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Bürokratieabbau : Zu viele Regeln, zu hohe Kosten

Die Union wirft der Koalition vor, die Kosten für Wirtschaft und Bürger in die Höhe zu treiben. Die Ampel stellt hingegen große Entlastungen ins Schaufenster.

21.10.2023
2024-03-14T14:30:44.3600Z
4 Min
Foto: picture-alliance/FotoMedienService/Ulrich Zillmann

Digital ist besser: Den Papierwust einzudämmen, ist eines der Ziele der Koalition.

Beim Thema Bürokratie sind sich eigentlich alle einig: Es ist schlimm, sehr schlimm. "Überbordende Bürokratie schadet allen: dem Bürger, der Wirtschaft und auch dem Staat", sagte Günter Krings (CDU) am Donnerstag im Bundestag. "Unser Staat lähmt sich in Teilen selbst", sekundierte Lukas Benner (Bündnis 90/Die Grünen). Benjamin Strasser (FDP), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesjustizministerium und Koordinator der Bundesregierung für Bessere Rechtsetzung und Bürokratieabbau, diagnostizierte gar einen "Bürokratie-Burn-Out" im Land: "Die Menschen sind angesichts der bürokratischen Lasten so verzweifelt, dass es ihnen die Kreativität nimmt, ihren Unternehmergeist nimmt, sprich: die Dynamik in unserem Land blockiert".

Bei aller Einigkeit in der Diagnose, über die Art der Behandlung und vor allem über die Frage, wer dafür am besten geeignet wäre, wurde im Plenum heftig gestritten. Aus Sicht der Union, deren Antrag für eine "Agenda für Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung" Grundlage der Debatte war, macht die Ampel alles schlimmer - und reißt die Erfolge von 16 Jahren Unions-geführter Bundesregierung ein. Drei Bürokratieentlastungsgesetze habe man seinerzeit verabschiedet, am Ende habe der Bürokratiekostenindex so niedrig wie nie zuvor gestanden, so Krings. Die Ampel habe es aber "in Windeseile" geschafft, mehr und neue Bürokratie aufzubauen. Durch die Ampel liege der bundesgesetzliche Erfüllungsaufwand inzwischen bei 25 Milliarden Euro jährlich, zu Unions-Zeiten habe der Wert konstant bei zehn Milliarden Euro gelegen. Mit dem Erfüllungsaufwand wird angegeben, welche Kosten aus Vorschriften für Bürger, Wirtschaft und Verwaltung entstehen. "Die Regulierungs- und Kontrollwut der aktuellen Bundesregierung erstickt die Freiheit des privaten und unternehmerischen Handelns", folgerte der Christdemokrat.


CDU-Abgeordneter Günter Krings
Foto: Tobias Koch
„Schreiben Sie gerne von uns ab! Aber bitte tun Sie endlich etwas in Sachen Bürokratieabbau!“
Günter Krings (CDU/CSU)

In dem Antrag fordert die Fraktion unter anderem ein "Belastungsmoratorium" auf EU-Ebene, zudem sollen sich Bundestag und Bundesregierung mittels einer "fest definierte Bürokratiequote" selbst beschränken, im Parlament will die Union zudem einen Ausschuss für Bürokratieabbau einrichten. Auch an die Entlastung will die Union ran. Sie schlägt eine "One in, two out"- statt der bestehenden "One in, one out"-Regelung vor. Nach dieser 2015 eingeführten Regelung soll jede finanzielle Belastung der Wirtschaft durch eine Entlastung an anderer Stelle ausgeglichen werden. Christdemokraten und Christsozialen schwebt nun eine Verdoppelung der Entlastung vor. "Schreiben Sie gerne von uns ab! Schreiben Sie vom Normenkontrollrat ab, schreiben Sie von anderen Experten ab. Aber bitte tun Sie endlich etwas in Sachen Bürokratieabbau", mahnte Krings die Bundesregierung.

Die Koalition konnte die Union mit ihrem Antrag, der nun federführend im Rechtsausschuss beraten wird, nicht überzeugen. Es fehlten die konkreten Vorschläge, kritisierte Thorsten Lieb (FDP). "Was ich finde, sind Absichtserklärungen, sind Strukturvorschläge, die eher Bürokratie aufbauen statt abbauen." Es sei wichtig, über Bürokratieabbau zu reden, sagte der Liberale, "aber viel wichtiger ist es, zu handeln".

Koalition setzt auf Bürokratieentlastungsgesetz IV

Und das tut die Koalition nach eigenem Bekunden. So verwiesen Lieb und Staatssekretär Strasser auf das geplante Bürokratieentlastungsgesetz IV (BEG). Die Eckpunkte dafür aus dem Haus von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hatte das Kabinett Anfang Oktober gebilligt. Unter anderem sollen Informationspflichten und Aufbewahrungsfristen reduziert und gekürzt werden. Das Schriftformerfordernis - die eigenhändige Unterschrift - soll im Bürgerlichen Gesetzbuch weitestgehend durch die Elektronische Form ersetzt werden. Die Bundesregierung verweist auf Berechnungen des Statistischen Bundesamtes, das von einer Entlastung von mindestens 2,3 Milliarden Euro ausgeht - darin ist aber auch die Wirkung des im parlamentarischen Verfahren befindlichen Wachstumschancengesetzes enthalten.

Damit lege die Bundesregierung "das größte Bürokratieabbaugesetz in der Geschichte der Bundesrepublik vor", sagte Strasser und merkte in Richtung Union an, dass es ihr nicht gelungen sei, das BEG IV auf den Weg zu bringen. Zudem sollen beide Vorhaben laut Strasser nur der "erste Aufschlag" sein.

Bürokratieabbau nicht zu Lasten von sozialen Rechten 

Auch Grüne und Sozialdemokraten bekannten sich in der Debatte klar zum Bürokratieabbau. Zanda Martens (SPD) sah vor allem auf EU-Ebene Handlungsbedarf. Deswegen sei es richtig, dass sich Deutschland und Frankreich auf eine gemeinsame Initiative zur Bürokratieentlastung verständigt hätten. Die Sozialdemokratin warnte aber davor, die EU als "reines Bürokratiemonster" darzustellen, das tue der EU "gefährliches Unrecht". Sie stellte auch klar, dass "individuelle Rechte und soziale Leistungen dem Bürokratieabbau" nie geopfert werden dürften - "weder auf nationaler noch auf europäischer Ebene, nicht Arbeitnehmerrechte, nicht Mieterrechte, nicht Verbraucherrechte".

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Ähnlich äußerte sich der Grüne Lukas Benner: "Bürokratieabbau bedeutet nicht Deregulierung durch die Hintertür." Das Schriftformerfordernis habe im Arbeits- und Mietrecht eine berechtigte Schutzfunktion, die nicht geschliffen werden sollte, so Benner. Wichtig sei eine Personaloffensive und "effektive Digitalisierung". Er warnte zudem vor "Abgesängen auf den Zustand unseres Landes". Diese würden die Potenziale im Land verkennen.

Stephan Brandner (AfD) wiederum verwies darauf, dass immer weniger Unternehmen gegründet und die Zahl der Insolvenzen zunehmen würde. Dennoch hätten Deutschland und die EU nichts Besseres zu tun, "als Bürgern und Unternehmen immer mehr Bürokratie und wahnsinnige Vorschriften aufzubürden", kritisierte der AfD-Abgeordnete.

»Projektitis« in der Forschung kritisiert

Für die Fraktion Die Linke ging Petra Sitte vor allem auf die Bürokratie für Forschungseinrichtungen, Universitäten und forschende Unternehmen ein. In Unternehmen, Hochschulen und Instituten seien inzwischen eigene Referate und Abteilungen entstanden, um sich um die komplexe Antragsstellung zu kümmern. "Diese Projektitis ist eine enorme Geld- und Zeitverschwendung", sagte Sitte. "Wir wollen mehr Forschungs- statt Antragsarbeit."