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Jens Stoltenbergs Autobiografie : Ein Norweger im Krisenmodus

Der frühere Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg blickt in seinen Memoiren „Auf meinem Posten“ zurück auf sein Leben und politisches Wirken.

07.11.2025
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3 Min

"Ich bin ein big, big, big Fan der Nato!" Das war der erste Satz, den der frisch ins Amt gewählte US-Präsident Donald Trump am 18. November 2016 Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg wissen ließ. Beim zweiten Gespräch betonte Trump, es habe ihn "überrascht zu erfahren", dass Deutschland den USA 374 Milliarden Dollar Verteidigungsausgaben schulde. Berlin stehe wegen des Imports von russischem Gas vollständig unter Russlands Kontrolle. 

"Wir beschützen Deutschland", unterstrich Trump wütend und forderte seinen "großer Geldeintreiber" Stoltenberg auf, die Partner zur Kasse zu bitten. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hingegen verwies mit Blick auf die deutschen Verteidigungsausgaben süffisant auf den Koalitionspartner. "Ich gebe mein Bestes, Jens, aber es sind Ihre sozialdemokratischen Freunde im Bundestag, die sich widersetzen".

Foto: picture alliance/AP Photo

US-Präsident Donald Trump, Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg und Bundeskanzlerin Angela Merkel (v.l.n.r.) während des Nato-Gipfels am 25. Mai 2017 in Brüssel.

Erst in 30 Jahren werden Historiker die als geheim eingestuften Dokumente - unter ihnen die Arbeitspapiere des Nato-Rates, die Protokolle diverser Gipfeltreffen und Vier-Augen-Gespräche - auswerten können, die Jens Stoltenberg bereits heute für seine "Erinnerungen" nutzt. Der Norweger, der zwischen 2014 und 2024 Nato-Generalsekretär war, entschied, dass auch die jetzige Generation ein Anrecht hat zu erfahren, was in diesen brisanten Zeiten hinter den Kulissen der Weltpolitik diskutiert und beschlossen wurde. 

Obama und Merkel wollten Stoltenberg als nächsten Nato-Generalsekretär

Ein Jahr nach seinem Ausscheiden aus der Nato-Führung hat er ein faszinierendes Buch vorgelegt, das seinesgleichen sucht. Stoltenbergs Memoiren sind informativ und unterhaltsam zugleich. Er lässt die Leser an vielen wichtigen Begegnungen teilhaben, die er täglich im Nachgang festhielt. Ergänzt werden die persönlichen Aufzeichnungen durch Dokumente und Analysen, die er geschickt in den Text einbaut.

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Doch zunächst blickt Stoltenberg zurück auf seine Jugend. Er entstammt einer Familie engagierter Sozialdemokraten. Sein Vater Thorvald war unter anderem norwegischer Verteidigungsminister und Außenminister, seine Mutter Karin Staatssekretärin in verschiedenen Ministerien. Die erfolgreiche parteipolitische Karriere von Jens Stoltenberg begann bei Anti-Krieg-Demos und führte den Sozialdemokraten später an die Spitze der Regierung: Er amtierte zehn Jahre als Ministerpräsident Norwegens, bevor US-Präsident Barack Obama und Angela Merkel "einen Plan schmiedeten", ohne zuvor mit ihm zu sprechen: Er sollte der nächste Nato-Generalsekretär werden.

Auf einer Wellenlänge mit Bundeskanzlerin Angela Merkel

Stoltenberg räumt nicht nur der Sicherheitspolitik im westlichen Bündnis breiten Raum ein, sondern auch seinen Kollegen, vorneweg Angela Merkel, seiner "Stütze" in der Nato. Die Kanzlerin habe "eine ganz eigene Verschmitztheit und spricht ernste Themen auf eine launige, fast schelmische Weise an", notiert Stoltenberg. "Die Amerikaner sind mächtig, aber ich hoffe, Sie kommen nicht jeder Bitte nach, Jens", meinte Merkel im Juni 2014. "Es ist wichtig, dass die USA nicht immer ihren Willen bekommen". 

Von allen Regierungschefs des westlichen Bündnisses war Stoltenberg mit Merkel "am ehesten auf einer Wellenlänge. Wir hatten eine gemeinsame Grundhaltung zu den großen Herausforderungen." Die Deutsche sei pragmatisch und konstruktiv gewesen, "ging die meisten Dinge rational an und war eine wichtige Mitstreiterin", schwärmt der ehemalige Nato-Generalsekretär.


Jens Stoltenberg:
Auf meinem Posten.
In Krisenzeiten an der Spitze der NATO. Erinnerungen.
Siedler Verlag,
München 2025;
528 S., 32,00 €


Neben seiner Frau Ingrid und seinen Eltern werden in Stoltenbergs Erinnerungen drei Personen besonders häufig erwähnt: Donald Trump, Wladimir Putin und Merkel. Als norwegischer Ministerpräsident kam Stoltenberg mit dem russischen Präsidenten gut aus. Dabei half ihm eine Fähigkeit, die er sich von seinem Vater abgeschaut hatte: Konflikte nicht konfrontativ zu lösen. Diese Eigenschaft kam ihm vor allem während der vier Jahre andauernden ersten Präsidentschaft Trumps zugute. Damals gelang es ihm, die Nato vor dem Zerfall zu bewahren.

Für Stoltenberg ist Frieden “das eigentliche Fundament für sozialen Fortschritt”

"Wenn Krieg herrscht, kommt man weder mit dem Klimawandel noch mit Armutsbekämpfung oder wirtschaftlichen Entwicklungen weiter. Frieden ist das eigentliche Fundament für sozialen Fortschritt. Und die Nato ist für nahezu eine Milliarde Menschen die wichtigste Organisation beim Einsatz für Frieden und Sicherheit." Diese Argumente überzeugten den einstigen Friedensaktivisten, einen Militärblock zu leiten.

Angesichts eines ununterbrochenen Krisenjahrzehnts - Russlands Aggression, Afghanistan-Krieg, Syrien, der Islamische Staat, Palästina - wurde Stoltenberg immer wieder gebeten, länger im Amt zu bleiben. Obwohl Stoltenberg noch im Oktober 2014 betonte, er betrachte "Russland nicht als Feind", ignorierte der Kreml seine Friedenssignale. Die detaillierte Geschichte des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine seit Februar 2022 gehört zu den interessantesten Seiten dieser Erinnerungen. Überhaupt ist es ein Privileg, dieses Buch lesen zu dürfen.

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