Piwik Webtracking Image

Vor 30 Jahren : Als die Rechtschreibung zum Politikum wurde

Die am 1. Dezember 1995 beschlossene Rechtschreibreform stieß auf erbitterten Widerstand. Bis schließlich das Bundesverfassungsgericht einen Schlusspunkt setzte.

28.11.2025
True 2025-11-28T11:48:26.3600Z
2 Min
Foto: picture-alliance / dpa / Achim Scheidemann

Mitte der 1990er Jahre wurde der Duden durch die Rechtschreibreform zu einem Verkaufsschlager.

Aus "daß" wurde "dass", aus "Schiffahrt" wurde "Schifffahrt" und aus "Orthographie" wurde "Orthografie", oder man schrieb einfach weiterhin "Orthographie" - ganz wie man will. Am 1. Dezember 1995 billigten die Kultusminister der Länder die Rechtschreibreform. Sie sollte die deutschen Rechtschreibregeln vereinfachen, löste aber vor allem hitzige Debatten und Verwirrung aus.

Dabei kam die Reform nicht überraschend, sondern bahnte sich über Jahrzehnte an. Schon 1954 wurden von Sprachpflegern "Empfehlungen zur Erneuerung der deutschen Rechtschreibung" vorgelegt. Das Reformkonzept scheiterte jedoch am Widerstand bekannter Schriftsteller, darunter Thomas Mann und Friedrich Dürrenmatt.

Seit 1980 wurden Ideen für einen moderneren Regelkatalog gesammelt

Ab 1980 sollte der "Internationale Arbeitskreis für Orthographie" mit Wissenschaftlern aus der Bundesrepublik, der DDR, der Schweiz und Österreich Ideen für einen moderneren Regelkatalog sammeln. 1987 beauftragte die Kultusministerkonferenz das Mannheimer Institut für Deutsche Sprache in Abstimmung mit der Gesellschaft für deutsche Sprache in Wiesbaden ein neues Regelwerk zu entwerfen. 1992 lag ein international abgestimmter Vorschlag des Arbeitskreises auf dem Tisch; darin enthalten: die Substantivkleinschreibung.


„Wer weiter die alte Rechtschreibung verwendet, schreibt demnach nicht falsch, sondern traditionell.“
Kultusministerkonferenz-Präsidentin Gabriele Behler (SPD)

Nach Kritik nahm der Arbeitskreis seinen Vorschlag der Kleinschreibung von Substantiven zurück. Daraufhin empfahlen Experten in den Kultusministerien, die modifizierte Fassung des Regelwerks anzunehmen, was im Dezember 1995 geschah. Die Neuregelung sollte zum 1. August 1998 mit einer Übergangsphase bis Sommer 2005 eingeführt werden.

Während einige Bundesländer die neuen Rechtschreibregeln schon zu Beginn des Schuljahrs 1996/97 einführen, unterzeichneten rund 100 Schriftsteller, Intellektuelle und Wissenschaftler auf der Frankfurter Buchmesse eine Erklärung, in der sie einen Stopp der Reform forderten.

Bundesverfassungsgericht erklärte neue Rechtschreibung für verfassungsgemäß

Und dann klagten die Eltern: So gab etwa im Juli 1997 das Verwaltungsgericht Wiesbaden dem Eilantrag eines Vaters statt, der sich gegen den Unterricht nach neuen Rechtschreibregeln richtete. Auch andere Gerichte entschieden im Sinne klagender Eltern. Niedersachsen setzte den Unterricht nach neuer Rechtschreibung ganz aus, weil das Oberverwaltungsgericht Lüneburg die Einführung der Reform ohne Gesetz für rechtswidrig hielt. Die Richter entschieden damit, dass eine Drittklässlerin weiterhin nach den alten Rechtschreibregeln unterrichtet werden muss.

Mehr zum Gericht lesen

Mehr zum Thema Ein Sicherheitsgurt der Demokratie
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe: Ein Sicherheitsgurt der Demokratie

Das letzte Wort hatte schließlich das Bundesverfassungsgericht. Im Juli 1998 - kurz vor der Umsetzung der Reform - erklärte es die Einführung der neuen Rechtschreibung per Kultusministererlass für verfassungsgemäß. Die Richter hätten bestätigt, "dass für die maßvoll reformierten Schreibregeln im Schulunterricht keine gesetzliche Regelung erforderlich ist und schon gar keine Grundrechte verletzt werden", so die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Gabriele Behler (SPD). Behler betonte: Die Regeln seien "zunächst nur für die Schulen und die Behörden bindend". Und weiter: "Wer weiter die alte Rechtschreibung verwendet, schreibt demnach nicht falsch, sondern traditionell."

Am 1. August 2005 endete wie geplant die Übergangszeit. Dennoch wurden 2006 einige Bereiche des neuen Regelwerks schon wieder verändert.