
Landtag wählt Ministerpräsidenten : Olaf Lies ist neuer Ministerpräsident in Niedersachsen
Der Landtag in Hannover hat den bisherigen Wirtschaftsminister Olaf Lies zum Ministerpräsidenten in Niedersachsen gewählt. Er übernimmt das Amt von Stephan Weil.
Der SPD-Politiker Olaf Lies ist neuer Ministerpräsident in Niedersachsen. Die Abgeordneten im Landtag von Hannover wählten den bisherigen Wirtschaftsminister am Dienstag im ersten Wahlgang zum neuen Regierungschef an der Spitze des rot-grünen Kabinetts. Für Lies votierten in geheimer Wahl 80 Parlamentarier. Mit der vorgezogenen Neuwahl des Regierungschefs ging die gut 12-jährige Amtszeit von Stephan Weil (SPD) zu Ende.
Vor vielen Zuschauern im gut gefüllten Plenarsaal würdigte Landtagspräsidentin Hanna Naber (SPD) den langjährigen Ministerpräsidenten Weil, der das Bundesland durch zahlreiche Krisen geführt und sich stets in den Dienst des Landes und der Menschen gestellt habe.
Weil dankte in einer kurzen Ansprache seinen politischen Weggefährten und ging ebenfalls auf die Krisen der vergangenen Jahre ein. Er erinnerte an die großen Zuwanderungsbewegungen, an Hochwasserereignisse und die Energiekrise infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine. Er habe aufregende, anstrengende, aber oft auch schöne Zeiten erlebt. Weil appellierte an alle Demokraten, zusammenzuhalten, denn die Demokratie stehe unübersehbar unter Druck.
Lies will die Koalition mit den Grünen langfristig fortsetzen
Der 66 Jahre alte Weil hatte Anfang April seinen Rückzug von der Regierungs- und Parteispitze angekündigt und dies auch mit der großen Arbeitsbelastung begründet, die er in seinem Alter nicht mehr ohne Weiteres schultern könne.
Nach der formellen Rücktrittserklärung von Weil hatte der Landtag die Neuwahl des Ministerpräsidenten auf die Tagesordnung gesetzt. Auf einem Sonderparteitag am vergangenen Freitag (16. Mai) in Hannover nominierte die SPD den Kandidaten Lies offiziell für das Spitzenamt. Lies soll von Weil auch den SPD-Landesvorsitz übernehmen. Auf einem Parteitag am kommenden Samstag (24. Mai) in Wolfenbüttel ist die Neuwahl des Landesvorstandes geplant.
„Ich muss wahrscheinlich ganz nüchtern feststellen: Ich habe den Zenit meiner Leistungsfähigkeit überschritten.“
In Niedersachsen regiert eine Koalition von SPD und Grünen, die Lies (58) auch über die nächsten Wahlen 2027 fortführen will.
Der Landtag in Hannover umfasst 146 Sitze, die absolute Mehrheit liegt bei 74 Stimmen. Die Koalitionsfraktionen kommen zusammen auf eine Mehrheit von 81 Mandaten. Stärkste Fraktion mit 57 Sitzen ist die SPD, gefolgt von der CDU mit 47 Mandaten, den Grünen mit 24 und der AfD mit 17 Sitzen. Ein ehemaliger Abgeordneter der AfD-Fraktion ist jetzt fraktionslos.
Der neue Regierungschef ist ein erfahrener Landespolitiker
Olaf Lies ist ein erfahrener Landespolitiker und galt schon länger als potenzieller Anwärter auf das Spitzenamt in der Regierung. Lies stammt aus Friesland und wurde am 8. Mai 1967 in Wilhelmshaven geboren. Er ist Vater zweier Töchter und lebt mit seiner Familie in Sande an der Nordsee. Nach einer Lehre zum Funkelektroniker in Wilhelmshaven leistete Lies seinen Grundwehrdienst bei der Marine. Er studierte Elektrotechnik, arbeitete als Ingenieur und später als Hochschuldozent.
Bereits seit 2008 ist Lies Abgeordneter im niedersächsischen Landtag. Er war zuletzt seit November 2022 Minister für Wirtschaft, Verkehr, Bauen und Digitalisierung, zuvor von 2017 bis 2022 Minister für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz und von 2013 bis 2017, im ersten Kabinett von Stephan Weil, Minister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr. Lies gilt als Experte für Energiepolitik.
Von 2010 bis 2012 stand er zudem an der Spitze der Landes-SPD, bis er 2012 in einer Kampfkandidatur um die Spitzenkandidatur für die Landtagswahl 2013 dem damaligen Oberbürgermeister von Hannover, Weil, unterlag. Über seine Beziehung zu Weil sagte Lies: „Solches Vertrauen und echt empfundene Freundschaft habe ich in der Politik nur selten erlebt.“ Auch Weil befand: „In vielen Jahren der Zusammenarbeit hat es zwischen uns nie Streit oder ein böses Wort gegeben, und ich war immer dankbar dafür, dass Olaf Lies zu jeder Zeit mir gegenüber äußerst loyal gewesen ist.“
Weil will kürzer treten und seine Gesundheit schonen
Der Wechsel an der Spitze der Landesregierung kam überraschend. Weil teilte Anfang April in einer persönlichen Erklärung mit, dass seine Entscheidung auch gesundheitliche Gründe habe. „Ich habe deutliche Anzeichen, dass es jetzt, nach vielen Jahren einer äußerst intensiven Arbeit, an der Zeit ist, kürzer zu treten. Das ist auch der Rat meines Arztes.“
Er fügte hinzu: „Ich bin 66 Jahre alt – und ich merke das. Ich bin zwar gesund, möchte es aber auch bleiben.“ Weil berichtete von einem kraftraubenden Bundestagswahlkampf zuletzt und „unangenehmen Schlafstörungen“.
Alle Minister im Kabinett werden formal neu berufen
Laut Landesverfassung müssen nach einem Rücktritt des Regierungschefs alle Minister im Kabinett formal neu berufen und vom Landtag bestätigt werden, auch wenn sich die Personalien nicht ändern. Zum neuen Wirtschaftsminister berufen wurde der bisherige SPD-Fraktionschef im Landtag und frühere Kultusminister Grant Hendrik Tonne.
Diese Aufgabe gilt angesichts der aktuellen Wirtschaftskrise und der von US-Präsident Donald Tump verfolgten Zollpolitik als besonders anspruchsvoll. In Niedersachsen ist unter anderem die kriselnde Werft- und Automobilindustrie stark vertreten, das Land hält einen Minderheitsanteil am Volkswagen-Konzern. Lies schafft außerdem das Europaministerium in seiner bisherigen Form ab und holt es mit einer neuen Chefin in die Staatskanzlei.
CDU hätte gerne vorgezogene Neuwahlen durchgesetzt
Die CDU-Opposition reagierte Anfang April kritisch auf die Rochade in der Landesregierung und forderte vorgezogene Neuwahlen. CDU-Fraktionschef Sebastian Lechner sagte, Ministerpräsident Weil habe bei der Landtagswahl 2022 zugesagt, sein Amt bis 2027 auszuüben und sein Wort nun gebrochen. Neuwahlen wären „der ehrlichste und demokratisch sauberste Weg".
Weil erklärte ein paar Wochen später in einem Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit“, dass er sein politisches Engagement immer von seiner Gesundheit abhängig gemacht habe. Er fügte hinzu: „Ich habe es mir auch nicht leicht gemacht. Wenn ich ehrlich bin, muss ich feststellen: Ich habe ein aufwendiges Arbeitsleben gehabt, und zwar, über den Daumen gepeilt, seit etwa 20 Jahren. Nur: Als so anstrengend wie in den letzten zwei Jahren habe ich es vorher nie empfunden. Ich muss wahrscheinlich ganz nüchtern feststellen: Ich habe den Zenit meiner Leistungsfähigkeit überschritten.“
Feierliche Verabschiedung von Weil vor dem Neuen Rathaus in Hannover
Bereits am Montag wurde Ministerpräsident Stephan Weil mit einem feierlichen Zeremoniell verabschiedet. Dazu spielte das Heeresmusikkorps vor dem Neuen Rathaus in Hannover eine Serenade. Unter den prominenten Gästen war Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), der im Kabinett Weil lange Innenminister war und seinen früheren Kabinettskollegen in einer Ansprache als "herausragenden Landesvater" würdigte, der "in zwölf bewegten, krisen- und ereignisreichen Jahren" das Bundesland geführt und "viele wichtige Weichen" gestellt habe.
Ähnlich wie beim Zapfenstreich auf Bundesebene durfte sich Weil drei Musikstücke aussuchen. Er wählte das für die Arbeiterbewegung wichtige "Bürgerlied“, das gegen die Nazi-Diktatur gerichtete Stück "Die Moorsoldaten" sowie den Titel "Won't Forget These Days" der aus Hannover stammenden Band „Fury in the Slaughterhouse“. Auf die Frage, wie er den Leuten einmal in Erinnerung bleiben wolle, antwortete Weil unlängst: “Och, gerne als ziemlich normal. Ich habe mich nicht als etwas Besonderes gefühlt, sondern als ein Bürger mit einer besonderen Aufgabe.”
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