Thomas Mann : Ein entschlossen Handelnder in der öffentlichen Arena
In seinem Buch "Was gut ist und was böse" betont Kai Sina die Rolle des Schriftstellers und Literaturnobelpreisträgers Thomas Mann als politischer Aktivist.
Noch ein Buch über Thomas Mann? Ist nicht alles schon gesagt über den deutschen Jahrhundertschriftsteller - und auch von jedem? Die Antwort lautet: Nein! Sein Werk wird immer noch gelesen, sein Leben fasziniert, die Literaturwissenschaft ist längst noch nicht fertig mit ihm und entdeckt tatsächlich immer wieder Neues, Unbekanntes oder so noch nie Betrachtetes.
Kai Sina, Professor für Neuere Deutsche Literatur an der Universität Münster hat jetzt in einer bestechend konzisen Studie den politischen Aktivisten Thomas Mann entdeckt. Der war immer schon da, wurde als solcher aber übersehen. Sina hat nicht etwa neue Quellen erschlossen oder unbekannte Dokumente gefunden und ausgewertet, sondern vielmehr alles, was vom Autor der Buddenbrooks, des Zauberbergs und zahlreicher anderer Werke der Weltliteratur an politischen Einlassungen auffindbar ist - und hat zusammengelesen, was bisher verstreut in je anderen Kontexten behandelt wurde. Das Ergebnis der erneuten Lektüre ist keine Kleinigkeit. Es ist, das ist wohl nicht zu viel gesagt, dazu angetan, ein neues Licht auf den Literaturnobelpreisträger des Jahres 1929 zu werfen.
"Radikaldemokrat bürgerlicher Provenienz" oder "Feind der progressiven Sache"?
Bisher gab es in der Auseinandersetzung und Bewertung des politischen Thomas Mann grundsätzlich zwei etablierte Positionen. Je nach Perspektive lässt sich entweder der "Radikaldemokrat bürgerlicher Provenienz" als "progressiv" adeln, oder der Bürgerkünstler mit seinem "ironischen Skeptizismus" als "Feind der progressiven Sache" verurteilen. Diese gespaltene Wahrnehmung sei bis in die Gegenwart nicht überwunden, eher im Gegenteil, stellt Sina fest. Ihn als demokratischen Aktivisten und Aktivisten der Demokratie zu betrachten sei unüblich - aber genau das sei er gewesen.
"Ich bin kein Anhänger des unerbittlich sozialen Aktivismus", sagte Thomas Mann 1930 in seiner "Deutschen Ansprache" - um dann hinzuzufügen: "Dennoch gibt es Stunden, Augenblicke des Gemeinschaftslebens, wo der Künstler von innen her nicht weiter kann, weil unmittelbarere Notgedanken des Lebens den Kunstgedanken zurückdrängen, krisenhafte Bedrängnis der Allgemeinheit auch ihn auf eine Weise erschüttert, dass die spielend leidenschaftliche Vertiefung ins Ewig-Menschliche, die man Kunst nennt, zur seelischen Unmöglichkeit wird."
Wie Mann zum öffentlichen Befürworter der Gründung eines jüdischen Staates wurde
Sina zeigt auf, dass Mann als publizistisch Handelnder und politischer Intellektueller die öffentliche Arena weit früher und entschlossener betritt, "als dies die einschlägigen Lehrbücher weiterhin glauben machen". Der Schriftsteller sei "nicht in erster Linie ein Theoretiker der Demokratie, ein politischer Denker. Er ist ein Handelnder, ein Aktivist" spätestens als die Weimarer Demokratie existentiell bedroht ist.

Kai Sina:
Was gut ist und was böse.
Thomas Mann als politischer Aktivist.
Propyläen,
München 2024;
304 Seiten, 24,00 €
Von Beginn an spielt dabei, wie Sina hervorhebt, Manns weitgehend vernachlässigtes Verhältnis zum Zionismus eine herausragende Bedeutung. Er ist ein Befürworter der jüdischen Assimilation und des kulturellen Zionismus. Der Holocaust lässt ihn dann zu einem öffentlichen Befürworter der Gründung eines jüdischen Staates werden. Im US-Exil wird er zu einem prominenten Gegner des Nationalsozialismus, "ein öffentlicher Intellektueller und demokratischer Propagandist", wie Sina schreibt. Im Zweiten Weltkrieg rufen seine Rundfunkreden "Deutsche Hörer!" zum Kampf gegen die Nazis auf.
Eine Ermunterung, sich die Politik zur eigenen Sache zu machen
Für eine rasche Aktualisierung eigne sich Thomas Mann in politischer Hinsicht kaum, resümiert Sina. Aber in der Art und Weise, wie der politische Thomas Mann dachte und schrieb, liege vielleicht eine Erinnerung daran, dass eine Demokratie der ständigen praktischen Erneuerung im Leben jedes Einzelnen bedarf; und eine Ermutigung, sich aus dem selbstverschuldeten Zustand des bloßen Erleidens von Politik heraus zu begeben und sie sich im Kleinen wie im Großen zur eigenen Sache zu machen.
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