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Foto: picture alliance / SZ Photo| Wolfgang Filser
Finanzierungsfragen spielen in der Gesundheitspolitik eine wichtige Rolle.

Gesundheitspolitik im Koalitionsvertrag : Schwarz-Rot will Versicherungen reformieren

Die neue Koalition will die Kranken- und Pflegeversicherung langfristig stabilisieren. Dazu sind Expertenkommissionen geplant, die Vorschläge ausarbeiten sollen.

29.04.2025
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4 Min

In der Gesundheitspolitik kommen auf die künftige Koalition von Union und SPD große Finanzierungsaufgaben zu. Schon seit Jahren gelten die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) und die Soziale Pflegeversicherung (SPV) als unterfinanziert. Gesundheitsökonomen beklagen, dass sich Deutschland ein teures, aber wenig effizientes Gesundheitssystem mit kontinuierlich steigenden Ausgaben leistet, die durch Einnahmen nicht gedeckt sind.

Neben inflationsbedingt höheren Kosten und wachsenden Personalausgaben führen nach Ansicht von Experten immer wieder auch teure Gesundheitsgesetze zu dauerhaft hohen Belastungen. Die Begrenzung der Ausgaben erweist sich dabei als schwierig, zumal einzelne Berufsgruppen im Gesundheitssystem regelmäßig über zu wenig Einkommen beziehungsweise Gewinn klagen, Apotheker beispielsweise, die pharmazeutische Industrie, manche Arztgruppe und Pfleger.

Pflegekassen geraten finanziell zunehmend unter Druck

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In der Pflege liegen die Probleme auf der Hand: Immer mehr alte und hochaltrige Menschen müssen umfassend versorgt werden, wobei die gesetzliche Pflegeversicherung nur einen Teil der Kosten abdeckt. Hier steigen die Ausgaben ebenfalls ständig, auch bedingt durch eine bessere Entlohnung der Pflegekräfte und systematisch ausgeweitete Pflegeleistungen. Die steigenden Kosten schlagen insbesondere bei den Pflegeheimen durch, die für immer mehr Pflegebedürftige und ihre Familien unerschwinglich werden.

Zuletzt sind mit Beginn des neuen Jahres die Beiträge für GKV und SPV weiter gestiegen, in der GKV mit im Durchschnitt 0,8 Prozentpunkten besonders deutlich. In der Pflegeversicherung stiegen die Beiträge 2025 nochmals um 0,2 Prozentpunkte. Nach Angaben des GKV-Spitzenverbandes hat die SPV das Jahr 2024 mit einem Defizit in Höhe von 1,54 Milliarden Euro abgeschlossen. Für 2025 erwarten die Kassen trotz der Beitragserhöhung ein Pflegedefizit von rund einer halben Milliarde Euro. 


„Der Pflege steht das Wasser bis zum Hals.“
Doris Pfeiffer (GKV-Spitzenverband)

Die Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Doris Pfeiffer, warnte in der ARD: "Der Pflege steht das Wasser bis zum Hals. Und der Pegel steigt." Nicht nur für die Versicherten ist die Lage schwierig, sondern auch für die Pflegekassen. Unlängst musste erstmals eine Pflegekasse sogar Finanzhilfen beantragen, um eine Insolvenz abzuwenden. In einem solchen Fall sind Zuschüsse aus einem Ausgleichsfonds vorgesehen, dessen Rücklagen schmelzen.

Die GKV hat im Jahr 2024 ein Defizit von rund 6,2 Milliarden Euro erwirtschaftet. Den Einnahmen in Höhe von rund 320,6 Milliarden Euro standen Ausgaben von rund 326,8 Milliarden Euro gegenüber. Allein Krankenhausbehandlungen schlugen mit rund 101 Milliarden Euro zu Buche, das waren 33 Prozent der Leistungsausgaben in der GKV, gefolgt von Arzneimittelausgaben (rund 55,2 Milliarden Euro) und Ausgaben für die ärztliche Behandlung (rund 50,1 Milliarden Euro). Zugleich sind die Finanzreserven der Krankenkassen auf nur noch 2,1 Milliarden Euro geschrumpft. 

Expertenkommissionen sollen Vorschläge erarbeiten

Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD wird der Reformbedarf in der Kranken- und Pflegeversicherung thematisiert, allerdings nur allgemein. Um eine gute medizinische und pflegerische Versorgung zu sichern, „wagen wir tiefgreifende strukturelle Reformen, stabilisieren die Beiträge, sorgen für einen schnelleren Zugang zu Terminen und verbessern die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten im Gesundheitswesen“, heißt es dort. Das Ziel sei, eine weitere Belastung der Beitragszahler zu vermeiden, „die seit Jahren steigende Ausgabendynamik zu stoppen und die strukturelle Lücke zwischen Ausgaben und Einnahmen zu schließen“. 

Geplant ist dazu im Gesundheitsbereich eine Expertenkommission, die den Auftrag erhalten soll, bis zum Frühjahr 2027 konkrete Vorschläge zu unterbreiten, wie in dem Papier vermerkt ist. Um die strukturellen Probleme in der Pflege anzugehen, ist eine große Reform geplant mit dem Ziel einer nachhaltigen Finanzierung der Pflegeversicherung. Grundlagen der Pflegereform sollen von einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe auf Ministerebene unter Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände erarbeitet werden. Diese Kommission soll Ergebnisse noch 2025 vorlegen. 

Fachverbände fordern von der Koalition schnelle Lösungen 

Das Gremium kann sich dabei Erkenntnisse einer Vorgängerkommission zunutze machen, die ihren Bericht bereits im Juli 2024 vorgelegt hat. In dem Bericht „Zukunftssichere Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung - Darstellung von Szenarien und Stellschrauben möglicher Reformen“, werden die finanziellen Herausforderungen bis zum Jahr 2060 analysiert. Mit dem Regierungsbericht liege eine empirisch fundierte mögliche Entscheidungsgrundlage vor, teilte die bisherige Regierung mit. 

Einige Fachverbände sehen die Ankündigungen im Koalitionsvertrag kritisch, schon deswegen, weil die Arbeit der Kommissionen vermutlich viel Zeit in Anspruch nehmen wird. GKV-Vorstandchefin Pfeiffer sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND): „Wir haben Rekordbeitragssätze, wir haben nur noch sieben Prozent einer Monatsausgabe als Reserve, in den letzten zwei Monaten gab es sechs weitere Beitragssatzerhöhungen und die einzige Antwort darauf scheint eine Kommission zu sein, die erst im Frühjahr 2027 Ergebnisse vorlegen soll.“ 

Spitzenverband warnt vor stark steigenden Beiträgen

Sie forderte ein Vorschaltgesetz und ein Ausgabenmoratorium. Es dürfe keine Preis- oder Honorarerhöhungen mehr geben, die über die laufenden Einnahmen hinausgingen. Pfeiffer mahnte: „Ein Weiter-so in der Gesundheitspolitik ist keine Option, denn dann gehen die Zusatzbeiträge über kurz oder lang durch die Decke.“

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Auch der BKK Dachverband warnte vor einer Verzögerung der Reformen vor allem in der Pflege. Vorstandsmitglied Anne-Kathrin Klemm kritisierte, es werde eine neue Kommission für bereits bekannte Probleme gegründet, obwohl Lösungen längst auf dem Tisch lägen. Sie forderte unter anderem, die SPV von versicherungsfremden Leistungen zu befreien, mit einer wirksamen Prävention die Pflegebedürftigkeit hinauszuzögern und die Neuordnung der Pflegeberufe anzugehen.

Koalition plant Primärarztsystem für effektivere Patientensteuerung

In einem weiteren wichtigen Punkt, der effektiveren Patientensteuerung, haben sich die Koalitionäre bereits auf einen konkreten Plan verständigt. Union und SPD wollen die ambulante Versorgung ausbauen und die Vergabe von Arztterminen zielgenauer organisieren, um Wartezeiten zu verringern. Gesetzlich versicherte Patienten berichten immer wieder, dass sie teils lange auf Facharzttermine warten müssen und fühlen sich gegenüber Privatversicherten im Nachteil. Im Koalitionsvertrag ist nunmehr von einem „verbindlichen Primärarztsystem bei freier Arztwahl durch Haus- und Kinderärzte in der hausarztzentrierten Versorgung und im Kollektivvertrag“ die Rede. 

Primärärzte „oder die von den Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) betriebene Rufnummer 116 117“ sollen den Bedarf für einen Facharzttermin feststellen und den dafür notwendigen Zeitkorridor (Termingarantie) festlegen. Die KV sollen dazu verpflichtet werden, die Termine zu vermitteln. Gelingt dies nicht, soll der Facharztzugang im Krankenhaus ambulant ermöglicht werden. Zudem soll auf digitalem Weg und mit Hilfe der Telemedizin eine Ersteinschätzung ermöglicht werden. Geplant ist überdies, sektorenunabhängige Fallpauschalen (Hybrid-DRGs) weiterzuentwickeln und damit Angebote im ambulanten und stationären Bereich zu verschränken. Eines steht schon fest: Auf die designierte neue Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) wartet absehbar sehr viel Arbeit.