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Foto: DBT/Achim Melde
CSU-Landesgruppe verkleinert sich: Für die Abgeordneten Andreas Scheuer und Stefan Müller wird niemand in den Bundestag nachrücken.

Fünf Fragen an Staatsrechtler Philipp Austermann : "Eine klare Übergangsregelung wäre sinnvoll gewesen"

Durch das Ausscheiden der Abgeordneten Andreas Scheuer und demnächst Stefan Müller verliert die CSU zwei Sitze. Warum niemand nachrückt, erklärt Philipp Austermann.

18.04.2024
2024-04-18T17:13:21.7200Z
3 Min

#1

Wenn Abgeordnete aus dem Bundestag ausscheiden, rückt eigentlich jemand nach. Für den ausgeschiedenen Andreas Scheuer (CSU) rückt aber niemand nach. Auch für Stefan Müller (CSU) nicht, der sein Mandat bis 1. Juni niederlegen will . Die CSU verliert zwei Sitze im Bundestag. Wieso ist das so?

Philipp Austermann: Im Dezember 2020 wurde das Bundeswahlgesetz geändert. Es wurde festgelegt, dass bis zu drei Überhangmandate nicht auszugleichen seien. Damit sollte das Anwachsen des Bundestages begrenzt werden. Diese Fassung des Bundeswahlgesetzes galt für die Bundestagswahl 2021. Da die CSU diese drei nicht ausgeglichenen Überhangmandate erhielt, rücken nach diesem Wahlrecht für bis zu drei ihrer Abgeordneten keine Listenbewerber nach.

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Philipp Austermann
ist Professor für Staats- und Europarecht an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Brühl. Der Wahlrechtsexperte ist Herausgeber und Autor mehrerer Werke zum Parlamentsrecht. Bis 2019 war er im Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages tätig.
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#2

Seit dem 14. Juni 2023 gibt es ein neues Wahlrecht. Die maßgeblichen Wahlrechtsvorschriften sind grundlegend geändert worden. Wieso gilt denn in diesen Fällen noch das Wahlrecht der Bundestagswahl 2021? Gab es eine Übergangsregelung?

Philipp Austermann: Das ist eine gute Frage. Eine Übergangsregelung gibt es für die Nachfolge nämlich nicht. Die im März 2023 beschlossene Fassung des Bundeswahlgesetzes gilt seit Juni 2023. Der Landeswahlleiter ist offenbar der Meinung, für die bislang erworbenen Mandate gelte das bisherige Recht, so dass kein Nachfolger zu berufen sei. Diese Rechtsauffassung ist mangels ausdrücklicher gesetzlicher Regelung jedenfalls begründungsbedürftig. Man gelangt zu dem Ergebnis des Landeswahlleiters, wenn man annimmt, dass für jedes Mandat, das nach einem bestimmten Wahlrecht erworben wurde, dieses Recht bis zum Ausscheiden fortgilt. Denn ansonsten würden manche Regelungen des neuen Rechts, die ja eine bestimmte Sitzvergabe anknüpfen, ins Leere laufen. Für Wiederholungswahlen, wie im Februar in Berlin, ist das Fortgelten des für die ursprüngliche Wahl geltenden Rechts in § 44 Abs. 2 Bundeswahlgesetz sogar ausdrücklich geregelt. Für alle anderen Ausscheidensfälle aber nicht. Insofern wäre eine klare Übergangsregelung sinnvoll gewesen.

#3

Kann man sagen, das Verhältnis der CSU zu den übrigen Parteien im Bundestag nähert sich damit dem Wählerwillen an? Immerhin waren es zusätzliche Mandate, die der CSU nach dem Zweitstimmenergebnis nicht zugestanden hätten.

Philipp Austermann: Der Wählerwille bestand darin, der CSU eine bestimmte Anzahl an Direktmandaten, aber auch eine bestimmte Zweitstimmenzahl zuzuweisen. Insofern wurde er auch mit den Überhangmandaten korrekt abgebildet. Das Bundesverfassungsgericht hat im November 2023 die bisherige Regelung für verfassungsgemäß erklärt.

#4

Welche Auswirkungen hat der Verlust von zwei Sitzen für die Fraktionsgemeinschaft von CDU/CSU?

Philipp Austermann: Die CDU/CSU-Fraktion und die CSU-Landesgruppe innerhalb dieser Fraktion büßen marginal an Mitgliedern ein. Auf die fraktionsübergreifenden Absprachen, zum Beispiel zu den Redezeiten oder zur Besetzung der Ausschussvorsitze, und auf die fraktionsinternen Absprachen, etwa zur Ämterverteilung auf CDU und CSU, dürfte das keinen Einfluss haben.

#5

Im neuen Wahlrecht wird es diese Situation nicht mehr geben? Dort wird es immer Nachrücker geben?

Philipp Austermann: Ja, nach dem im März 2023 beschlossenen Wahlrecht findet nach § 48 Bundeswahlgesetz in der neuen Fassung immer eine Nachfolge ins frei werdende Mandat statt. Das gilt für alle ausgeschiedenen Abgeordneten, egal ob sie ihr Mandat direkt im Wahlkreis oder über die Landesliste erworben haben. Eine Reduktion der Sitzzahl wie nach dem "alten" Recht ist damit ausgeschlossen.

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