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Wie Israelis heute auf Deutschland blicken : Zwischen Shoa und Schokopudding

Die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsräson - auch für die neue Bundesregierung. Doch viele Israelis wünschen sich heute einen kritischeren Freundschaftsdienst.

09.05.2025
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7 Min

Ausgerechnet ein Schokopudding wurde jungen Israelis vor gut zehn Jahren zum Leitstern für die Auswanderung nach Berlin. Ein junger App-Entwickler - und ehemaliger Offizier einer Eliteeinheit - hatte den "Milky-Protest" ins Leben gerufen, in dem er in den sozialen Medien Supermarkt-Belege postete: Das Gegenstück zum israelischen Schokopudding "Milky" kostete in seiner neuen Wahlheimat nur einen Bruchteil. Zudem befand er, dass Berlin nicht nur "billig und cool" ist, sondern ihn gerade als jüdischen Israeli willkommen heiße.

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Nach Jahrzehnten, in denen viele Juden sich nicht vorstellen konnten, jemals wieder deutschen Boden zu betreten, waren es zunächst Künstler, Küchenchefs und Musiker, oft aus der LGBTQ-Gemeinde, gewesen, die in den frühen 2000er Jahren im bunten, freien und günstigen Berlin, vermeintlich fernab vom Nahostkonflikt, eine gar nicht so kleine israelische Community begründeten.

Zuhause mussten sie sich deshalb viel anhören. Von Großeltern, die den Holocaust überlebt hatten. Von Politikern, die ihnen vorwarfen, die Geschichte zu ignorieren, um von günstigen Mieten zu profitieren. Heute leben etwa 15.000 Israelis in Berlin: Sie stehen in beiden Gesellschaften für eine "Normalisierung" der Beziehungen nach der Shoah. Umfragen in Israel zeigen seit vielen Jahren, dass man Deutschland als die am wenigsten antisemitische Gesellschaft Europas wahrnimmt. Frankreich befindet sich am anderen Ende der Skala.

Deutschland gilt immer noch als Option für Auswanderung

Dass daran auch die weltweit aufgeheizte Atmosphäre seit dem Massaker durch die Hamas am 7. Oktober 2023 und dem folgenden Krieg in Gaza erstmal nicht viel geändert hat, zeigt ein Stimmungsbild vom Frühjahr 2024. Gisela Dachs, Leiterin des Projekts der Hebräischen Universität in Jerusalem, meinte dazu: "Seit Beginn der 1990er Jahre haben sich die Israelis gegenüber Deutschland immer mehr geöffnet." Deutschland wird demnach immer noch als Auswanderungsoption betrachtet. Und zumindest vor einem Jahr erschien den befragten Israelis der Aufstieg der AfD zwar als Gefahr, aber eher als ein europäisches Phänomen denn ein spezifisch deutsches.


„Als 'echter Freund' sollte sich Deutschland lieber fragen, was denn wirklich die Sicherheit Israels gefährdet. “
Moshe Zimmermann, Historiker

Zudem waren die meisten Befragten stolz darauf, dass Israel Deutschland sein Raketenabwehrsystem "Arrow 3" als Schutz-Technologie verkauft hat. Ausgerechnet an Deutschland. Militärische Zusammenarbeit - wie andersherum die Lieferung deutscher U-Boote nach Israel - gilt dem Historiker Daniel Marwecki als materieller Ausdruck der deutschen Staatsräson. Von israelischer Seite aus werde diese Unterstützung geschätzt, aber auch erwartet: Es sei die Verantwortung Deutschlands nach der Shoah.

In seinem 2024 veröffentlichten Buch "Absolution?" wirft Marwecki einen sehr nüchternen Blick auf den Ursprung der deutsch-israelischen Beziehungen. Auf der einen Seite zeigt er auf, habe man mit Deutschen nichts zu tun haben wollen. Auf der anderen war Westdeutschland nach 1948 der einzige Staat, der Israel Industrie- und Waffenhilfe und einen Finanzkredit gewähren wollte.

Deutschland brauchte die Absolution, die nur Israel geben konnte - und Israel brauchte die Mittel, um einen Staat aufzubauen. Dass die Reparationen die deutsche Wirtschaft stimulierte war ein angenehmer Nebeneffekt.

Foto: picture-alliance/ dpa

Bundeskanzlerin Angela Merkel 8CDU) sprach 2008 als erste ausländische Regierungschefin vor dem israelischen Parlament, der Knesset - sogar überwiegend auf Deutsch. Für ihre Rede gab es stehenden Applaus von den Abgeordneten.

Doch selbst, wenn es nicht nur rein ethische Ansprüche waren, die Deutschlands Israelpolitik antrieben - sie dämmte den Antisemitismus nach 1945 ein, lenkte den Blick international auf Israels Schicksal und verschaffte Glaubwürdigkeit. Als Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Jahr 2008 vor der Knesset betonte, dass Israels Sicherheit Teil deutscher Staatsräson sei, bekräftigte sie eigentlich nur bestehende Grundentscheidungen. Trotzdem gilt ihre Rede als Meilenstein und wurde in Israel gefeiert. Auf die Staatsräson pochte auch Ex-Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei seinem Besuch in Israel nach dem 7. Oktober 2023. Allerdings stellt sich seitdem umso brisanter die Frage, was der Begriff in der Konsequenz eigentlich bedeutet.

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So sehr die deutsche Position in Israel geschätzt wird - als sicherheitspolitischer Akteur wird Deutschland in Israel nicht besonders ernst genommen. Schon gar nicht von rechtsextremen Bündnispartnern von Regierungschef Benjamin Netanjahu, die Israels Recht auf Selbstverteidigung mit der Vertreibung der Palästinenser und der jüdischen Besiedelung des Gazastreifens gleichsetzen.

In welches Dilemma der nie ganz klar definierte Begriff Deutschland stürzt, zeigte sich schon in den ersten Kriegsmonaten. Als sich die damalige Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) immer kritischer zur humanitären Lage im Gazastreifen und Israels Angriffen äußerte - die Situation mehrmals als "Hölle" bezeichnete -, lief sie gegen eine Wand. Bei einem Treffen konfrontierte Baerbock Netanjahu damit, dass seine Regierung die desaströse Lage in Gaza beschönige. Er kanzelte sie ab: "Wir sind nicht wie die Nazis." In Israel gehörte lautstarke Kritik an der eigenen Regierung gleichwohl schon vor dem 7. Oktober zur Tagesordnung. Im Kampf gegen die "Justizreform" fanden 2023 die größten Proteste in Israels Geschichte statt. Israels Reservisten, darunter Kriegshelden und ehemalige Armeechefs, drohten ihren Dienst zu verweigern. Die Reform soll die Gewaltenteilung aushebeln und wäre wohl ein Freifahrtschein, um allerhand fragwürdige Gesetze durchzusetzen. Letztlich das Ende der israelischen Demokratie, so die Befürchtungen.

Pro Israel und trotzdem gegen Siedlungsbau im Westjordanland?

Zwar schweißte das Trauma des 7. Oktobers das entzweite Volk zusammen, aber es wurde auch schnell klar, dass der wegen Korruption angeklagte Netanjahu den Krieg dazu nutzt, seine persönlichen Interessen durchzusetzen. Indem er weiterhin daran arbeitet, das Oberste Gericht zu entmachten, die Generalstaatsanwältin oder den Chef des Inlandsgeheimdienstes loszuwerden - anstatt sich um die Rückkehr der israelischen Geiseln zu kümmern.

Als "echter Freund" sollte sich Deutschland lieber fragen, was denn wirklich die Sicherheit Israels gefährdet, findet der israelische Historiker Moshe Zimmermann. Es solle seine Rolle nutzen und diplomatisch intervenieren. "Mit einer Politik, die pro Israel ist, und deswegen gegen Annektierungspläne im Westjordanland. Mit einer aktiven Bemühung um das Ende des Kriegs in Gaza." Dabei dürfe sich Deutschland auch nicht von der üblichen Strategie Netanjahus einschüchtern lassen, jede Kritik als Antisemitismus abzutun.


„Ihre Zusammenarbeit basiert auf gemeinsamen Werten mit der Freiheit und Würde im Zentrum.“
Tel Avivs Bürgermeister Ron Huldai über Berlin und Tel Aviv

Dass es durchaus möglich ist, sich als Freund Israels auf der Seite des Volks - und der Demokratie - zu positionieren, zeigte der deutsche Botschafter Steffen Seibert bei den Protesten gegen die Justizreform und nun auch mit der Unterstützung der Familien der israelischen Geiseln. Zumindest in Tel Aviv werden seine Auftritte - in immer besserem Hebräisch - sehr wohlwollend aufgenommen.

Bundeskanzler Merz spart bisher mit Kritik an Israel

Zukünftig jedoch könnte Israel eher noch weniger Kritik erwarten dürfen aus Deutschland. Das ließ Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) im Oktober anklingen. Damals beschuldigte er die Ampelregierung, den Export von Waffen nach Israel zu vereiteln. Außerdem ließ er verlauten, er wolle Israels Premier nach Deutschland einladen - und dies trotz eines internationalen Haftbefehls wegen möglicher Kriegsverbrechen. Maya Sion, Expertin für israelisch-europäische Beziehungen sagt, in Israel vermute man, dass die neue Regierung sich mehr von Donald Trump beeinflussen lassen werde. Dessen Idee, zwei Millionen Menschen aus Gaza zu vertreiben, um dort eine "Riviera des Nahen Ostens" entstehen zu lassen, spielt den rechtsreligiösen Siedlern in die Hände.

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In Israels linken Kreisen sieht man die Umsetzung der deutschen "Staatsräson" inzwischen als sehr problematisch an. Als der Bundestag Ende 2024 eine Resolution zum Schutz jüdischen Lebens beschloss, zeigten sich nicht nur Jüdinnen und Juden in Deutschland besorgt, sondern auch israelische Menschenrechtsorganisationen. Sie befürchten, dass die Antisemitismus-Resolution instrumentalisiert werde und auch jene jüdische Stimmen treffen könnte, die Israels Regierung kritisieren. Damit würde sie die Vielfalt jüdischen Lebens in Deutschland eher untergraben als schützen. Yudit Oppenheimer, Direktorin der Jerusalemer Organisation "Ir Amim", sagt, die Resolution könnte eine Atmosphäre schaffen, die deren Arbeit delegitimiert - und damit der israelischen Regierung zuspielt.

Im Berliner Rathaus wurde derweil vor ein paar Tagen eine neue Städtepartnerschaft mit Tel Aviv besiegelt. Sie soll vor allem den Austausch zwischen den jungen Leuten weiter stärken. Die Geschichte beider Städte sei voller Narben, sagte der Tel Aviver Bürgermeister Ron Huldai: "Ihre Zusammenarbeit basiert auf gemeinsamen Werten mit der Freiheit und Würde im Zentrum." Ein guter Zeitpunkt, sich daran zu erinnern. 

Die Autorin ist freie Journalistin in Tel Aviv.

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