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Foto: picture alliance / Anadolu
Nach monatelanger Blockade verteilten Hilfsorganisationen am Dienstag wieder Nahrung in Gaza. Zivilisten im Krieg unter allen Umständen menschlich zu behandeln, ist ein Grundsatz des humanitären Völkerrechts.

Humanitäres Völkerrecht : Was ist im Krieg erlaubt?

Beim Kampf gegen die Hamas in Gaza wird Israel gemahnt, das humanitäre Völkerrecht zu achten. Doch was heißt das genau? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

28.05.2025
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4 Min

Immer wieder wurde Israel in den vergangenen Monaten gemahnt, beim Kampf gegen die Hamas in Gaza das humanitäre Völkerrecht zu achten. Anfang der Woche fand Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) deutliche Worte: Er sprach von einer Verletzung des humanitären Völkerrechts, wenn die israelische Regierung weiterhin humanitäre Hilfe im abgeriegelten Küstenstreifen nicht zulasse. Rund zwei Millionen Menschen sind dort laut den Vereinten Nationen von akutem Hunger bedroht. Aber was ist eigentlich das humanitäre Völkerrecht und was besagt es?

Was ist das humanitäre Völkerrecht?

Das humanitäre Völkerrecht umfasst grundlegende Regeln für die Sicherung von Menschlichkeit in bewaffneten Konflikten. Diese zielen im Kern darauf, negative Auswirkungen von Kampfhandlungen zu begrenzen. Weil das humanitäre Völkerrecht auf Zeit und Raum von bewaffneten Konflikten beschränkt ist, spricht man auch von „Kriegsvölkerrecht".

Wo ist es niedergeschrieben?

Das humanitäre Völkerrecht besteht aus zwischenstaatlichen Verträgen. Die wichtigsten sind die vier Genfer Abkommen - auch Genfer Konventionen  genannt – aus dem Jahr 1949. Wichtig sind außerdem die zwei Zusatzprotokolle von 1977. Sie treffen Regeln für internationale bewaffnete Konflikte und nicht-internationale bewaffnete Konflikte. Ein drittes Zusatzprotokoll wurde 2005 verabschiedet.

Was sind wesentliche Grundsätze?

Ein zentraler Grundsatz ist, dass zwischen Zivilbevölkerung und Soldaten jederzeit zu unterscheiden ist. Weder die Zivilbevölkerung als Ganzes noch einzelne Zivilisten dürfen angegriffen werden. Ausschließlich auf militärische Ziele dürfen Angriffe gerichtet sein. 

Ein anderer Grundsatz betrifft Kämpfer und Zivilisten, die sich in der Gewalt einer gegnerischen Partei befinden: Sie haben Anspruch auf Achtung ihres Lebens und ihrer Würde. Vor Gewalthandlungen oder Repressalien sind sie zu schützen.

Es ist außerdem nach dem humanitären Völkerrecht verboten, einen Gegner, der sich ergibt oder der den Kampf nicht fortsetzen kann, zu töten oder zu verletzen.

Wen schützt das humanitäre Völkerrecht?

Es schützt die Menschen, die sich nicht oder nicht mehr an den Kämpfen beteiligen. Dazu gehören vor allem Zivilisten, aber auch Sanitätspersonal, Mitarbeitende von Hilfswerken, Verwundete, Kranke und Schiffbrüchige bewaffneter Truppen, Kriegsgefangene und andere Gefangene. Aber auch zivile Gebäude, Infrastruktur und die natürliche Umwelt stehen unter Schutz des humanitären Völkerrechts.

Was regelt es noch?

Das humanitäre Völkerrecht begrenzt die Mittel und die Methoden der Kriegsführung. So ist etwa der Einsatz jeglicher Waffen und Kampfmethoden verboten, die unnötige Leiden bewirken.

Das humanitäre Völkerrecht ist universell gültig: Alle Parteien an einem Konflikt beteiligen Parteien sind verpflichtet, die Grundsätze einzuhalten, unabhängig davon, ob es sich um Regierungskräfte oder um nicht-staatliche bewaffnete Gruppen handelt. Die Genfer Konventionen als Kern des humanitären Völkerrechts wurden von allen 196 Staaten der Welt ratifiziert. Deutschland ist seit 1954 Vertragspartei. Die Zusatzprotokolle wurden zwar von etwas weniger Staaten ratifiziert, doch da die Protokolle eine Reihe von Regelungen enthalten, die völkergewohnheitsrechtlich anerkannt sind, können auch sie universelle Gültigkeit beanspruchen.

Wie ist das humanitäre Völkerrecht entstanden?

Rechtsnormen zur Mäßigung der Kriegführung und Linderung des Leides gab es bereits in der Antike. Den Beginn des modernen humanitären Völkerrechts markiert die Gründung des Roten Kreuzes 1863 und die Annahme der ersten Genfer Rot-Kreuz-Konvention von 1864. Weitere wichtige Schritte waren die Haager Abkommen von 1899 und 1907, die Regeln der Kriegsführung kodifizierten.

Beispiele für zuletzt hinzugekommene völkerrechtliche Verträge sind das Umweltkriegsübereinkommen von 1977, das Chemiewaffenübereinkommen von 1993 oder das Übereinkommen über Streumunition aus dem Jahr 2008. 

Foto: picture alliance / NurPhoto

Suche nach Opfern eines russischen Raketenangriffs auf eine Klinik in der ukrainischen Hauptstadt Kiew im Juli 2024. Angriffe auf zivile Gebäude verstoßen gegen das humanitäre Völkerrecht.

Wie steht es um die Umsetzung?

Angesichts der vielen Kriege - nicht nur in Nahost und in der Ukraine, sondern auch zum Beispiel im Sudan - und der Art und Weise, wie sie geführt werden, fällt die Bilanz des humanitären Völkerrechts allenfalls gemischt aus. Regelmäßig gehen Kriege mit Verstößen einher. Gerade mächtige Akteure ignorieren oder verletzen aus politischen und geostrategischen Gründen bewusst die Rechtsnormen: Die Zerstörung von Wohn- oder Krankenhäusern oder ziviler Infrastruktur , wie sie etwa auch in Russlands Krieg gegen die Ukraine zu beobachten ist, soll Angst und Unsicherheit erzeugen sowie die Abwehrmoral der Bevölkerung schwächen. 

Wie werden Verletzungen des humanitären Völkerrechts geahndet?

Eine Aufarbeitung von Verstößen begann vergleichsweise spät in den 1990er-Jahren mit temporären Sondertribunalen, um schwere Verstöße wie etwa im ehemaligen Jugoslawien oder in Ruanda zu ahnden. Seit 2002 gibt es mit dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag ein permanentes Gericht zur strafrechtlichen Verfolgung von Kriegsverbrechen. „Nur“ 146 Staaten allerdings haben dessen rechtliche Grundlage, das Römische Statut von 1998, bislang unterzeichnet. 

Mit China, Russland und den USA fehlen zudem drei Vetostaaten des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen sowie weitere bedeutende Mittelmächte wie etwa Israel. Ein Grund, weshalb sich bei der justiziellen Verfolgung deutliche Defizite zeigen. Internationale Heftbefehle, vor allem gegen hochrangige Militärs oder Regierungsangehörige, können vielfach nicht durchgesetzt werden.  Dieses Problem zeigt sich auch bei Strafprozessen nach dem Weltrechtsprinzip. Deutsche Gerichte können zwar Verfahren gemäß des Völkerstrafrechts führen - allerdings nur bei Anwesenheit der Tatverdächtigen, die aber vielfach nicht erreichbar sind und von ihren Staaten nicht ausgeliefert werden. 

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