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Zukunft des Nahostkonflikts : Kaum jemand glaubt noch an die Souveränität der Palästinenser

Die Vereinten Nationen wollen die Zweistaatenlösung wiederbeleben. Doch für die Israelis und die Palästinenser ist diese Option in weite Ferne gerückt.

18.09.2025
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5 Min

"Rufen Sie mich in zwei Stunden nochmal an. Ich bin gerade in Gaza." Siedlerführerin Daniella Weiss lebt im besetzten Westjordanland und macht keinen Hehl daraus, was die Pläne ihrer Community sind: Die Wiederbesiedlung des Gazastreifens. Mehr als einmal war Daniella Weiss nach eigenen Angaben seit Kriegsbeginn in Gaza - mit Wissen der Regierung und Schutz der Armee. Doch darüber schweigt sie sich aus.

1.200.000 jüdische Siedler will sie nach Gaza bringen. Die Pläne stehen bis ins letzte Detail, einschließlich Blaupausen für eine Universität mit einer Fakultät für Meereswissenschaften, direkt neben Donald Trumps "Riviera", die der US-Präsident am Strand von Gaza bauen will.

Für Weiss haben die Palästinenser in Gaza nichts mehr zu suchen

"Letztendlich wird es nicht Trumps Riviera sein", schmunzelt Weiss. "Alles wird uns gehören." Die arabischen Bewohner Gazas könnten in andere Länder gehen, “sei es in Afrika, nach Indonesien oder sonst wohin. Seit dem 7. Oktober haben sie in Gaza nichts mehr zu suchen.”


„Uns ist allen klar, dass ein Feindesstaat im Herzen Israels eine akute Gefahr für Juden und den Staat Israel wäre.“
Guy Yifrach, Bürgermeister der Siedlerstadt Ma'aleh Adumim

Eine Vertreibung von zwei Millionen Menschen wäre das endgültige Aus für die viel beschworene Zweistaatenlösung. Offizielle Staatsräson ist das noch nicht, aber die drohende Besiedlung Gazas ist auch nicht die einzige Waffe, mit der Israel jede politische Regelung torpediert.

60 Kilometer westlich von Gaza, in der glühend heißen judäischen Wüste, führt die Siedlerorganisation Regavim eine Gruppe internationaler Journalisten ins Westjordanland. Regavim will die Presse von der Rechtmäßigkeit eines umstrittenen Bauvorhabens überzeugen. Laut Kritikern würde das sogenannte E1-Siedlungsprojekt das nördliche Westjordanland vom Süden abschneiden und so ein zusammenhängendes, palästinensisches Staatsgebilde unmöglich machen.

Foto: picture alliance / newscom

Das Siedlungsprojekt E1 schneidet das nördliche Westjordanland vom Süden ab - und ist aus Sicht von Kritikern ein weiteres Hindernis auf dem Weg zu einer Zweistaatenlösung.

Guy Yifrach, Bürgermeister der Siedlerstadt Ma'aleh Adumim, beteuert gegenüber den Journalisten, E1 sei Produkt des "natürlichen Wachstums" der Stadt. "Und was soll dann aus den Palästinensern werden?", wirft ein amerikanischer Reporter ein. Die, so Yifrach, könnten in "irgendwelchen Kantonen" untergebracht werden. "Nach dem, was dem jüdischen Volk und dem jüdischen Staat am 7. Oktober geschehen ist, ist uns allen klar, dass ein Feindesstaat im Herzen Israels eine akute Gefahr für Juden und den Staat Israel wäre."

Viele haben Angst vor einem palästinensischen Nachbarstaat

Seit dem Terrorangriff der Hamas ist dies nicht nur die Haltung der Siedlerbewegung. Die von dem Massaker bis heute traumatisierte Gesellschaft Israels hat in der Mehrheit schlicht Angst vor der Vorstellung, einen palästinensischen Staat als Nachbar zu haben. Doch mehr denn je, meinen Nahostexperten, brauche die Region eine politische Lösung, selbst wenn die Hürden hoch sind.

Daniella Weiss will jüdische Siedler nach Gaza bringen.   Foto: Uri Schneider

"Mit der Radikalisierung auch der Bevölkerungen wird es natürlich immer schwieriger, zu einer Zweistaatenregelung zu kommen", sagt Muriel Asseburg von der Stiftung für Wissenschaft und Politik in Berlin. "Dennoch gibt es keine Alternative zu einer Befriedung des Konflikts."

Von dieser Befriedung sind Israelis und Palästinenser nach dem Massaker und fast zwei Jahren Krieg weit entfernt. Und doch scheint es gerade die Eskalation nie dagewesener Gewalt zu sein, die die immer wieder totgesagte Idee zweier autonomer Nachbarstaaten wieder auf die politische Tagesordnung gebracht hat.

Am 12. September 2025 verabschiedete die UN-Vollversammlung die "New York Declaration". 142 von 193 Mitgliedstaaten, darunter auch die Bundesrepublik, bekennen sich darin zu einer aktiven Wiederbelebung der Zweistaatenlösung. Die Erklärung fordert die Entmachtung der Hamas und internationale Sicherheitsgarantien für beide Völker. Ein klares Zugeständnis an Israel. Doch das stellt sich quer. Der Ruf nach einem unabhängigen Palästina sei "ein Preis für den Terror", heißt es.

Nur wenige sind so optimistisch wie Shaul Arieli 

Shaul Arieli kennt die Facetten der Zweistaatenlösung wie kein zweiter Israeli. Er lässt sich vom plakativen Veto seiner Regierung nicht abschrecken. Arieli war enger Berater des Ministerpräsidenten Yitzhak Rabin, saß bei allen wichtigen Friedensverhandlungen  mit am Tisch. Mehr als 30 Jahre nach dessen Ermordung ist er immer noch fest davon überzeugt, dass nur die Teilung des Landes Sicherheit und Frieden bringen kann.

Shaul Arieli war enger Berater des 1995 ermordeten Ministerpräsidenten Yitzhak Rabin.   Foto: Uri Schneider

"Der Grundgedanke unserer Staatsgründer hat sich nie geändert", sagt er, "nämlich der eines Israels als sicherer, demokratischer Staat mit jüdischer Mehrheit, anerkannt von der Staatengemeinschaft. Das kann nur die Zweistaatenlösung bewerkstelligen." Trotz etwa 700.000 jüdischer Siedler im Westjordanland und in Ostjerusalem hält er eine solche Regelung durch geringe Gebietsaustausche bis heute für machbar.

Doch Wenige sind so optimistisch wie Arieli. Auf beiden Seiten. Angesichts der Siedlungspläne in Gaza, den Fantasien jüdischer Fundamentalisten von einem Gaza ohne Palästinenser und der islamistischen Hamas, deren Ziel die Zerstörung Israels ist, glauben auch Palästinenser kaum an eine politische Souveränität.

Auch die Palästinenser haben wenig Hoffnung auf Souveränität

Zwar befürwortet nach letzten Umfragen gut die Hälfte nach wie vor eine Zweistaatenlösung, aber palästinensische Intellektuelle wie Walid Habbas, Politologe am Palästinensischen Forum für Israelstudien in Ramallah, halten sie für eine Illusion. “Die Palästinenser verlangen Selbstbestimmung, Freiheit und den Abbau der kolonialistischen Siedlungen, aber wenn wir das durch das Prisma einer Zweistaatenlösung sehen, müssen wir realistisch eingestehen, dass dieser Ansatz unter den gegebenen Umständen schlicht nicht der historischen Entwicklung entspricht.”

Walid Habbas hält die Zweistaatenlösung für eine Illusion.   Foto: Uri Schneider

Was aber ist dann die Zukunft der Region? "Mit der Zeit", prophezeit Shaul Arieli, "wird Israel zu einem Staat werden, wie wir ihn uns in den schlimmsten Albträumen nicht vorgestellt haben. Ein zerstrittener Apartheit-Staat, bis hin zu Bürgerkrieg und ewigem Terrorismus. Das ist sicher nicht das, was wir wollen."

Einzig neue und mutige Führungskräfte könnten diesen Albtraum verhindern. Doch die sind nicht absehbar. Benjamin Netanjahu, unterstützt durch sein nationalistisches und palästinenserfeindliches Kabinett, sitzt nach wie vor fest im Sattel. Die Palästinenser, tief zerstritten zwischen der laizistischen, autokratischen Regierung von Mahmoud Abbas in Ramallah und den Islamisten der Hamas in Gaza, sind weit entfernt von politischem Konsens. 

So bleibt die Zweistaatenlösung in absehbarer Zeit nicht mehr als eine gut gemeinte Absichtserklärung von Diplomaten in New York.

Der Autor ist Journalist und Filmemacher. Er lebt in Israel.

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