Vor 95 Jahren : Diebstahl in der Reichstagsbibliothek
Am 25. Juli 1930 wurde das Original der Paulskirchenverfassung aus den Räumen des Bundestages gestohlen. Der Diebstahl blieb damals monatelang unbemerkt.
Der 39-jährige Walter Wohlgemuth war 1,71 Meter groß, untersetzt, glattrasiert, hatte dunkelblondes Haar, blaue Augen und war Brillenträger. So beschrieb jedenfalls ein Fahndungsaufruf den aus Königsberg stammenden Kunstmaler, den die Polizei schnell in Verdacht hatte, einen Diebstahl begangen zu haben, der international für Schlagzeilen sorgte: Am 25. Juli 1930 stahl Wohlgemuth das Original der Paulskirchenverfassung von 1849 aus der Reichstagsbibliothek.
Das Verschwinden der Paulskirchenverfassung sorgte europaweit für Aufsehen
1928 war das historische Schriftstück in Köln noch im Rahmen einer Ausstellung der Öffentlichkeit präsentiert worden. Reichstagspräsident Paul Löbe hatte die "Urschrift der Reichsverfassung" nur zögernd aus dem Haus gegeben und stimmte der Leihgabe nur "unter der Voraussetzung" zu, "daß für den Transport des wertvollen Gegenstandes besondere Sicherungsmaßnahmen getroffen werden".

Zurück am Ort ihrer Unterzeichnung: Das Original der Paulskirchenverfassung wurde im Frühjahr 2024 im Rahmen einer Ausstellung zum 175. Jubiläum in Frankfurt am Main gezeigt.
Nach der Ausstellung kehrte die Urkunde wieder sicher in die Reichstagsbibliothek zurück und verschwand dort in einem Schrank. Doch als am 25. Oktober 1930 ein Bibliothekar das Pergament heraussuchen wollte, weil es für ein Buchprojekt gebraucht wurde, war der Schrank leer.
Die Bibliotheksleitung schaltete umgehend die Polizei ein, für Hinweise zu Täter oder Tat wurde eine Belohnung in Höhe von 1.000 Reichsmark ausgesetzt. Die Kriminalpolizei Berlin warnte international in deutscher und französischer Sprache "Althändler, Bibliotheken, Museen usw.", dass das Diebesgut "preiswert" angeboten werden könnte.
Die Presse stürzte sich auf den Fall: Die Berliner Volks-Zeitung zeigte den Tatort im Bild, auch die Londoner Tageszeitung The Times berichtete. Schnell kamen wilde Theorien auf, wie es eine Abhandlung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages 2023 beschrieb. So habe ein Zeuge seinen Nachbarn beschuldigt, der Mitarbeiter des Reichstagsarchivs sei und sich verdächtig verhalten habe. Ein anderer habe sich gar als ehemaliger Spion ausgegeben und eine ausländische Regierung hinter der Tat vermutet.
Täter wollte die Verfassung in der Schweiz verkaufen
Tatsächlich war der Hintergrund nicht so spektakulär, der Coup dennoch unglaublich: So geht man von zwei Tätern aus, die sich im Reichstag versteckt und über Nacht einschließen ließen.
Relativ wahllos sollen sie dann in an die Bibliothek grenzende Räume Schubladen aufgebrochen und Wertgegenstände von Mitarbeitern mitgehen lassen haben. Den Schlüssel zu dem Schrank, in dem die Verfassungsschrift verwahrt worden war, fanden die Einbrecher in einem Nachbarzimmer. So blieb der Schrank unbeschädigt und weil die Täter ihn auch wieder ordentlich verschlossen hatten, blieb der Diebstahl monatelang unbemerkt.
Walter Wohlgemuth geriet dann aber schnell ins Visier der Polizei, weil er Silber aus der Beute an einen Pfandleiher verkaufen wollte. Als ihm die Ermittler schon sehr nah auf den Fersen waren, versuchte er die Verfassungsurkunde in der Schweiz zu verkaufen. Das Pergament hatte er allerdings in einem Koffer in einem Berliner Mietshaus zurückgelassen. Nach seiner Festnahme gestand Wohlgemuth die Tat und wurde zu einem Jahr und sieben Monaten Haft verurteilt. Seinen Komplizen gab er nie preis.
Heute befindet sich das fragile Schriftstück im Deutschen Historischen Museum in Berlin.

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