Piwik Webtracking Image

Unterstützung für 4.000 Brennpunktschulen : Startschuss für milliardenschwere Bildungsoffensive

Die Ampelkoalition verspricht sich vom Startchancenprogramm einen Paradigmenwechsel. Die Opposition bleibt skeptisch. Die AfD fordert einen Investitionsfonds.

12.04.2024
2024-04-12T15:03:02.7200Z
4 Min
Foto: picture-alliance/Mika Volkmann

Langer Atem nötig: Im Sommer beginnt das "Startchancenprogramm". Die Bundesregierung möchte damit die Lebenschancen junger Menschen besonders in sogenannten Brennpunktgebieten verbessern.

Die Nachricht wirkte wie ein Schock: Deutsche Schülerinnen und Schüler erzielten im jüngsten internationalen Leistungsvergleich PISA das bisher schlechteste Ergebnis. Aber nicht nur die Leistungen sind Anlass zur Sorge: Der letzte Nationale Bildungsbericht  hat zudem deutlich gemacht, dass es nur bedingt gelingt, den Zugang zu Bildung, Bildungswegen und -übergängen unabhängig von Geschlecht, Migrationshintergrund oder sozialer Herkunft zu gestalten.

Das alles soll bald besser werden. Denn in diesem Sommer beginnt das "Startchancenprogramm" - mit einem Volumen von 20 Milliarden Euro die größte Maßnahme im Bildungswesen seit Gründung der Bundesrepublik. Von einer "Kampfansage an den Bildungsnotstand", sprach am Donnerstag Ria Schröder (FDP) im Bundestag. Für den Vorsitzenden des Bildungsausschusses, Kai Gehring (Grüne), ist es der "Start einer Bildungswende".

Die FDP erhofft sich ein Aufbruchsignal

In der Debatte über einen Antrag der Koalitionsfraktionen SPD, Grüne und FDP mit dem Titel "Gute Startchancen für mehr Bildungsgerechtigkeit" erklärte Schröder, der Bund und die 16 Länder würden mit dem Programm einen "Paradigmenwechsel" vollziehen, um die Lebenschancen junger Menschen besonders in sogenannten Brennpunktgebieten zu verbessern. "Wenn aus Brennpunkten Leuchttürme werden, dann ist das ein Aufbruchssignal", sagte die FDP-Politikerin. Bildung sei das beste Mittel, um selbstbestimmt durch das Leben zu gehen und Armut zu vermeiden.

Bildung sei das Emanzipationsversprechen der SPD sei 160 Jahren, betonte Saskia Esken (SPD). Bildung befähige Menschen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Das Bildungssystem müsse sich den Herausforderungen einer diversen Gesellschaft stellen. Ein Viertel der Kinder könne am Ende der Grundschulzeit nicht genügend gut lesen, schreiben, rechnen und kommunizieren.

Viele Migrationskinder bleiben ohne Schulabschluss

In der Folge verlasse jeder 16. die Schule ohne Abschluss. Bei Migrationskindern sei dieser Anteil noch höher. Das Startchancenprogramm sei ein "großer Schritt" und unterstütze gezielt Schulen mit einem hohen Anteil an benachteiligten Schülerinnen und Schülern. Das Programm auf zehn Jahre anzulegen, sei sinnvoll, denn "der Kampf für mehr Bildungsgerechtigkeit ist ein Langstreckenlauf".

Gehring sprach von einem "großen Tag für Bildungsgerechtigkeit". Jetzt werde Kooperation für Chancengerechtigkeit ganz konkret, denn Bildung sei "präventive Sozialpolitik". Bildungserfolg hänge in Deutschland immer noch viel zu stark von sozialer Herkunft, dem elterlichen Geldbeutel und der Postleitzahl ab. "Wir wollen das ändern. Wir werden das ändern. Alle Kinder haben gleiche Startchancen verdient", sagte Gehring.

Manche Schüler sind als künftige Fachkräfte kaum zu vermitteln

Nadine Schön (CDU) wollte den Optimismus der Koalitionspolitiker nicht teilen. Der Anteil der Schulabgänger ohne Abschluss steige, jeder sechste sei für den Arbeitsmarkt kaum noch vermittelbar. Das sei dramatisch, "denn in einer Zeit schrumpfender Wirtschaft brauchen wir dringend gute Fachkräfte".


„Wir haben Probleme an allen Schulen in unserem Land.“
Nadine Schön (CDU)

Das schon vor zwei Jahren angekündigte Startchancenprogramm komme zu spät und sei völlig unzureichend. Von elf Schülern werde gerade einer von dem Programm profitieren. "Wir haben aber Probleme an allen Schulen in unserem Land", sagte Schön unter Verweis auf die jüngste PISA-Studie.

AfD kritisiert den Niedergang des deutschen Bildungssystems

Götz Frömming (AfD) sagte, die PISA-Studie habe gezeigt, wohin Bund und Länder "unser einstmals weltweit bewundertes Bildungssystem gebracht haben. Nicht nur die Gebäude sind verrottet, auch der Geist ist verrottet." Das sei einer Folge ideologischer Politik. Dass nur 4.000 Brennpunktschulen gefördert würden und die anderen nicht, zeigt für Frömming, was die Lieblingsklientel der Koalition sei: Es seien die Schulen, an den besonders viele Kinder mit Migrationshintergrund seien. Die anderen Schulen würden bestraft.

Nicole Gohlke (Linke) sagte, das Programm sei kein Einstieg in eine verlässliche Bildungsfinanzierung, da es zeitlich befristet, viel zu klein und nur punktuell wirksam sei. Es gebe einen Investitionsstau bei Schulgebäuden von in Höhe 50 Milliarden Euro. Das Programm habe aber nur ein Volumen von 20 Milliarden Euro.

Bund und Länder sollen sich die Finanzierung teilen

Der Koalitionsantrag wurde zur weiteren Beratung an den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung überwiesen. Darin heißt es zur Finanzierung, zehn Milliarden Euro sollten vom Bund und weitere zehn Milliarden Euro von den Ländern zur Verfügung gestellt werden. Damit sollen über einen Zeitraum von zehn Jahren insgesamt eine Million Schülerinnen und Schüler in rund 4.000 Schulen in benachteiligten Lagen unterstützt werden.

Bei der Verteilung der Mittel soll ein neuer Verteilungsschlüssel zum Einsatz kommen, der die Armutsgefährdungsquote, den Migrationshintergrund und das Bruttoinlandsprodukt berücksichtigt.

Investitionsfonds für bessere kommunale Bildungsinfrastrukturen gefordert

Ebenfalls überwiesen wurde ein Gesetzentwurf der AfD-Fraktion. Sie will, dass der Bund einen Investitionsfonds mit einem Volumen von 30 Milliarden Euro zur Steigerung der Leistungsfähigkeit der kommunalen Bildungsinfrastruktur einrichtet.

Kommunen sollen aus den Mitteln des Fonds mit 50 Prozent Finanzhilfen bei Investitionen in ihre Schulinfrastruktur gefördert werden. Die notwendigen Investitionsausgaben könnten die Kommunen nicht allein bewältigen. Daher sei es geboten, dass der Bund finanziellen Beistand leiste.

Mehr zum Thema

Porträt von Laura Kraft mit Brille
Bildungspolitikerin im Interview: "Wir wollen, dass alle Kinder die gleichen Chancen haben"
Die Grünen-Abgeordnete Laura Kraft findet, der Bildungserfolg ist zu stark an Herkunft und Einkommen der Eltern gekoppelt. Das soll das Startchancenprogramm ändern.
Ein Abbild eines hochgehaltenen und eines herunterzeigenden Daumens
Gastkommentare: Macht der Bund genug für Bildung? Ein Pro und Contra
Bildung ist eigentlich Ländersache. Doch immer wieder werden Rufe laut, ob der Bund nicht mehr tun könnte. Uwe Jahn und Ursula Weidenfeld im Pro und Contra.
Ein Abbild einer gefüllten Geldbörse
Umsatzsteuerpunkte und Sozialindex: So wird das Startchancenprogramm finanziert
Bei der Finanzierung des Startchancenprogramms setzen Bund und Länder auf Altbekanntes und eine Neuerung: den Sozialindex.