszubauen, etwa mit Over-the-air-Updates, Fernzugriff, Diebstahlüberwachung, vorausschauender Wartung oder automatischer Online-Terminbuchung bei der Werkstatt. Und autonomes Fahren: Mercedes setzt hierfür auf laserbasierte Lidar-Sensoren, die kamerabasierten Sensoren bei schlechtem Wetter überlegen sind.

VW mit eigener Batteriefertigung

Weiterer Knackpunkt sind die Batterien. Für Volkswagen ist die Batteriefertigung in Salzgitter ein Schritt in die Welt der neuen Kompetenzen. Zum einen dient die Fabrik als Blaupause für weitere Fabriken. Eine - im spanischen Sagunt bei Valencia - ist bereits im Bau. Bis 2030 sollen es sechs Zellfabriken werden. Leistung: 240 Gigawattstunden, genug für drei Millionen oder knapp ein Drittel der 2023 im VW-Konzern verkauften Autos (9,24 Millionen). Doch Salzgitter will mehr sein als eine Produktionsstätte und Schulungsort für Mitarbeiter. Hier wird an der Batterie der Zukunft geforscht.

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Andere ziehen mit: Ab 2026 will die schwedische Northvolt, an der VW und BMW beteiligt sind, in Dithmarschen in Schleswig-Holstein Batteriezellen produzieren - fernab klassischer Industriestandorte. Sicherlich aufgrund einer attraktiven Förderung, aber auch, um sich ausreichend Strom aus erneuerbaren Quellen zu sichern. Deshalb rückt auch Ostdeutschland ins Visier der Akkubauer: Chinas Batteriegigant CATL produziert bereits in Thüringen, in Brandenburg sind Zellfabriken geplant. Tesla hat neben seiner Automobilfabrik im brandenburgischen Grünheide eine Batteriezellproduktion eröffnet - allerdings nur für die eigenen Fahrzeuge. Doch die neuen Kooperationen, die Autoexperte Stefan Bratzel anmahnt, werden bereits sichtbar.

Innovation: Weiter Alleinstellungsmerkmal der deutschen Autoindustrie?

Aber eben auch die enorme Stärke der chinesischen Industrie. "Bisher war das Alleinstellungsmerkmal der deutschen Autoindustrie ihre Innovationskraft", konstatiert Bratzel. "Nun sehen wir, dass die chinesischen Hersteller von Jahr zu Jahr innovationsstärker werden." Was nicht heißt, dass sich die deutschen Firmen geschlagen geben müssen. Laut dem Verband der Automobilindustrie (VDA) stammt jedes dritte Patent im Bereich Elektromobilität von deutschen Erfindern. Erst dahinter folgen Japan, China, die USA und Südkorea.

Die deutschen Automarken haben einen Ruf zu verteidigen. Ihre neuen E-Fahrzeuge sind laut Experten Weltspitze bei Komfort, Haptik und Fahrzeugtechnik und auch, was ihre Motoren betrifft. In der Transformation hin zur elektrischen, digital vernetzten Mobilität kommt es darauf an, bei allen Komponenten das gleiche Niveau zu erreichen. Mit dem Pfund ihrer Innovationskraft im Gepäck sieht es für die Zukunft der deutschen Automobilindustrie nicht so schlecht aus.

Der Autor ist freier Journalist.

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