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Bergbau hinterlässt immer Spuren: In Mexiko verursachte ausgetretene Schwefelsäure 2014 in einem Kupferbergbau eine Umweltkatastrophe.

Kritische Rohstoffe : Kampf um die Ressourcen der Zukunft

Die Energiewende treibt die Nachfrage nach kritischen Rohstoffen in die Höhe. Dabei wird die Abhängigkeit von Importen zum geopolitischen Risiko.

28.08.2023
2024-03-04T12:21:03.3600Z
5 Min

Große Veränderungen zeigen sich oft auch in kleinen Details: Als der Minenkonzern LKAB Anfang des Jahres bekannt gab, Europas größtes Vorkommen Seltener Erden im Norden Schwedens gefunden zu haben, feierten das viele Tageszeitungen auf der Titelseite als "Sensationsfund" und "Jubelnachricht" für Europa. Ein Indiz für die Rolle, die das vormalige Nischenthema Rohstoffsicherheit inzwischen auch in der Öffentlichkeit spielt.

Die Krisen der vergangenen Jahre - die Coronapandemie und zuletzt vor allem der Krieg in der Ukraine - haben die hohe Abhängigkeit Deutschlands von Rohstoffen aus dem Ausland wie unter einem Brennglas deutlich gemacht. Ob gerissene Lieferketten, Putins Drohung mit Gas-und Öl-Lieferstopps und nicht zuletzt die gewachsenen Handelsstreitigkeiten mit China: Die Sicherheit, jederzeit die benötigten Rohstoffe zu bezahlbaren Preisen auf dem Weltmarkt beschaffen zu können, ist zuletzt der bitteren Erkenntnis gewichen, wie verletzbar die deutsche Wirtschaft tatsächlich ist. Insbesondere bei bestimmten metallischen Rohstoffen, die für Zukunfts- und Schlüsseltechnologien dringend benötigt werden, ist die Industrie fast völlig auf Importe angewiesen.

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Für viele Zukunftstechnologien sind kritische Rohstoffe wie etwa das Seltenerdmetall Germanium unverzichtbar.

Ob Windturbinen, Elektromotoren, Photovoltaik, digitale Technik, Batterie- oder Wasserstofftechnologie - für die Energie- und Mobilitätswende werden in den nächsten Jahrzehnten immer größere Mengen zahlreicher Mineralien und Metalle gebraucht. Bereits in den letzten fünf Jahren hat sich der Internationalen Energieagentur (IEA) zufolge die Nachfrage nach kritischen Rohstoffen wie Lithium, Kobalt, Nickel und Kupfer weltweit verdoppelt. Die Weltbank prognostiziert gar eine um rund 500 Prozent gestiegene Nachfrage bei Lithium und Graphit bis 2050.

Die Energiewende ist auch eine Rohstoffwende

Immer klarer wird: Die Energiewende ist auch eine Rohstoffwende. Während Öl, Gas und Kohle auf mittel- und langfristige Sicht an Bedeutung verlieren, werden metallische Rohstoffe immer wichtiger, sagen Experten. Eine Transformation - mit gravierenden Auswirkungen und vielfältigen Herausforderungen für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.

Eine davon: Die begrenzte Verfügbarkeit von Mineralien und Metallen und die geringe Zahl der Lieferländer. Die Abhängigkeit Deutschlands von ausländischen Importen ist schon jetzt teilweise höher, als sie bei Gas und Öl jemals war. Laut einer Studie der Unternehmensberatung Ernst & Young muss Deutschland derzeit 39 von 43 als kritisch eingestuften Energierohstoffen, Metallen und Industriemineralien aus dem Ausland importieren. Die Dominanz Chinas in den Rohstofflieferketten gilt als zusätzliches Risiko: Ohne Seltene Erden zum Beispiel, die Deutschland derzeit zu mehr als 90 Prozent aus der Volksrepublik bezieht, dreht sich hierzulande kein Windrad. Auch Elektroautos, Satelliten oder Computerchips kommen nicht ohne Seltenerdmetalle aus. Für Akkus, Halbleiter oder Magnete sind sie unverzichtbar.

Europa ist bei Leichtmetallen und Lithium fast komplett von Einfuhren abhängig

Ähnlich ist die Lage bei Magnesium: 97 Prozent des innerhalb der EU im Flugzeug- und Automobilbau eingesetzten Leichtmetalls stammen aus China. Bei Lithium, einem zentralen Rohstoff für die Elektromobilität, sind Deutschland und Europa ebenfalls fast zu 100 Prozent von Einfuhren abhängig. Der Rohstoff wird zwar vor allem in Südamerika, Australien und China gefördert, die Verarbeitung erfolgt aber fast ausschließlich in der Volksrepublik. Der Knackpunkt: Der Rohstoff wird weltweit für die Herstellung von Lithium-Ionen-Akkus benötigt. Ohne diese Energiespeicher funktionieren weder Smartphones noch E-Autos. Mit dem Durchbruch der E-Mobilität könnte sich zudem die Abhängigkeit bei weiteren für die Batterieproduktion benötigten Metallen und Mineralien erhöhen.


Portraitbild von BDI-Präsident Siegfried Rosswurm
Foto: Christian Kruppa
„Deutschland ist, wenn es um Rohstoffe geht, erpressbar. “
Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie

Längst schlägt die Industrie Alarm. "Deutschland ist, wenn es um Rohstoffe geht, erpressbar", warnte der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm bereits im vergangenen Herbst und forderte ein stärkeres Engagement der Politik. Es brauche vor allem mehr internationale Rohstoffkooperationen, aber auch wieder heimischen Bergbau. Deutschland könne sich die "Not-in-my-backyard"-Mentalität nicht leisten.

Hildegard Müller, Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA), hielt Berlin und Brüssel vor, die Notwendigkeit einer aktiven Rohstoffpolitik zu lange ignoriert zu haben. Die aktuelle Rohstoffstrategie der Bundesregierung stammt aus dem Jahr 2020 und berücksichtigt geopolitische Risiken nicht. Für eine neue Strategie liegt seit Januar erst ein Eckpunktepapier vor. Es seien nun aber "groß angelegte Impulse" gefragt, drängt der VDA: Neben Rohstoffabkommen brauche es auch Risikokapital für "strategische Rohstoffprojekte", bereitgestellt über eine europäische Rohstoffagentur. Eine Idee, die Experten schon länger diskutieren. Deutschland müsse das Thema Rohstoffsicherheit als geopolitische Herausforderung annehmen, so der Tenor.

Der Rohstoffabbau schädigt die Umwelt

Eine zweite, große Herausforderung der Rohstoffwende: Abbau und Weiterverarbeitung von Rohstoffen haben massive soziale und ökologische Auswirkungen. Der Bergbausektor ist nicht nur für mehr als zehn Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Entwaldung, hoher Verbrauch und Verschmutzung von Wasser, aber auch Belastungen von Boden und Luft sowie damit einhergehende Menschenrechtsverletzungen und Artenvielfaltverluste gehören ebenfalls zu den Folgen der Rohstoffgewinnung. Die erwartet rapide wachsende Nachfrage nach Mineralien und Metallen für die Energiewende könnte den Raubbau verstärken und ohnehin schon bestehende Konflikte um Ressourcen wie Boden und Wasser verschärfen, befürchten Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen. Und das nicht nur in den bisherigen Lieferländern, meist Entwicklungs- und Schwellenländer, sondern künftig auch bei uns in Deutschland.

Neue Zielkonflikte zeichnen sich bereits ab: Denn mit dem Green Deal hat sich die EU das Ziel gesetzt, bis 2050 ein "klimaneutrales und umweltfreundliches Europa" zu schaffen. Doch das geplante EU-Rohstoffgesetz ("Critical Raw Materials Act"), mit dem die EU-Kommission die Versorgung mit aktuell 34 als kritisch eingestuften Rohstoffen zum Beispiel auch durch eigenen Bergbau sichern will, drohe solche Bemühungen zu konterkarieren, argumentieren Nichtregierungsorganisationen wie Powershift. Würden strategische Rohstoffprojekte, wie vorgesehen, als "übergeordnetes öffentliches Interesse" eingestuft, könnten sie über Umweltschutzbelange gestellt werden. Die Sorge kommt nicht von ungefähr: Viele Rohstoffvorkommen in Europa befinden sich in oder in der Nähe von Naturschutzgebieten.

Industrie: Nachhaltigkeitskriterien erschweren Investitionen

Auch dem Anspruch des derzeit verhandelten EU-Lieferkettengesetzes, Unternehmen auf die Einhaltung von Umweltnormen und Menschenrechten zu verpflichten, genüge der Entwurf nicht - etwa hinsichtlich der Auflagen für die Auswahl strategische Projekte. Bergbauunternehmen entgegnen aber, dass Nachhaltigkeitskriterien nötige Investitionen in kritische Rohstoffe erschwerten. Vorkommen gebe es oft in solchen Ländern, die "kein einfaches Umfeld" für Investitionen für böten.

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Stecken wir also in einem Dilemma? Nicht unbedingt, meinen Experten. Die Herausforderungen von Versorgungssicherheit und Nachhaltigkeit ließen sich durchaus zusammen bewältigen. Den Ausweg böte eine kreislauforientierte Wirtschaft. Wie das bei kritischen Rohstoffen funktioniert, zeigt ein kürzlich veröffentlichter Bericht des Wuppertal-Instituts anhand von Best-Practice-Beispielen.

Allerdings müsse die Politik jetzt die nötigen Weichen stellen, drängen die Wissenschaftler. Das EU-Rohstoffgesetz enthalte zwar Recyclingziele, lasse aber andere kreislaufwirtschaftliche Aspekte unberücksichtigt: Vorgaben zu Haltbarkeit, Wiederverwendbarkeit oder Reparatur von Produkten etwa. Oder Anreize für Verbraucher und Wirtschaft, Rohstoffe im Kreislauf zu halten. Pfandsysteme könnten das unterstützen. Wer sein ausgedientes Smartphone zurückgibt, hilft, seinen wertvollen Inhalt zu nutzen und als Ressource von morgen zu sichern - ein kleines Detail einer großen Veränderung.