Kurz rezensiert : Die Enttabuisierung des Sterbens
Luisa Stömer und Eva Wünsch nähern sich mit erstaunlicher Leichtigkeit einem Thema an, dass in unserer Gesellschaft noch immer ein Tabu ist: dem Tod.
Wer fürchtet, man könne ein Buch über Sterben, Tod und Trauer nur mit Kloß im Hals, in kleinsten Portionen und sich anschließender depressiver Verstimmung lesen, den belehren Luisa Stömer und Eva Wünsch mit "Schwellenangst" eines Besseren.
Vier Jahre lang haben die beiden Autorinnen recherchiert und sich mit unterschiedlichen Blickwinkeln auf das Thema befasst. Sie haben Fragen an alte und junge Menschen, Bekannte und Fremde gestellt und Profis bei der Arbeit beobachtet. Ihre Grundthese: Unsere heutigen Gesellschaften verdrängten Sterben und Tod zu sehr - sowohl was die Thematisierung und das Trauern hinter verschlossenen Türen angehe als auch das "Outsourcen" des Sterbens in Krankenhäuser und Pflegeheime. Und es gelingt ihnen, mit erfrischender Leichtigkeit ihren Teil zur Enttabuisierung beizutragen - ohne dabei unsensibel zu wirken.
Die Ungleichheiten im Leben gehen über den Tod hinaus
"Schwellenangst" enthält konkrete Tipps unter anderem zu Bestattungsmöglichkeiten, Erbe und Vermächtnis, Umgang mit Trauer und Suizidgefahr, geht aber weit darüber hinaus. Stömer und Wünsch werfen gesellschaftspolitische Fragen auf wie die, wieso Ungleichheiten im Leben über den Tod hinausgehen. Beispielsweise, wenn einem Obdachlosen ohne Angehörige nur die anonyme Bestattung in Form des Verbrennens bleibt, ohne Trauerfeier, Worte und Blumen. Das Sprichwort, im Tode seien alle Menschen gleich, sei ein ziemliches Missverständnis, schreiben die Autorinnen. Der Tod von Armen habe sich stets durch seine Spurenlosigkeit ausgezeichnet.

Luisa Stömer, Eva Wünsch:
Schwellenangst.
Annäherungen an einen anderen Umgang mit Sterben, Tod und Trauer.
Antje Kunstmann,
München 2024;
288 S., 34,00 €
Die Darstellung des Umgangs mit Tod und Abschiednehmen in verschiedenen Weltreligionen und zu unterschiedlichen historischen Zeiten erweitert den Horizont ebenso wie die Beschäftigung mit der religionsphilosophischen Kernfrage danach, ob es eine Seele gibt und was nach dem Tod mit ihr geschehen könnte. Aufgelockert werden die Kapitel mit grafischen Darstellungen und Kurzberichten von Betroffenen, sodass sich beim Lesen immer wieder "Atempausen" ergeben.
Autorinnen informieren über Alternativen zum Sterben im Krankenhaus
Es gibt etliche Seiten, die man im Grunde jedem ans Herz legen möchte, weil sie dem Thema spürbar Schwere nehmen. Beispielsweise wenn man über Alternativen zum Sterben im Krankenhaus informiert wird und darüber, dass es beim Sterben verschiedene Phasen gibt, die identifizierbar sind. Ist man sich darüber im Klaren, lässt sich ein Abschiednehmen organisieren, das dem Sterbenden angenehm sein könnte und klar macht, dass er nicht allein gelassen wird. Vielleicht wird mancher Leser durch die Lektüre ermutigt, explizit nach den Wünschen seiner Nächsten für einen solchen Fall zu fragen.
Weitere Buchrezensionen

Emma Holten erklärt in „Unter Wert“, warum die Care-Arbeit in der Krise steckt – und seit Jahrhunderten zu wenig Anerkennung bekommt.

Der Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge sieht den sozialen Frieden bedroht. Die aktuellen Krisen würden auf dem Rücken der Unterprivilegierten ausgetragen.

Die Belange von Kindern und Familien spielen in unserer modernen Gesellschaft eine untergeordnete Rolle. Zwei Bücher analysieren, was sich ändern sollte.